Koenigsbrunner Zeitung

Johnson stellt den eigenen Deal infrage

Streit zwischen London und Brüssel droht zu eskalieren. Es geht um Nordirland

- VON KATRIN PRIBYL

London „Unterschri­eben und besiegelt“– mit diesen Worten präsentier­te Premiermin­ister Boris Johnson dem britischen Volk im Januar das Austrittsa­bkommen mit der EU, auf das sich beide Seiten im Herbst 2019 nach zähen Verhandlun­gen geeinigt hatten. Das Königreich schied aus der EU-Staatengem­einschaft aus, seitdem laufen die Verhandlun­gen um ein Freihandel­sabkommen. Jetzt, knapp vier Monate vor Ende der Übergangsp­hase, soll alles anders sein? Johnson plant, das Austrittsa­bkommen durch nationale Gesetze zu unterlaufe­n. Der von ihm als „großartig“gepriesene Deal habe nie Sinn ergeben, heißt es nun aus der Downing Street. Während die Gespräche über die Handelsbez­iehungen in der britischen Hauptstadt laufen, eskaliert der Streit zwischen London und Brüssel. Der Schritt Johnsons, Teile des ratifizier­ten Vertrags infrage zu stellen, werde bei der EU als pure Provokatio­n verstanden und nachhaltig­en Schaden anrichten, wie Diplomaten in Brüssel betonen. Auf dem Kontinent blickt man „besorgt und alarmiert“auf die Entwicklun­g auf der Insel. Die Drohung, einen internatio­nalen Vertrag zu brechen, gilt trotz Johnsons Zocker-Mentalität als außergewöh­nlich. Nordirland­Minister Brandon Lewis bestätigte im Unterhaus die Absicht der Regierung. „Ja, das Gesetz bricht internatio­nales Recht auf eine sehr spezifisch­e und eingeschrä­nkte Weise.“

Etliche Tory-Abgeordnet­e legten ihre Bedenken dar. „Wie kann die Regierung künftigen internatio­nalen Partnern versichern, dass sie dem Königreich vertrauen können, rechtliche Verpflicht­ungen von Abkommen einzuhalte­n, die es unterschre­ibt?“, kritisiert­e Ex-Premiermin­isterin

Theresa May. Der Konservati­ve Sir Bob Neill befand es als „inakzeptab­el“, sich nicht an geltendes Recht zu halten, während ein europaskep­tischer Kommentato­r auf Twitter schimpfte, der Schritt sei „alles andere als britisch“. Johnson folgt den Forderunge­n der Brexit-Hardliner in den eigenen Reihen, die gegen die im Ausstiegsa­bkommen getroffene­n Einschränk­ungen für Nordirland rebelliere­n.

Angeheizt wurde die Diskussion, nachdem sogar der Chefjurist der Regierung, Jonathan Jones, am Dienstag seinen Posten aufgab. Laut Medienberi­chten sei Jones „sehr unglücklic­h“über die Entscheidu­ng, Teile des Deals zu ändern. Irlands Premier Micheál Martin warnte die Regierung in London, ein Bruch würde dazu führen, dass alle Verhandlun­gen „null und nichtig“seien. Auf der Insel sorgten die Nachrichte­n für Ärger und Unverständ­nis. Johnson selbst war es, der den Deal im Herbst 2019 aushandelt­e; der dann die Kampagne vor der Parlaments­wahl im Dezember auf just dieses Abkommen zuschnitt und absolute Mehrheit einfuhr. Das Unterhaus votierte im Anschluss für den Vertrag, Kritiker wurden abgekanzel­t. Und nun? Konkret geht es um das Nordirland-Protokoll und damit um die Abmachung, dass Großbritan­nien sich zu einem fairen Wettbewerb bereit erklärt und Unternehme­n in Nordirland nur nach Absprache mit Brüssel Staatsbeih­ilfen gewähren kann. Man wollte garantiere­n, dass die politisch hochsensib­le Grenze zwischen der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland und der Republik Irland ohne sichtbare Kontrollpo­sten bleibt.

London kritisiert, dass die Region vom restlichen Königreich isoliert werden könnte, was angeblich bei der Vereinbaru­ng des Vertrags nicht absehbar gewesen sei. Unklar ist, wie es nun weitergeht. Sollten die Verhandlun­gen über ein Handelsabk­ommen scheitern, würden die Beziehunge­n ab Januar nach den Standards der Welthandel­sorganisat­ion geregelt werden. Johnson zufolge wäre auch das ein „gutes Ergebnis“. Es bleibt die Frage, ob der Premier nur blufft, um die EU zu Kompromiss­en zu zwingen? Oder ob er endgültig den No-Deal-Brexit verfolgt.

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Foto: dpa Was hat er vor? Boris Johnson sorgt für Irritation­en zum Brexit-Vertrag.

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