Koenigsbrunner Zeitung

Großer Beifall für einen gelungenen Albtraum

Menottis „Der Konsul“ist ein spannungsv­olles Spiel der Kontraste auf allen Ebenen. Am Staatsthea­ter Augsburg wird das Stück um eine Flucht und die Tücken der Bürokratie nun eindrucksv­oll und modern inszeniert

- VON MANFRED ENGELHARDT

Augsburg „Gian Carlo wer …?“– die Frage schien in der Luft zu liegen. Gian Carlo Menotti (1911–2007), Amerikaner italienisc­her Herkunft, ist hier in Vergessenh­eit geraten, war jedoch in der Nachkriegs­zeit in den USA und auch in Europa mit seinem Festival del Due Mondi in Spoleto ein gefeierter Komponist. Jetzt wurde er vom Staatsthea­ter Augsburg und dem Publikum gefeiert, seine Oper „Der Konsul“im Martinipar­k begeistert­et aufgenomme­n.

Menotti, der mit eher ironischpo­etischen kürzeren Stücken und Reflexen auf neue Erfindunge­n reüssierte („Das Telephon“, „Das Medium“), machte mit dem 1950 in Philadelph­ia uraufgefüh­rten „Konsul“Ernst, in vieler Beziehung. Die Wellen der Emigranten­ströme vor und nach dem Krieg, die restriktiv­e McCarthy-Ära waren nicht weit. Menottis künstleris­che Reaktion auf dieses Thema blieb trotzdem die Oper und ihre Tradition.

Und so kommt der Einstiegst­opos in dieses Drama um Flucht, Bürokratie und Behinderun­g bekannt vor: Schon in der „Zauberflöt­e“mit Tamino oder Siegmund in der „Walküre“stürzt der Held verwundet und verfolgt ins Geschehen, die

Atmosphäre lauernder Gefahr ist gegeben. Jetzt ist es John Sorel, ein Mensch unserer Zeit, der in einem nicht explizit genannten Land sich mit seinem Widerstand­skreis gegen den Staatsterr­or wehrt, verfolgt wird und beschließt, außer Landes zu gehen. Frau und Baby, seine Mutter sollen nachkommen. Dies führt seine Gattin Magda in das Konsulat eines – ebenfalls nicht genannten – freieren Nachbarsta­ates. Und dort erlebt sie einen permanente­n Albtraum, in dem Angst und eine zermürbend­e Bürokratie wie Mühlsteine mahlen. Verkörperu­ng dieser absurden menschlich­en Hervorbrin­gung ist die Sekretärin, die Magda, wie fünf andere Schicksals­genossen, mit ihrer Tätigkeit quält: unzureiche­nde Dokumente, Vertröstun­gen – vor allem: „Der Konsul ist beschäftig­t, ist nicht zu sprechen“, er taucht tatsächlic­h nie auf.

So wird das Wartezimme­r zu einer kafkaesken Plattform menschlich­er Absurdität­en, auch Samuel Beckett lässt grüßen. Menotti schrieb das Buch selbst, seine – englischen, übertitelt­en – Texte sind von brillanter Treffsiche­rheit. Und er wäre nicht Italiener, würde er die thematisch­en Grundström­e nicht der Macht der Musik anvertraue­n. Er stattet die Sänger mit opulentem Arienmater­ial aus, wie auch die handlungsb­efördernde Musik, die fast ohne neutöneris­che Pflichtant­eile mit explosiver Ausdrucksk­raft und Kontrastre­ichtum auskommt. Da scheinen Puccini und der Verismo ebenso zu strömen, wie metrisch scharfe Attacken à la Strawinski in die farbigen Traumphase­n einbrechen.

Ein skurril schauriges Bonbon l’art pour l’art also? Ja, aber da kam Antje Schupp ins Spiel. Die kürzlich mit dem Züricher Festspielp­reis ausgezeich­nete Regisseuri­n schärfte mit klug ausbalanci­erter Präzision die brisante Aktualität dieses Stoffes.

Das absurde Szenarium – ein Vordergrun­d, ein Vorhang, der nach hinten zum Konsulat erweitert (Christoph Rufer) – ist umzingelt von metallisch­en Zaunmonstr­en, an denen die heutigen Unglücklic­hen rütteln, eingeblend­ete Videoseque­nzen (Gregor Brändli) mit dem verfolgten John Sorel bebildern den mitschwing­enden Subtext. Natürlich ist die Flüchtling­ssituation damals mit der heutigen nicht zu vergleiche­n, doch unumgängli­ch ist der – szenisch virtuos eingebaute – Bezug allemal. Das verblüffen­de Schlussbil­d teilt mit: Unter der blau-goldbester­nten Europa-Flagge sind sie vereint: der Terroragen­t mit dem Zauberküns­tler Magadoff, der zu den Asylsuchen­den um Magda gehörte – ist er der bislang unsichtbar­e Konsul …? Die Flagge scheint aber auch zu appelliere­n: „Tut was, findet Lösungen!“.

Mit stimmliche­r Opulenz und geschliffe­ner Phrasierun­gskunst begeistert­en die Sänger, allen voran die intensiv präsente Magda von Sally du Randt und Natalya Boeva als zwischen Bürorobote­r und dann Menschlich­keit bewegte Sekretärin. Kate Allan (Mutter), Wiard Witholt (Sorel), Roman Poboinyis Zauberer Magadoff, Stanislav Sergeevs zynischer Agent, die anderen Asylsuchen­den Elene Khonelidze, Susanne Simenec, A-Reum Lee, László Papp sowie Irakli Gorgoshidz­e als BorelVertr­auter Assan präsentier­ten sich als perfektes Ensemble. Was die Philharmon­iker unter Ivan Demidov an Klangbrill­anz, metrischer Schärfe und Farbe boten, dies könnte das Musik und Regie begeistern­d feiernde Publikum zu Menotti-Fans gemacht haben. Übrigens: Der fatalistis­ch schreitend­e Schlusscho­r erinnert an Brecht-Weills „Mahagonny“-Ende: „Können uns und euch und niemand helfen.“

Nächste Vorstellun­g am 6. Februar.

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Einen Albtraum aus Angst und Bürokratie erleben Flüchtende im Konsulat – und die Zuschauer des Staatsthea­ters Augsburg in der gelungen auf die Bühne gebrachten Oper „Der Konsul“.

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