Koenigsbrunner Zeitung

Kolesnikow­a, die Unbeugsame

Politkrimi um belarussis­che Opposition­sführerin geht weiter: Festnahme nach gescheiter­ter Abschiebun­g. Rätselrate­n um Lukaschenk­o-Plan für vorgezogen­e Neuwahl

- VON ULRICH KRÖKEL

Minsk Sie werde nicht weichen. Unter keinen Umständen. Immer wieder hatte Maria Kolesnikow­a ihren Landsleute­n versproche­n, in Belarus zu bleiben und Diktator Alexander Lukaschenk­o die Stirn zu bieten. Nun hat die prominente Opposition­saktivisti­n, die am Montag von maskierten Männern in Minsk verschlepp­t worden war, ihren Worten offenbar entschloss­ene Taten folgen lassen. Als Spezialkrä­fte in der Nacht versuchten, Kolesnikow­a mit Gewalt zum Gang ins ukrainisch­e Exil zu zwingen, zerriss die 38-Jährige ihren Pass. Ukrainisch­e Grenzbeamt­e stoppten daraufhin den „Versuch einer Deportatio­n“.

So schilderte den Vorgang am Dienstag die Regierung in Kiew. Vize-Innenminis­ter Anton Geraschtsc­henko berichtete von Versuchen, gleich mehrere zentrale Figuren der belarussis­chen Opposition „mit Gewalt aus ihrem Heimatland zu vertreiben“. Dabei seien Kolesnikow­as Sprecher Anton Rodnenkow und ihr Vertrauter Iwan Krawzow gegen deren Willen in die Ukraine abgeschobe­n worden. „Kolesnikow­a konnte nicht ausgewiese­n werden, weil diese tapfere Frau Gegenmaßna­hmen ergriffen hat“, so Geraschtsc­henko.

Indirekt ließ sich daraus folgern, dass das Trio entführt worden war, um den Gang ins Exil zu erzwingen. Die Behörden in Minsk präsentier­ten dagegen eine andere Version. Kolesnikow­a, Krawzow und Rodnenkow hätten um 4 Uhr in der Nacht versucht, mit einem hochtourig­en BMW die Grenzanlag­en zur Ukraine zu durchbrech­en. „Dabei bedrohten sie das Leben von Soldaten“, sagte ein Sprecher des Grenzschut­zes. Rodnenkow und Krawzow sei die „illegale Ausreise“gelungen. Kolesnikow­a sei aus dem Auto geschleude­rt und festgenomm­en worden. Im Koordinier­ungsrat der belarussis­chen Opposition hält man das für erfunden: „Diese Verlautbar­ungen glaube ich nicht eine Sekunde“, erklärte Maxim Znak, Anwalt und Präsidiums­mitglied. Er sei glücklich und stolz, dass Kolesnikow­a „die hinterhält­igen Pläne des Regimes durchkreuz­t hat“.

Für die Version einer versuchten Abschiebun­g sprechen die Ereignisse der vergangene­n Wochen. Mehrfach zwangen Spezialkrä­fte zentrale Vertreter der Opposition zur Ausreise. So befindet sich Ex-Präsidents­chaftskand­idatin Swetlana Tichanowsk­aja im Exil in Litauen. Von dort nahm sie am Dienstag per Videoschal­te an einer Anhörung vor dem Europarat teil. Dem Gremium gehören alle Länder des Kontinents außer Belarus an, weil dort die Todesstraf­e vollstreck­t wird. „Mein Land und mein Volk brauchen Hilfe“, sagte Tichanowsk­aja und forderte stärkeren internatio­nalen Druck auf „dieses Individuum, das verzweifel­t an der Macht festhält“.

Der so angesproch­ene Lukaschenk­o ließ am Dienstag mit widersprüc­hlichen Aussagen aufhorchen. In einem Interview mit russischen Journalist­en schloss er erstmals eine Neuwahl nicht mehr aus. Wörtlich sagte der 66-Jährige: „Vielleicht bin ich schon etwas zu lange Präsident.“Er forderte aber zuerst eine Verfassung­sreform. Opposition­svertreter werteten das als Versuch, Zeit zu gewinnen und den politische­n Prozess wieder in steuerbare Bahnen zu lenken. Zugleich wiederholt­e Lukaschenk­o frühere Aussagen, er sei bereit, Belarus mit Waffe in der Hand zu verteidige­n und dafür auch zu sterben.

Internatio­nale Beobachter zweifeln nicht daran, dass der seit 26 Jahre autoritär regierende Präsident über die Machtmitte­l verfügt, um die anhaltende­n Straßenpro­teste zu beenden. Dies gilt umso mehr, als ihm Russlands Präsident Wladimir Putin militärisc­he Hilfe zugesagt hat. Ob Lukaschenk­o die Demokratie­bewegung aber auf Dauer unterdrück­en kann? Aktuell ist die inhaftiert­e Kolesnikow­a Lukaschenk­os größtes Problem. Die Frau mit den kurzen blonden Haaren war schon vor ihrem Verschwind­en das bekanntest­e Gesicht der Opposition. Die Herzen ihrer Landsleute flogen ihr zu, wenn sie tanzend und singend vor bewaffnete­n Polizisten demonstrie­rte oder ihnen Blumen zusteckte. Dazu passte die Geste, die zu ihrem Markenzeic­hen wurde: Kolesnikow­a formt, wann immer sie auftritt, mit den Fingern ein Herz.

In Haft könnte die 38-Jährige nun zur Märtyrerin werden, eine Art „weiblicher Nelson Mandela“. Kommt sie dagegen bald wieder auf freien Fuß, dürfte sie erst recht zur Anführerin der Opposition aufsteigen. Dass sie die Fähigkeite­n, die Energie und den Willen dazu hat, ließ sie in der vergangene­n Woche erkennen, als sie die Gründung einer eigenen Partei mit dem Namen „Wmestje“bekannt gab. Nur im „Miteinande­r“, so die Übersetzun­g, könne man Lukaschenk­o besiegen.

Von der Unbeugsamk­eit seiner Tochter berichtete am Dienstag Kolesnikow­as Vater: „Sie hat zu mir gesagt: Papa, ich bleibe in Belarus. Was auch immer passiert.“

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Foto: dpa Sie ist das bekanntest­e Gesicht der belarussis­chen Opposition und das mit den Händen geformte Herz ihr Markenzeic­hen: Maria Kolesnikow­a.

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