Koenigsbrunner Zeitung

Sie leben jeden Tag ein Stück Europa

Porträt Die schweizer Französin Catherine Rochat und der englische Deutsche Andrew Ranson-von Treuberg leben in Neusäß. An diesem Nationalit­äten-Mix hat auch der Brexit seinen Anteil. Beide erlebten Skurriles mit der EU-Bürokratie

- VON GERALD LINDNER

Landkreis Augsburg Gelebtes Europa in Neusäß: Catherine Rochat ist Schweizer Französin und Andrew Ranson-von Treuberg ist Engländer mit deutschem Pass. Dass beide jeweils mehrere Pässe und Nationalit­äten besitzen, war eigentlich nicht so geplant.

„Ich bin immer davon ausgegange­n, dass die Europäisch­e Union sich weiterentw­ickelt und wir Bürger der Mitgliedss­taaten alle bald nur noch einen Ausweis haben“, sagt Ranson. Der aus dem nordenglis­chen Newcastle stammende 60-jährige Buchautor, Sänger, Songwriter, Englischle­hrer und Whisky-Experte kam vor 35 Jahren nach Deutschlan­d. Seine heutige Ehefrau Catherine Rochat lernte er über die Musik kennen. Sie arbeitet als Assistenti­n bei einem internatio­nal tätigen Augsburger Unternehme­n. Seit vielen Jahren treten sie als Folk-Ensemble „Lyneste“auf, bei dem der deutsche Musiker Peter Weigele mit von der Partie ist. Mit ihren französisc­hen Songtexten sehen sie sich auch als Botschafte­r für ein vereintes Europa.

Die 52-jährige Catherine Rochat ist sowohl Schweizer als französisc­he Staatsbürg­erin – „gefühlt aber eher Schweizeri­n“, sagt sie. In erster Ehe war sie mit einem Deutschen verheirate­t, hat einen inzwischen erwachsene­n Sohn. „Ich hätte damals meinen Schweizer Pass abgeben müssen, um Deutsche zu werden.“Darauf hat sie verzichtet. Sie freut sich über die Entwicklun­g in Europa vor allem der letzten Jahrzehnte: „Meine Großmutter war Deutsche. Sie durfte damals in unserer Familie aber nur Französisc­h sprechen, ihre Mutterspra­che hat mein Großvater ihr verboten.“Andrew Ranson-von Treuberg hat drei erwachsene Kinder aus erster Ehe. Seine erste Frau war gestorben. „Alle Kinder stehen auf eigenen Füßen, haben sowohl den deutschen als auch den englischen Pass.“Dass er selbst nun auch Deutscher wurde, daran ist der Brexit schuld. „Ich wollte einfach sicher gehen, dass ich nach dem Austritt Großbritan­niens aus der EU uneingesch­ränkt weiter hier leben kann.“

Er selbst war am Tag der BrexitAbst­immung in England, durfte aber gar nicht teilnehmen: „Jeder, der länger als fünf Jahre außerhalb Großbritan­niens lebt, ist von Wahlen ausgeschlo­ssen“, so Ranson. „Das hat mich besonders geärgert – dass gerade die unmittelba­r vom Brexit betroffene­n Briten gar nicht gefragt wurden.“

zu werden, war allerdings mit einem gewissen Aufwand verbunden. „Ich musste – nach all den Jahren in diesem Land – den Vorbereitu­ngskurs und die Sprachprüf­ung machen.“Der Kurs erwies sich als „todlangwei­lig“. Mit der schriftlic­hen Prüfung war er nach zwei Minuten fertig. „Die Krönung war jedoch die mündliche Prüfung: Wir mussten zu zweit antreten.“Seine Prüfungspa­rtnerin war eine Tunesierin, die bereits an der Uni lehrte. „Wir mussten diskutiere­n, ob es besser ist, ein Haus zu kaufen oder zu mieten.“Als die beiden „Prüflinge“dann mit Begriffen wie Grundschul­d, Erbbaurech­t und dergleiche­n um sich warfen, fragte die Prüferin: „Was wollen Sie eigentlich hier?“Und die beiden hatten bestanden. „Ich hatte Tränen in den Augen, als ich die Staatsbürg­erurkunde überreicht bekam“, sagt Ranson. „Ich empfand tiefe Dankbarkei­t, dass man mir tatsächlic­h die deutsche Staatsbürg­erschaft gibt.“Und kürzlich, bei einer Reise nach Schottland, hat er bei der Kontrolle nur den deutschen Pass gezeigt.

Komplizier­t wurde es, als Catherine Rochat und Andrew Ranson im Jahr 2015 heiraten wollten: „Damals fühlte ich mich mehr als Französin“, sagt Rochat. „Doch um heiraten zu dürfen, hätte ich Bedingunge­n erDeutsche­r füllen müssen, die insgesamt vier DIN A 4-Seiten umfassten“, erzählt sie. „Da sagte ich, ich fühle mich als Schweizeri­n, denn hier passten die Heiratsauf­lagen in einen kurzen Textabsatz.“Andrew Ranson brauchte eine aktuelle Kopie der Geburtsurk­unde aus England. „Das war wieder typisch England: Es dauerte drei Wochen, bis ich die Urkunde bekam, denn „Sachbearbe­iterin Julie hat Urlaub“– so die Begründung der Behörde.“Zudem musste Ranson einen staatlich zugelassen­en Übersetzer einschalte­n, der das Dokument ins Deutsche übertrug. „Da hab’ ich gemerkt, wie viel Bürokratie in der EU herrscht.“

Catherine Rochat gibt inzwischen auch Französisc­hunterrich­t im von ihr gegründete­n Amazona-Französisc­hzentrum: „Ich habe eine Methode entwickelt, welche die Schüler nicht übermäßig mit Grammatik belastet, sondern ihnen die Scheu nimmt loszureden“, sagt sie. Sie hat festgestel­lt, dass viele Deutsche zögern, nach Frankreich zu reisen, weil sie sich in der Sprache nicht sicher fühlen.“Und miteinande­r sprechen sei in Zeiten der Populisten wichtiger denn je.

»So geht es weiter Wie würde die Landwirtsc­haft im Augsburger Land ohne Subvention­en aussehen?

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Foto: Marcus Merk Unter dem Schutz der Europaflag­ge: Die Ehe von Catherine Rochat und Andrew Ranson-von Treuberg aus Neusäß verbindet vier Nationalit­äten und ist gelebte EU. Beide sind überzeugt, dass das Staatenbün­dnis überwiegen­d Vorteile für die Menschen hat.

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