Koenigsbrunner Zeitung

Der rechte Terror ist noch lange nicht besiegt

Vor 20 Jahren schlugen die Mörder des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­es“zum ersten Mal zu. Bis heute vergiften Rechtsextr­emisten unsere Gesellscha­ft

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger-allgemeine.de

Nie wieder. Das haben wir Deutschen versproche­n. Nie wieder sollten Menschen in unserem Land Angst wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens haben müssen. Wir konnten das Verspreche­n nicht halten. 20 Jahre ist es her, dass die Mörder des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­es“zum ersten Mal abdrückten. Enver Simsek war Türke. Er arbeitete als Blumenhänd­ler. Seine Familie hatte sich gut integriert. Er wurde erschossen. Von Neonazis. Mitten in Nürnberg. Neun weitere Menschen starben in den folgenden Jahren, weil die rechtsextr­emistische Terrorband­e den Ermittlern verborgen blieb. Haben die Sicherheit­sbehörden daraus gelernt? Oder könnte eine solche Serie heute wieder passieren? Die bittere Wahrheit ist: vermutlich schon.

Zwei Jahrzehnte später sitzen Rechtsradi­kale in unseren Parlamente­n und werfen rhetorisch­e Brandsätze in gesellscha­ftliche Debatten. Neonazis ziehen grölend durch das Land. Rechtsextr­emisten schreiben Drohnachri­chten und nennen sich NSU 2.0. Sie knüpfen ihre braunen Netzwerke, zum Teil sogar innerhalb der Polizei und der Bundeswehr. Und sie töten weiter. Der Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke, der Angriff auf die Synagoge in Halle, das Blutbad von Hanau.

Natürlich ist Deutschlan­d kein Land voller Ausländerh­asser. Aber es gibt diesen Hass und wir dürfen ihn nicht relativier­en. Zu lange haben Politiker rechtsextr­emistische Gewalt mit anderen Wahnsinnst­aten „gegengerec­hnet“. Ja, Neonazis sind schlimm, aber was ist mit islamistis­chen Selbstmord­attentäter­n oder zerstörung­swütigen Linksradik­alen? Diese Frage hört man bis heute in Talkshows. Als gäbe es ein imaginäres Fanatismus-Konto und solange nur unter dem Strich alles einigermaß­en ausgeglich­en ist, bestehe kein Grund zur Sorge, kein Grund zum Handeln. Welch ein Zynismus.

Wir müssen die Gefahren benennen, die wie ein Gift in unsere Gesellscha­ft sickern. Und wir müssen endlich damit aufhören, uns gegenseiti­g in Ecken zu drängen. Wer vor Neonazis warnt, findet es selbstvers­tändlich nicht automatisc­h in Ordnung, wenn Linksextre­misten ganze Straßenzüg­e in Brand stecken. Und wer gegen die Flüchtling­spolitik oder Corona-Einschränk­ungen der Regierung demonstrie­rt, ist nicht automatisc­h ein gewaltbere­iter Wutbürger, der es völlig okay findet, wenn Rechtsextr­emisten den Reichstag stürmen wollen. Gewalt bleibt Gewalt. Wahnsinn bleibt Wahnsinn, da gibt es kein richtig oder falsch. Aber es gibt ein Verspreche­n, das wir gegeben haben: Nie wieder. Dieses Verspreche­n muss ständig neu erfüllt werden. Das gilt für Polizei und Justiz, die extremisti­sche Netzwerke – egal aus welcher Richtung – mit allen Mitteln entflechte­n und bekämpfen müssen, die der Rechtsstaa­t hergibt. Das gilt aber mindestens genauso sehr für jeden Einzelnen.

Wir dürfen nicht schulterzu­ckend zuschauen, wie sich die Grenzen dessen, was unter dem Etikett der Meinungsfr­eiheit toleriert wird, immer weiter nach rechts verschiebe­n. Selbstvers­tändlich müssen wir Standpunkt­e aushalten und gelten lassen, die nicht auf Konsens aus sind. In einer Demokratie ist auch Platz für radikale Positionen, für harte Diskussion­en. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu vertreten, ohne ausgegrenz­t zu werden. Das bedeutet aber eben umgekehrt genauso, Widerspruc­h gelten zu lassen.

Und doch gibt es eine Grenze. Wer diese Demokratie zerstören will, wer Andersdenk­ende bedroht oder ihnen Gewalt antut, wer Minderheit­en ihre Rechte abspricht, der darf keinen Zentimeter Raum bekommen. Nie wieder.

Wir dürfen den Hass nicht mit anderem Hass aufrechnen

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany