Simpsons Fall
Vom Mord-Vorwurf wurde O. J. Simpson freigesprochen. Hinter Gitter musste er trotzdem. Seine Geschichte ist eine Parabel auf das moderne Amerika (Teil 15)
O. J. Simpson hatte alles, um eine Ikone zu sein. Bis heute zählt er zu den größten Sportstars der USA. Doch der Ruhm ist verblasst, ist Furcht und Verachtung gewichen. Noch vor vier Monaten zwar wurde Simpson ins Auswahlteam der besten American-Football-Spieler aller Zeiten berufen. Doch erst 2017 ist er aus dem Gefängnis entlassen worden. Und dass er überhaupt wieder freikam, hatte er einst den Geschworenen am Gericht in Los Angeles zu verdanken.
1947 kommt Simpson in San Francisco auf die Welt. Als Jugendlicher ist er Mitglied einer Gang, wird ihr Anführer, sitzt kurz im Gefängnis. Doch Orenthal James Simpson, wie er mit vollem Namen heißt, ist auch ein fantastischer Athlet. Die erste wichtige Gabelung in seinem Leben ist eine scharfe Kurve. Simpson bekommt sie.
Ab hier klingt seine Geschichte lange nach dem amerikanischen Traum. Simpson wird zum besten Footballer der College-Liga gewählt, das Versprechen vom kommenden Superstar des Sports löst er ein. Mit 22 schafft es der Running Back in die Profi-Liga NFL, wird sechs Mal ins All-Star-Team und 1973 zum wertvollsten Spieler der Liga gewählt. Simpson bricht Rekorde. In die Nähe der Meisterschaft kommt er aber nie, sein Team ist bestenfalls mittelmäßig.
Doch Titel braucht Simpson nicht, um populär zu sein. Schon als aktiver Sportler spielt er in Hollywood-Streifen mit, wird nach seiner Karriere TV-Experte und WerbeFrage, gesicht. Und das in einem Amerika, in dem in seiner Kindheit Afroamerikaner wie er noch strikt von Weißen getrennt wurden. Simpson scheint ein Vorbild im Kampf um Gleichberechtigung zu sein. Doch dieser Rolle ist er nicht gewachsen. Weißen macht Simpson es leicht, ihn zu lieben. Ihnen gegenüber gebe er sich geradezu unterwürfig, wirft man ihm vor. Er adaptiere die Verhaltensweisen der weißen Oberschicht, verleugne seine Herkunft. „Ich bin nicht schwarz, ich bin O.J.“, soll er gesagt haben. Und doch soll es plötzlich seine Hautfarbe sein, die ihn fast ins Gefängnis bringt. So lautet die eine Version der Geschichte um den Mordprozess gegen ihn. Eine andere sagt: Ohne, dass sein Anwalt die „Rassenkarte“gespielt hätte, wie es damals genannt wird, hätte auf Simpson vielleicht sogar die Giftspritze gewartet. Die
ob Simpson seine Ex-Frau Nicole Brown und deren Freund Ronald Goldman ermordet haben soll, spaltet in den Neunzigern die USA: in Schwarz und Weiß.
Kurz nachdem die beiden erstochen wurden, gerät Simpson in Verdacht. Die Verfolgungsjagd auf dem Highway vor seiner Festnahme wird landesweit als Sondersendung live im Fernsehen übertragen. Zu Beginn des Gerichtsprozesses 1995 sieht die Beweislast gegen Simpson erdrückend aus. Doch: Die Polizei in seinem Wohnort Los Angeles ist durchsetzt von Rassisten, auch Beamte, die in die Ermittlungen gegen Simpson involviert sind, gehören dazu. Seinem Anwalt Johnnie Cochran gelingt es, dass viele Afroamerikaner Teil der Laien-Jury sind, die am Ende des Prozesses über die Schuldfrage zu entscheiden hat. Er und diverse weitere Star-Anwälte, die Simpson zu seiner Verteidigung engagiert hatte, zeichnen das Bild einer rassistischen Verschwörung gegen ihren Mandanten.
Die Ankläger bauen darauf, dass Simpson als eifersüchtig und übergriffig bekannt ist, präsentieren Zeugenaussagen und DNA-Spuren. Und einen Handschuh, der am Tatort gefunden wurde und dem Täter gehören soll. Simpson probiert ihn im Gerichtssaal an. Er ist ihm ein paar Nummern zu klein. Und die Geschworenen sprechen ihn frei.
Erst 2008 muss er ins Gefängnis. Wegen eines bewaffneten Raubüberfalls wird er zu 33 Jahren verurteilt, kommt aber nach neun wieder auf Bewährung frei. Bis heute sind viele Amerikaner – vor allem Weiße – davon überzeugt, dass Simpson ein Mörder ist. Gefunden wurde der Täter nie. Der Prozess hat Simpsons Glanz vollkommen erloschen. Zum Vorbild taugt er nicht mehr.