Marketing darf Moral nicht ersetzen
Der Bundesgerichtshof hält früheren VW-Managern den Spiegel des Rechts vor. Was sie darin sehen, muss Verantwortliche des Konzerns noch heute zutiefst beschämen
Das Bürgerliche Gesetzbuch ist eines der besten Dinge, die Deutschland je widerfahren sind. Es trat vor gut 120 Jahren in Kraft. Den Paragrafen ist eines gemeinsam: Hier geht es nicht nur um reines kaltes Recht, sondern auch um Moral, wobei beides natürlich ein Geschwisterpaar ist.
Die scharfen ethischen Zähne des BGB haben sich nun mit Wucht in den Volkswagen-Konzern gebissen. Im Abgas-Skandal hält der Bundesgerichtshof Ex-Managern den moralischen Spiegel vor, ohne Namen zu nennen. Dabei attestieren die Juristen VW-Verantwortlichen, gegen die guten Sitten verstoßen und Käufern von Dieselautos vorsätzlich Schaden zugefügt zu haben. Das alles komme einer arglistigen Täuschung gleich.
Was für eine moralische Niederlage für frühere, einmal hoch angesehene Ingenieure und Spitzen-Manager! Was für eine ethische Bankrotterklärung, die noch heutige VW-Top-Kräfte beschämen sollte! Denn nach dem historischen Urteil auf oberster Ebene steht endgültig fest: Kunden wurden von Volkswagen betrogen, indem Autos mit einem bestimmten Dieselmotor im normalen Betrieb deutlich mehr umwelt- und gesundheitsschädigende Stickoxide ausgestoßen haben, als das Verbrauchern lange munter vorgegaukelt wurde.
Daher muss VW erwartungsgemäß reichlich Schadenersatz zahlen. Der Bundesgerichtshof ist hier zu einer WiedergutmachungsFormel gelangt, die angemessen wirkt: Demnach können getäuschte Kunden verlangen, dass ihnen der Konzern den Kaufpreis erstattet. Davon wird allerdings ein in vielen Fällen ordentlicher Betrag für gefahrene Kilometer abgezogen. Dennoch können sich wohl zehntausende klagende VW-Kunden freuen: Sie haben die Aussicht, viel mehr Geld zu erstreiten, als wenn sie sich – wie in hohem Maße andere Käufer – auf einen Vergleich eingelassen hätten. Das verdanken sie dem Kläger Herbert Gilbert, einem tapferen und sturen rheinlandpfälzischen Rentner. Dessen langer Atem und dessen Wut auf VW zahlt sich nun für Mitbetrogene aus. Der Mann selbst wird einen großen Teil des Kaufpreises für seinen gebrauchten VW Sharan von einst 31 490 Euro wiedersehen.
Was aber der größte Erfolg
Gilberts ist, also eines einstigen VWFans, der dachte, er könne mit dem Kauf eines neuen Volkswagens nichts falsch machen: Mit dem Urteil wurde ein Präzedenzfall geschaffen. Der im Diesel-Skandal auffällig auf Zeit und Zermürbung der Kläger spielende Konzern muss nun wirklich angemessen für den angerichteten hohen Schaden büßen.
Dem Urteil kommt auch deshalb Präzedenzcharakter zu, weil es einen Maßstab für andere Fälle, also weitere Autohersteller wie etwa Daimler, setzen könnte. Bekanntlich mussten selbst die Stuttgarter jede Menge Dieselfahrzeuge wegen illegaler Abschalteinrichtungen bei der Abgasgasreinigung zurückrufen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Software-Updates zur Beseitigung der Tricksereien nicht reichen. Der massenhafte AbgasBetrug ist also noch lange nicht aufgearbeitet und wird die einst sehr stark auf Dieselautos setzenden deutschen Hersteller noch teuer zu stehen kommen. Dabei kommen die Strafzahlungen zur denkbar dümmsten Zeit – mitten in einer tief greifenden Wirtschaftskrise.
Die Auto-Bosse müssen jetzt unter Extrembedingungen den teuer erkauften moralischen Gang der guten Sitten wiederfinden. Das BGH-Urteil ist ein Weckruf, nie wieder Kunden anzuschwindeln und sei es auch nur, indem geschönte Reichweiten für Elektroautos angegeben werden. Marketing darf Moral nicht ersetzen. Insofern ist es pädagogisch wertvoll, dass der Bundesgerichtshof Volkswagen keinen Corona-Rabatt gewährt hat.
Das Urteil ist ein Weckruf für die Branche