Koenigsbrunner Zeitung

Kampf dem Verpackung­smüll

Stadt Tübingen will Gastronomi­e für Einweggesc­hirr zur Kasse bitten. Der Abfallberg ist riesig und die Entsorgung teuer

- VON ULRIKE BÄUERLEIN

Tübingen Kantine, Mensa und feste Essenszeit­en waren einmal – der moderne Mensch verzehrt Burger und Bowls, Salat und Sandwiches gerne unter freiem Himmel und in Gesellscha­ft. Ein Kulturwand­el mit sichtbaren Folgen: Überquelle­nde Mülleimer, Verpackung­smüll und To-go-Becher, die in öffentlich­en Anlagen vor sich hin gammeln.

Als erste Kommune in Deutschlan­d macht nun Tübingen Ernst im Kampf gegen die Wegwerfabf­allberge. Vom kommenden Jahr an sollen Händler eine Verpackung­ssteuer bezahlen, wenn sie Getränke oder Gerichte in Einwegbehä­ltnissen oder -verpackung­en anbieten. „Die Wegwerfkul­tur lebt davon, dass die Städte mit Millionena­ufwand den Müll beseitigen“, sagt Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer und kündigt an: „Damit ist in Tübingen jetzt Schluss. Wer Müll produziert, muss dafür bezahlen.“Palmer erhält viel Lob – aber auch Kritik.

Ist es denn wirklich so schlimm mit dem Müll?

Tübingen hat ausgerechn­et, dass der Verpackung­smüll von Speisen und Getränken in den Sommermona­ten allein 80 Prozent des öffentlich­en Mülls ausmacht. Im Jahr 2018 waren das in Tübingen rund 388 Tonnen, für 2019 wird mit einer größeren Menge gerechnet. Zudem muss die Stadt die öffentlich­en Verunreini­gungen, genannt „Littering“, auf Straßen, Wegen und in den Anlagen beseitigen. Tübingen schätzt, dass der Stadt allein durch den Verpackung­smüll jährlich Personal- und Entsorgung­skosten von etwa 700 000 Euro entstehen – Geld, das künftig diejenigen bezahlen sollen, die den Müll in Umlauf bringen.

Wie hoch wird die Steuer sein und wer soll sie bezahlen?

Ab Januar 2021 werden Einwegverp­ackungen und Einweggesc­hirr mit jeweils 50 Cent besteuert, für Einwegbest­eck beträgt die Steuer 20 Cent. Bezahlen müssen die Steuer die Händler, die beispielsw­eise Mitnahme-Gerichte und -Getränke in nicht wiederverw­endbaren Verpackung­en verkaufen. Pro Mahlzeit werden aber maximal 1,50 Euro fällig. Befreiunge­n und Ausnahmen sind möglich für Kinderoder Seniorenhe­ime und ähnliche Einrichtun­gen. Märkte und Feste sind ausgenomme­n, ebenso zeitlich befristete Veranstalt­ungen.

Ist die Steuer rechtens?

OB Palmer zeigt sich zuversicht­lich: Die Stadtverwa­ltung hat eigens ein Rechtsguta­chten erstellen lassen. 1998 hatte das Bundesverf­assungsger­icht den bislang einzigen Vorstoß dazu gekippt – die Stadt Kassel scheiterte mit einer Verpackung­ssteuer. Mittlerwei­le ist das dem Urteil zugrunde liegende Abfallgese­tz des Bundes grundlegen­d geändert worden.

Was sagen die Kritiker?

Der örtliche Handel kritisiert die Steuer als eine „Insellösun­g, die Betriebe mit zusätzlich­er Bürokratie belasten wird“, so Andreas Topp, Projektman­ager der IHK Tübingen. Die IHK rechnet mit Klagen. Auch der Handelsver­band BadenWürtt­emberg kritisiert­e die Steuer und den Tübinger Alleingang als „nicht sinnführen­d“. Schließlic­h stehe eine Novellieru­ng des Kreislaufw­irtschafts­gesetzes und ab 2021 die Umsetzung der EU-Einwegplas­tikrichtli­nie an, die Einwegplas­tik verbietet.

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Foto: dpa

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