Eine Gewissheit und viele Fragen
Die EM-Qualifikation ist nur noch Formsache. Doch der Bundestrainer nimmt aus den vergangenen beiden Partien weniger Antworten mit, als er sich erhofft hatte
Tallinn Nach einer Nacht des Zwiespalts um den Doppeltorschützen Ilkay Gündogan verbreitete Joachim Löw eine Gewissheit: Die Teilnahme an der EM im kommenden Sommer steht für den Bundestrainer nicht mehr infrage. Doch der beim 3:0 in Tallinn von einigen Fans wieder verbal attackierte Bundestrainer nimmt gleich eine Handvoll gravierender Probleme und eine Menge Ungewissheit mit in den Qualifikationsendspurt im November.
Der sensible Umbruch in der deutschen Nationalmannschaft stockt. Löw sucht acht Monate vor dem EM-Start mit mindestens zwei Heimspielen in München weiter nach dem geeignetsten Personal und System für die angestrebte Rückkehr zur Titeltauglichkeit. Und jetzt droht der sportlichen Leitung und dem DFB in der neuen Foto-Affäre um Gündogan und Emre Can auch noch die Fortsetzung der Debatte um Werte und Einstellungen türkischstämmiger Nationalspieler, die maßgeblich mit zur misslungenen WM 2018 in Russland beigetragen hatte (siehe Text oben).
„Es war schwieriger, als wir es uns vorgestellt hatten“, sagte Löw am Ende einer Länderspielwoche, die mehr Fragen aufwarf, als sie beantwortete. Das war zwar am Sonntag hauptsächlich der schwierigen Situation in Unterzahl gegen plötzlich mutige
Esten geschuldet. Die Nationalmannschaft ist aber auf dem angestrebten Weg der Wiedergutmachung nicht weiter als zu Jahresbeginn. In der A. Le Coq Arena der estnischen Hauptstadt gab es von einigen mitgereisten deutschen Anhängern sogar Löwraus-Rufe, als nach dem frühen Platzverweis für Emre Can die junge und personell weiter dezimierte Mannschaft die Orientierung verlor und es mit 0:0 in die Pause ging. Danach habe sein Team nach einigen kleinen taktischen Korrekturen „eine gute Reaktion gezeigt“, lobte Löw. Von den Rücktrittsforderungen von der Tribüne habe er „nichts mitbekommen“, sagte der 59-Jährige: „Ich habe die Rufe nicht gehört. Kann sein, das ist ihr gutes Recht.“Für grundlegende Sorgen sieht Löw trotz des Ausfalls etlicher Kräfte keine Gründe. „Wir wollen und werden die letzten beiden Spiele gewinnen. Wir werden uns qualifizieren für die EM“, versprach Löw für die ausstehenden Partien gegen Weißrussland und Nordirland. „Wir haben zu Null gespielt, drei Tore erzielt. Die drei Punkte sind das Wichtigste“, resümierte er.
Er beförderte die Freiburger Robin Koch (23) und Luca Waldschmidt (23), den Schalker Suat Serdar (22) und den Leverkusener Nadiem Amiri (22) zu A-Nationalspielern. Inwieweit diese aus der Not geborenen Alternativen für die EM helfen können, ist offen. „In dem Lehrgang haben viele gefehlt, nicht schön, um uns einzuspielen. Die Zeit rennt uns davon“, sagte der Dortmunder Routinier Marco Reus. Über Titelreife müsse deshalb jetzt niemand reden: „Das ist für mich der falsche Zeitpunkt, darüber zu sprechen, ob wir um den Titel mitspielen können. Wir müssen weiter hart arbeiten.“