Warum die Zahl der Todesfälle niedrig bleibt
Die Infektionszahlen sind wieder gestiegen, die Todesfälle durch Covid-19 kaum: Das könnte am Alter der Infizierten liegen, aber auch an der Anzahl der Tests. Wie ein Experte der Uniklinik Augsburg die Entwicklung einschätzt
Augsburg Die Zahl der Corona-Infizierten ist zuletzt wieder angestiegen. Die Politik musste zum Einhalten der Regeln mahnen und verschärfte die Strafen. Doch eines scheint zur Dramatik nicht zu passen: Die Gesundheitsämter melden weniger Todesopfer als im Frühjahr. Auch die Zahl der schweren Krankheitsverläufe bleibt gering.
„Wir haben derzeit immer mal wieder einzelne Patienten in Behandlung und auch auf der Intensivstation, aber in deutlich geringerem Umfang als Anfang des Jahres“, berichtet Reinhard Hoffmann, Direktor des Instituts für Labormedizin und Mikrobiologie am Uniklinikum Augsburg. Das könnte am Alter der Infizierten liegen. Aber auch an der Anzahl der Tests.
Vergleicht man die Gesamtzahl an Todesfällen in Deutschland mit den Vorjahren, zeigt sich: Im April lag die Zahl der Verstorbenen mit etwa 83700 gut zehn Prozent über dem Durchschnitt. Die Zahlen im Mai mit 75 600, Juni mit 71 700 und Juli mit 72 700 Gestorbenen entsprechen in etwa jenen der Vorjahre. Hier schienen Maßnahmen wie Maskenund Abstandspflicht zu greifen, die nicht nur das Coronavirus in Schach hielten, sondern auch andere Krankheiten. So zeigten etwa die
Meldedaten zu Norovirus-Erkrankungen deutlich weniger Fälle als in den Vorjahren. Auch die akuten Atemwegserkrankungen liegen laut Robert-Koch-Institut RKI deutlich niedriger. Und nicht zuletzt endete die vergangene Grippewelle überraschend abrupt und fiel mit elf Wochen im Vergleich zu den vorangegangen drei Saisons um mindestens zwei Wochen kürzer aus.
Warum jetzt die Todesfallzahlen trotz höherer Infektionszahlen nicht spürbar steigen, lässt sich noch nicht sicher sagen. Hoffmann sieht zwei mögliche Erklärungen: „Ein Effekt ist – und das ist wahrscheinlich der kleinere von beiden – dass sich jetzt ein anderes Kollektiv, eine andere Gruppe von Menschen infiziert. Mit den Reiserückkehrern scheinen es im Moment doch jüngere Leute zu sein.“Das bestätigen auch die Zahlen des RKI.
Ende Mai waren noch 19 Prozent der bis dahin positiv getesteten Menschen über 70 Jahre alt. Heute sind es noch 15 Prozent. „Es ist zwar nicht so, wie man anfangs dachte, dass nur Ältere auf die Intensivstation kommen und beatmet werden müssen“, sagt Hoffmann. Es kann junge Menschen genauso treffen. „Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man als junger Mensch schwer erkrankt, scheint doch niedriger zu sein.“
Der zweite, aus Hoffmanns Sicht einflussreichere Effekt, ist die Zahl der Tests. Deutlich mehr Menschen lassen sich auf Corona untersuchen. Auch solche, die gar keine Symptome haben. „Bei Covid-19 ist es ja wahrscheinlich gar nicht so selten, dass Menschen sich zwar infizieren, aber einfach nichts davon merken.“
Durch die höhere Testzahl steigt zwar die Zahl der positiv Getesteten, nicht aber zwangsläufig die Zahl der klinisch Erkrankten. Hoffmann: „Was man machen könnte, wäre, dass wir uns von den Erkrankten die Sterblichkeit anschauen. Also nicht von denen, die positive Tests haben, sondern von denen, die wirklich was merken von der Erkrankung. Dies würde möglicherweise Zahlen liefern, die besser vergleichbar sind mit denen von Beginn der Pandemie, als ja auch hauptsächlich Patienten mit Symptomen getestet wurden.“
Das Problem: Hier ist die Datenlage dünn. Was sich aber beobachten lässt: Unter denen, die aufgrund von Covid-19 in eine Klinik aufgenommen werden müssen, ist die Sterblichkeit hoch. Gut ein Fünftel der Corona-Patienten hat laut einer Studie nicht überlebt. Besonders hoch war die Sterblichkeit mit 53 Prozent bei Patienten, die beatmet wurden. Das geht aus einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivund Notfallmedizin (Divi) und der Technischen Universität Berlin hervor. Insgesamt lagen Daten von rund 10000 Patienten zugrunde, von denen etwa 1700 beatmet wurden. Von den Krankenhauspatienten, die nicht beamtet wurden, starben 16 Prozent.
Ein Grund, der im Zusammenhang mit schweren Verläufen häufig angeführt wird: Das warme Sommerwetter sorge für eine bessere Funktion des Immunsystems, zudem überleben wohl weniger Viren. Mediziner sprechen dabei von der „Saisonalität“.
Das könnte zwar eine Erklärung sein, beweisen lässt es sich kaum. „Ich glaube, es ist noch zu früh, um zu beurteilen, inwieweit das mit der Jahreszeit zusammenhängt“, sagt
Laborchef Hoffmann von der Augsburger Uniklinik.
Denn: Das Bild wird verfälscht. Dass die Infektionszahlen im Sommer niedriger waren, habe wohl weniger mit der Jahreszeit zu tun gehabt als vielmehr mit der Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen, die ergriffen wurden. Außerdem passe eine jahreszeitliche Erklärung nicht zum Infektionsgeschehen in anderen Ländern: „Wenn ich mir die Daten aus den USA anschaue, muss man ja sagen, ist es in deren Sommer erst richtig losgegangen“, sagt Hoffmann.