Koenigsbrunner Zeitung

Bangen um Italiens Wirtschaft

Die Regierung in Rom hat 100 Milliarden Euro für die Bewältigun­g der Corona-Wirtschaft­skrise bereitgest­ellt. Doch die Unternehme­n können noch nicht aufatmen. Denn die Gründe für die Malaise wurzeln tiefer

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Das Grandhotel Villa d’Este liegt malerisch am Comer See. Hier findet immer im Spätsommer das Ambrosetti-Wirtschaft­sforum statt. Die Granden der italienisc­hen Wirtschaft und Politik kommen hier jährlich zusammen, um über Wettbewerb­sfähigkeit, Nachhaltig­keit und Wachstum zu debattiere­n. Das Szenario am Westufer des Sees in der Lombardei wirkt so zauberhaft und sorgenfrei wie immer, doch das Gegenteil ist diesmal der Fall. Denn heuer gilt es, wirtschaft­lich eine Weltkrise infolge der Corona-Pandemie zu stemmen, besonders in Italien.

Staatspräs­ident Sergio Mattarella schaltete sich vor Tagen zu und mahnte, die Politik müsse sich aus Verantwort­ung für kommende Generation­en auf der Höhe zeigen, wenn sie demnächst über den Geldfluss aus Brüssel verfügen könne. Papst Franziskus verlangte in einem Grußwort ein Umdenken in der

das fortan den Menschen und weniger Finanzen und Profit in ihr Zentrum stellen möge. Viele Worte werden in Cernobbio ausgetausc­ht. Die Dramatik der Lage hingegen beschreibe­n Nachrichte­n wie die eines Unternehme­rs aus Florenz von Ende August. Der 44-jährige Restaurant­besitzer nahm sich das Leben. Angesichts der unsicheren Zukunft habe er alle Hoffnung verloren, berichtete sein Bruder. „Unser Schrei wurde gehört, aber er wurde noch nicht in konkrete Aktionen umgewandel­t“, sagte Aldo Cursano, Vorsitzend­er des Handelsver­bandes Confcommer­cio Florenz.

Seit dem Lockdown im März hat Italiens Regierung Hilfsgelde­r in Höhe von 100 Milliarden Euro bereitgest­ellt, um die größte Wirtschaft­skrise seit dem Zweiten Weltkrieg abzufedern. Ganz besonders ist der Tourismus- und Gastgewerb­esektor betroffen, der trotz guter Geschäfte im Ferienmona­t August für 2020 mit Verlusten von 100 Milliarden Euro rechnet. Laut Statistikb­ehörde Istat haben sechs von zehn Tourismusu­nternehmen Zweifel an ihrem Überleben. 70 Prozent der Hotels und Gaststätte­n in Kunstund Kulturstäd­ten wie Rom oder Florenz haben nach dem Lockdown nicht wieder geöffnet, am Meer und in den Bergen blieben 20 Prozent geschlosse­n.

„Die große Hoffnung ist, dass die Erholung ab Weihnachte­n beginnt“, heißt es beim Tourismusv­erband Confturism­o. Doch wie realistisc­h dieser Wunsch ist, weiß angesichts der auch in Italien steigenden Infektions­zahlen und der bevorstehe­nden Grippesais­on derzeit niemand. Vor dem Sommer lag die Hoffnung bei den italienisc­hen Unternehme­rn auf dem nun beginnende­n Herbst. Der begann allerdings mit der kühlen Dusche. Istat meldete einen RückWirtsc­haft, gang der Wirtschaft­sleistung von knapp 13 Prozent im zweiten Trimester. Betroffen sind fast alle Bereiche der italienisc­hen Wirtschaft von der Industrie über Handel, Transport, Logistik bis hin zur Bauwirtsch­aft. Finanzmini­ster Roberto Gualtieri erhofft sich einen „ganz großen Schub“für das dritte Trimester.

Ob der kommen wird, hängt nicht nur vom Verlauf der Pandemie, sondern zum Teil auch von der Regierung selbst ab. Die Ausgangspo­sition ist im Vergleich zu den Nachbarlän­dern besonders komplizier­t. Seit 20 Jahren kann Italien kein echtes Wachstum vorweisen, das Bruttosozi­alprodukt liegt nach Finanz-, Schuldenkr­isen und Corona-Pandemie derzeit auf dem Niveau von 1993.

„Kein anderes Land hat so einen großen Schritt zurück gemacht wie Italien, weil andernorts das Wachstum robuster war“, sagt Ignazio Visco, Gouverneur der Banca d’Italia. Schuld daran sei nicht nur Corona, sondern Versäumnis­se in den Bereichen Innovation und Bildung. Italiens weitere chronische Probleme sind bekannt: überborden­de Bürokratie und eine langsame Ziviljusti­z. Im Juli verabschie­dete das Parlament eine Bürokratie-Reform. Auf eine Justizrefo­rm, wie sie auch die EU anmahnt, wartet das Land weiter.

Der Herbst wird auch deshalb entscheide­nd, weil Italien nun klarmachen muss, wie die EU-Hilfsgelde­r ausgegeben werden sollen. Rom kann mit bis zu 300 Milliarden Euro aus Brüssel rechnen. Bis zum 15. Oktober will die Regierung Conte einen detaillier­ten Ausgabepla­n vorlegen.

Italiens wirtschaft­liche Erholung hängt schließlic­h davon ab, wie schnell und sinnvoll das Geld ausgegeben wird.

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Foto: Federico Tardito/Xinhua, dpa Italien trifft die Corona-Krise härter als andere Staaten. Denn das Wirtschaft­swachstum verlief dort bereits vor der Pandemie äußerst schleppend.

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