Hoffnung für Krebspatienten
Mit der Immuntherapie werden große Erfolge erzielt – doch bisher nur bei bestimmten Tumorerkrankungen
Augsburg Auf seinen Tod hatte er sich schon vorbereitet. Alles war geregelt. Schnell könne es gehen, sagten die Ärzte. Ein großes Nierenzellkarzinom hatte bereits gestreut. Knoten waren auch in seiner Leber, in der Lunge, in den Knochen. Doch dann schlug Professor Martin Trepel, der Direktor des interdisziplinären Krebszentrums am Universitätsklinikum Augsburg, noch etwas vor. Damals, 2016, etwas Neues. Etwas, das gerade erst zugelassen worden war. Eine Immuntherapie. Und sie führte dazu, dass die Tumorknoten sich zurückbildeten und der Mann bis heute ein weitgehend unbeschwertes Leben führt.
Immuntherapien gehören zu den großen Hoffnungsträgern vieler Krebspatienten. „Die Forschung hat hier seit 2015 enorme Fortschritte in großer Geschwindigkeit gemacht“, sagt Trepel. „In jedem Jahr kommen weitere Krankheiten dazu, bei denen die Immuntherapie hilft.“Wie der Name schon nahelegt, wird bei diesen Behandlungsmethoden das körpereigene Immunsystem dazu genutzt, den Krebs zu bekämpfen. Der Patient allein könne allerdings wenig ausrichten, erklärt Trepel. Eine ausgewogene Ernährung sowie Bewegung und Sport – „vor allem Ausdauersport“– stärken zwar das Immunsystem, aber in den meisten Fällen nicht in dem Ausmaß, wie es nötig ist, damit Krebszellen effizient attackiert werden können. Dafür brauchen die Immunzellen Nachhilfe.
Denn Krebszellen sind sehr hinterlistig. Sie können sich nicht nur sehr schnell verändern und weiterentwickeln. Viele beherrschen es, die körpereigenen Abwehrmechanismen auszuschalten, indem sie sich – sehr vereinfacht ausgedrückt – maskieren, also für die Immunzellen unkenntlich machen. Manchen gelingt es, die An- und Abschaltmechanismen der Immunzellen zu beeinflussen. Das muss man sich so vorstellen: Jede Immunzelle hat – wie der 52-jährige Trepel schön bildlich erklärt – ein Gas- und ein Bremspedal. Einige Tumorzellen schaffen es, stets das Bremspedal der
Immunzelle zu betätigen, um sich so ungehindert ausbreiten zu können.
Ziel der Immuntherapien ist es, das zerstörerische Treiben der Tumorzellen ganz gezielt zu stoppen. Drei Arten von Immuntherapien werden unterschieden, erklärt Trepel. Die erste Art wurde schon vor etwa 20 Jahren eingeführt und erzielt sehr gute Erfolge bei Lymphdrüsenkrebs (Lymphom), zum Teil auch bei Darmkrebs sowie bei Tumoren im Kopf- und Halsbereich. Hierbei werden dem Körper über eine Infusion sogenannte Antikörper zugeführt, die in der Lage sind, bestimmte Strukturen auf Tumorzellen zu erkennen, auf ihnen anzudocken und so das Immunsystem zu aktivieren, exakt diese Krebszellen anzugreifen.
Bei der zweiten Art werden dem Körper auch über eine Infusion Antikörper zugefügt. Diese arbeiten aber anders: Sie schützen das bereits angesprochene Bremspedal der Immunzelle, sodass diese richtig arbeiten kann. „Es gibt Krankheiten, bei denen funktioniert diese Methode verblüffend gut. Bei schwarzem Hautkrebs (Melanom), Lungenkrebs oder bei Nierenzellkrebs.“Aber auch bei einer bestimmten Art von Brustkrebs, dem sogenannten dreifach rezeptor-negativen, der als aggressiv gilt und mit einer Chemotherapie nur schwer behandelbar ist. Bei der dritten Art, der jüngsten, aufwendigsten und teuersten, werden die Immunzellen genetisch verändert. „Sie werden bildlich gesprochen in eine Art Trainingslager geschickt, damit sie in der Lage sind, auch die maskierten Tumorzellen zu erkennen und zu bekämpfen.“Diese Methode helfe aktuell bei einer großen Gruppe von Lymphomen und bei einer speziellen Art von Leukämie. Der Vorteil der Immuntherapie sei es, dass sie in der Regel wenig Nebenwirkungen hat. „Eine Chemotherapie ersetzt sie aber nicht immer.“Oft werde beides gemacht, „weil sich Immun- und Chemotherapie gegenseitig verstärken können“.
Trepel ist mit seinen Erklärungen noch nicht fertig, da klopft es an der Tür. Ein strahlender, großer Mann kommt herein. Es ist der Patient, der 2016 noch glaubte, sein Leben sei vorbei. Ohne seinen Namen in der Zeitung lesen zu müssen, war er bereit, über sein Krebsleiden zu sprechen. Ein Mann, der wieder seinen Optimismus gefunden hat. „Ich sage heute immer: Fünf Tumore, 83 Jahre, topfit“und klopft auf den Tisch. Trepel, der offen zugibt, wie schwer es auch für ihn ist, wenn Patienten ihren Kampf verlieren, freut sich sichtlich mit seinem Patienten. Dessen Tumorknoten sind durch die Immuntherapie massiv zurückgegangen und werden vom Immunsystem in Schach gehalten. Trepel will aber auch keine übertriebenen Erwartungen schüren. Es gibt so viele Arten von Krebs. Und jeder Körper reagiert anders. „Die Immuntherapie ist ein großer Hoffnungsträger. Ein Allheilmittel ist sie aktuell noch nicht – zumindest nicht für die Mehrheit der Patienten.“
Der 83-Jährige, der mit seiner Frau im Landkreis von Augsburg lebt, weiß, dass immer auch Glück dazugehört. Er will die Zeit einfach genießen: „Jetzt geht es dann wieder in den Garten. Ich freu mich schon auf die ersten Schneeglöckchen“, sagt er. Und ein Auto hat er auch wieder für ein paar Jahre geleast.
OPatientenforum Am Dienstag, 4. Februar, dem Weltkrebstag, erläutern Krebs-Experten von 15.30 bis 19 Uhr im Uniklinikum Augsburg die Möglichkeiten und Grenzen der Immuntherapie.