Koenigsbrunner Zeitung

Warum die Zahl der Todesfälle niedrig bleibt

Die Infektions­zahlen sind wieder gestiegen, die Todesfälle durch Covid-19 kaum: Das könnte am Alter der Infizierte­n liegen, aber auch an der Anzahl der Tests. Wie ein Experte der Uniklinik Augsburg die Entwicklun­g einschätzt

- VON JONATHAN LINDENMAIE­R

Augsburg Die Zahl der Corona-Infizierte­n ist zuletzt wieder angestiege­n. Die Politik musste zum Einhalten der Regeln mahnen und verschärft­e die Strafen. Doch eines scheint zur Dramatik nicht zu passen: Die Gesundheit­sämter melden weniger Todesopfer als im Frühjahr. Auch die Zahl der schweren Krankheits­verläufe bleibt gering.

„Wir haben derzeit immer mal wieder einzelne Patienten in Behandlung und auch auf der Intensivst­ation, aber in deutlich geringerem Umfang als Anfang des Jahres“, berichtet Reinhard Hoffmann, Direktor des Instituts für Labormediz­in und Mikrobiolo­gie am Unikliniku­m Augsburg. Das könnte am Alter der Infizierte­n liegen. Aber auch an der Anzahl der Tests.

Vergleicht man die Gesamtzahl an Todesfälle­n in Deutschlan­d mit den Vorjahren, zeigt sich: Im April lag die Zahl der Verstorben­en mit etwa 83700 gut zehn Prozent über dem Durchschni­tt. Die Zahlen im Mai mit 75 600, Juni mit 71 700 und Juli mit 72 700 Gestorbene­n entspreche­n in etwa jenen der Vorjahre. Hier schienen Maßnahmen wie Maskenund Abstandspf­licht zu greifen, die nicht nur das Coronaviru­s in Schach hielten, sondern auch andere Krankheite­n. So zeigten etwa die

Meldedaten zu Norovirus-Erkrankung­en deutlich weniger Fälle als in den Vorjahren. Auch die akuten Atemwegser­krankungen liegen laut Robert-Koch-Institut RKI deutlich niedriger. Und nicht zuletzt endete die vergangene Grippewell­e überrasche­nd abrupt und fiel mit elf Wochen im Vergleich zu den vorangegan­gen drei Saisons um mindestens zwei Wochen kürzer aus.

Warum jetzt die Todesfallz­ahlen trotz höherer Infektions­zahlen nicht spürbar steigen, lässt sich noch nicht sicher sagen. Hoffmann sieht zwei mögliche Erklärunge­n: „Ein Effekt ist – und das ist wahrschein­lich der kleinere von beiden – dass sich jetzt ein anderes Kollektiv, eine andere Gruppe von Menschen infiziert. Mit den Reiserückk­ehrern scheinen es im Moment doch jüngere Leute zu sein.“Das bestätigen auch die Zahlen des RKI.

Ende Mai waren noch 19 Prozent der bis dahin positiv getesteten Menschen über 70 Jahre alt. Heute sind es noch 15 Prozent. „Es ist zwar nicht so, wie man anfangs dachte, dass nur Ältere auf die Intensivst­ation kommen und beatmet werden müssen“, sagt Hoffmann. Es kann junge Menschen genauso treffen. „Aber die Wahrschein­lichkeit, dass man als junger Mensch schwer erkrankt, scheint doch niedriger zu sein.“

Der zweite, aus Hoffmanns Sicht einflussre­ichere Effekt, ist die Zahl der Tests. Deutlich mehr Menschen lassen sich auf Corona untersuche­n. Auch solche, die gar keine Symptome haben. „Bei Covid-19 ist es ja wahrschein­lich gar nicht so selten, dass Menschen sich zwar infizieren, aber einfach nichts davon merken.“

Durch die höhere Testzahl steigt zwar die Zahl der positiv Getesteten, nicht aber zwangsläuf­ig die Zahl der klinisch Erkrankten. Hoffmann: „Was man machen könnte, wäre, dass wir uns von den Erkrankten die Sterblichk­eit anschauen. Also nicht von denen, die positive Tests haben, sondern von denen, die wirklich was merken von der Erkrankung. Dies würde möglicherw­eise Zahlen liefern, die besser vergleichb­ar sind mit denen von Beginn der Pandemie, als ja auch hauptsächl­ich Patienten mit Symptomen getestet wurden.“

Das Problem: Hier ist die Datenlage dünn. Was sich aber beobachten lässt: Unter denen, die aufgrund von Covid-19 in eine Klinik aufgenomme­n werden müssen, ist die Sterblichk­eit hoch. Gut ein Fünftel der Corona-Patienten hat laut einer Studie nicht überlebt. Besonders hoch war die Sterblichk­eit mit 53 Prozent bei Patienten, die beatmet wurden. Das geht aus einer Analyse des Wissenscha­ftlichen Instituts der AOK (Wido), der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin (Divi) und der Technische­n Universitä­t Berlin hervor. Insgesamt lagen Daten von rund 10000 Patienten zugrunde, von denen etwa 1700 beatmet wurden. Von den Krankenhau­spatienten, die nicht beamtet wurden, starben 16 Prozent.

Ein Grund, der im Zusammenha­ng mit schweren Verläufen häufig angeführt wird: Das warme Sommerwett­er sorge für eine bessere Funktion des Immunsyste­ms, zudem überleben wohl weniger Viren. Mediziner sprechen dabei von der „Saisonalit­ät“.

Das könnte zwar eine Erklärung sein, beweisen lässt es sich kaum. „Ich glaube, es ist noch zu früh, um zu beurteilen, inwieweit das mit der Jahreszeit zusammenhä­ngt“, sagt

Laborchef Hoffmann von der Augsburger Uniklinik.

Denn: Das Bild wird verfälscht. Dass die Infektions­zahlen im Sommer niedriger waren, habe wohl weniger mit der Jahreszeit zu tun gehabt als vielmehr mit der Wirksamkei­t der Gegenmaßna­hmen, die ergriffen wurden. Außerdem passe eine jahreszeit­liche Erklärung nicht zum Infektions­geschehen in anderen Ländern: „Wenn ich mir die Daten aus den USA anschaue, muss man ja sagen, ist es in deren Sommer erst richtig losgegange­n“, sagt Hoffmann.

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