Das Auto macht Kino wieder möglich
Die meisten kennen Autokinos nur aus US-Filmen. In der Pandemie entstehen sie in Deutschland gerade reihenweise, auch in der Region – zum Beispiel in Gersthofen
Gersthofen Plötzlich ist wieder Leben auf dem Festplatz: Kurz vor Sonnenuntergang stehen mehr als 200 Autos auf der großen Freifläche in Gersthofen, alle nach Westen gerichtet, dorthin, wo die großformatige Leinwand knapp über dem Horizont zu schweben scheint. Der Vorfilm, der am Mittwochabend zu sehen ist, wird gratis geliefert: ein bildschöner Sonnenuntergang.
Die Corona-Krise macht möglich, was vor Monaten wie ein aberwitziges Tarantino-Szenario gewirkt hätte. Fast über Nacht erleben Autokinos in Deutschland eine Renaissance und fügen der Pandemie eine weitere surreale Komponente hinzu: Das Autokino, das seine Hochphase in den 1950er und 60er Jahren in den USA erlebte und den allermeisten Kinogängern heute nur als nostalgisches Filmzitat bekannt ist, wird zu einer der ersten Möglichkeiten im Kulturbereich, die strengen Kontaktauflagen zu umgehen. Damit sammelt das Automobil, das in der öffentlichen Diskussion zuletzt vor allem als CO2-Schleuder geschmäht wurde, Imagepunkte – als Schutzraum vor dem Virus. Der darbenden Kinobranche, die seit Wochen ihre Säle geschlossen halten muss, bieten Autokinos die Chance, Geld zu verdienen.
Ein bisschen Nervosität ist auf dem Festplatz in Gersthofen um kurz nach 21 Uhr zu spüren. „Die Motoren müssen alle aus sein, es gelten strenge Auflagen“, weist Michael Hehl, Geschäftsführer des
Augsburger Liliom-Kinos, mit dem Walkie-Talkie seine Mitarbeiter an. Es liege vielleicht am Eco-Mode des Autos, dass sich das Radio immer wieder abschalte, diese Funktion müsse abgeschaltet werden. Aber noch ist ja Zeit, noch ist es auf dem Festplatz nicht ganz dunkel. Die Mitarbeiter schauen, dass alle Motoren aus sind und die Vorschriften eingehalten werden, bevor die Vorführung beginnt.
Ein Auto sticht aus der Menge förmlich heraus, ein Oldsmobile, Baujahr 1955. Gut möglich, dass der Straßenkreuzer schon einmal vor einer Ewigkeit in Kalifornien in einem Autokino geparkt wurde. Heute gehört er der Familie Herwig (aus Petersdorf bei Aichach). Auf einem der vorderen Stellplätze steht Noa Estella aus Lützelburg. Die Schülerin, die nächstes Jahr an einem internationalen Gymnasium in Finnland ihr Abitur machen wird, sagt, dass es total schön sei, „endlich wieder aus dem Haus zu kommen“. Anita Müller aus Rain am Lech erzählt, dass sie schon gespannt sei: „Ich kenne Kino, ich kenne Auto, aber beides zusammen ist doch etwas ganz anderes.“
Gezeigt wird an dem ersten Kinoabend in Gersthofen ein skurriler Film. Hinter „Die 1000 Glotzböbbel vom Dr. Mabuse“verbirgt sich Fritz Langs Klassiker aus dem Jahr 1960 in einer schwäbischen Synchronisation von Dominik Kuhn alias Dodokay. Die Handlung verlegt er nach Stuttgart, wo er den Thriller mit viel Sprachwitz einer umfassenden Kehrwoche unterzieht.
In Dillingen hat das dortige Filmcenter schon vor einer Woche mit „Das perfekte Geheimnis“seinen Autokino-Spielbetrieb aufgenommen. Bevor die Betreiberin Claudia Mayr aber etwas zu ihren ersten Erfahrungen sagt, lobt sie die Stadt und die Ämter. „Ohne deren Hilfe hätten wir nicht so früh starten können.“Am 20. Mai konnten sie die täglichen Vorführungen aufnehmen, ein großer logistischer und finanzieller Aufwand. „Schon am ersten Abend hat das alles reibungslos funktioniert“, sagt Mayr. Sie sei froh, dass es endlich wieder Kino gebe, bis Ende Juni, vielleicht auch in den Juli hinein möchte sie das Autokino betreiben. Jüngst kam die erste Anfrage einer Firma herein, ob das Autokino für eine Jahresversammlung zu nutzen sei. „Ja, das gibt die Technik her, und wir sind offen für alles. Anderswo gab es auch schon Hochzeiten.“
Früher, bei den ersten Autokinos in den USA, übertrugen riesige Boxen den Ton meilenweit in die Landschaft, war das eine lärmende Angelegenheit. Heute findet die Tonspur über das Autoradio seinen Weg ins Wageninnere – gut für alle Anwohner. Für alle Kinogänger heißt das aber, sich mit den Grundeinstellungen des eigenen Autos auseinanderzusetzen, bei neueren Gefährten kann es sein, dass die Radios ohne Zündung nach einiger Zeit abgeschaltet werden. Wenn das Radio läuft, wird Kino von den Autositzen aus ein neues Erlebnis, eine Mischung aus privat und öffentlich.
Dieses cineastische Angebot hat der leidenschaftliche Kinogänger Wolfram Paulus aus Neusäß mit seiner Frau gerne angenommen. „Endlich gibt es wieder die Gelegenheit, ins Kino zu gehen.“In seiner Jugend war er schon im Autokino gewesen, allerdings fällt ihm nicht mehr ein, wo. „Damals war das Kino nicht das Wichtigste“, sagt er verschmitzt, mit seiner Freundin sei er dort gewesen. Er hofft, dass Autokinos auch nach der CoronaPandemie erhalten bleiben.
Bis in den Juli hinein wird das Liliom Kino weiter täglich auf dem Gersthofer Festplatz Filme zeigen. Mit dem ersten Abend sind die Betreiber Daniela Bergauer und Michael Hehl schon einmal zufrieden, die Vorstellung war fast ausverkauft, auch für die nächsten Tage seien schon viele Tickets gebucht worden. Bald wird die Konkurrenz größer. Auf dem Parkplatz der Augsburger Messe wird das „Messeflimmern“seinen Betrieb aufnehmen, wo nicht nur Filme gezeigt werden, sondern auch bekannte Künstler auftreten werden. In Füssen hat das Alpenfilmtheater am Donnerstagabend auf dem Festplatz zum ersten Mal einen Film präsentiert, und in Königsbrunn soll das dortige Cineplex auf dem Festplatz vom 25. Juni bis zum 5. Juli die Königsbrunner Gautsch ersetzen, die wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. Die Gelegenheiten, in der Region ein Autokino zu besuchen, nehmen zu. Estella, Müller und Paulus, drei Besucher des Mabuse-Films in Gersthofen, werden es auf jeden Fall wieder tun.