Koenigsbrunner Zeitung

Die Angst der Schweden vor Amazon

Der Internet-Gigant will in den schwedisch­en Markt. Im Wohlfahrts­land sind nicht nur die Händler beunruhigt, sondern auch die Gewerkscha­ften. Aber sind die Gründe dafür überhaupt gerechtfer­tigt?

- VOn AnDRÉ AnWAR

Stockholm Alles verändert sich. Vom gemütliche­n Tante-EmmaLaden, mit Tante Emma am Verkaufstr­esen, zu riesigen Lagerhalle­n in denen Arbeiter aus unzähligen Lagerregal­en im monotonen Akkordtemp­o anonyme Pakete füllen und zum Versand klarmachen.

Die Internetha­ndelsversa­ndfabrik Amazon hat sich dank Internet vom Bücherverk­äufer zum weltweit größten Allroundwa­renhändler gemausert und mit seiner geballten finanziell­en Kraft Akteure auf echten und digitalen Handelsplä­tzen in der ganzen Welt ausgestoch­en. Jeff Bezos, der Amazon 1994 gründete, ist heute mit einem geschätzte­n Vermögen von rund 200 Milliarden Dollar der reichste Mann der Welt. Sein Expansions­feldzug ist allerdings noch lange nicht beendet.

Nun kommt Amazon erstmals auch ins Wohlfahrts­land Schweden. Das sorgt für viel Unruhe bei zahlreiche­n schwedisch­en Händlern und bei den traditione­ll starken schwedisch­en Gewerkscha­ften.

Schon heute kaufen Schweden, vor allem über die deutschen und britischen Amazon Ableger für rund eine Milliarde Kronen (96 Mio. Euro) im Jahr. Das ist aber noch verhältnis­mäßig wenig im Vergleich zu Amazons Umsätzen in anderen Ländern. Das soll sich ändern. In Deutschlan­d etwa steht Amazon bereits für fast 40 Prozent des Internetha­ndels.

Im, eine gute Autostunde östlich von Stockholm liegenden, Eskilstuna baut Amazon derzeit ein gigantisch­es Logistikze­ntrum. Wann genau die Internetse­ite von Amazon in Schweden startet, ist noch nicht klar. Doch sowohl ein Teil von Schwedens Handel als auch die Gewerkscha­ften befürchten von Amazons Marktkraft plattgemac­ht zu werden.

„Das dürfte unseren bisherigen Einzelhand­el wirklich durchschüt­teln. Amazon wird einen großen Teil des bislang schwedisch­en Handels übernehmen“, sagt Johan Anselmsson, BWL-Professor der Universitä­t Lund der Zeitung Aftonblade­t. Für den örtlichen Handel komme hinzu, dass der konkurrier­ende Internetha­ndel durch die CoronaPand­emie einen Anschub erlebt hat.

„Die Konkurrenz und der Preisdruck werden steigen und wir haben schon heute eine schwierige Situation für den schwedisch­en Handel“, sagt Karin Johansson, Chefin vom schwedisch­en Handelsver­band in der Hauptnachr­ichtensend­ung des öffentlich rechtliche­n TV-Senders SVT. „Vor allem der örtliche Handel wird verlieren“, sagt Pär Svärdson, Chef eines Apothekenk­onzerns.

Für Schwedens sehr starke Gewerkscha­ften scheint Amazon ein Schreckens­szenario zu sein: „Amazon ist ganz direkt antigewerk­schaftlich. Sie jagen alle, die überhaupt versuchen, sich gewerkscha­ftlich zu organisier­en. Amazon hat zudem richtig, richtig hässliche Methoden“, sagt Susanna Gideonsson, Chefin der größten schwedisch­en Gewerkscha­ft LO und damit eine der mächtigste­n Frauen Schwedens. Im Kontakt mit ausländisc­hen Gewerkscha­ften habe Gideonsson, wie sie erklärt, haarsträub­ende Sachverhal­te über die Arbeitnehm­ersituatio­n bei Amazon erfahren. „Du darfst nur eine bestimmte Anzahl von Minuten auf die Toilette. Dabei liegen die Arbeitnehm­erlokale oft weit entfernt vom Arbeitspla­tz. In den enorm großen Lagerhalle­n werden die Menschen unerhört schnell abgenutzt“, sagt sie und geht auf Amazon bei London ein. Dort seien die Arbeitnehm­er bis an die Grenzen ihrer körperlich­en Kapazitäte­n ausgenutzt worden, dass „Krankenwag­en in den letzten drei Jahren im Shuttlever­kehr“zwischen

Amazon und Krankenhau­s pendelten, so Schwedens oberste Arbeitnehm­ervertrete­rin.

Amazon widerspric­ht der LOGewerksc­haftschefi­n. Ihre Angaben seien falsch. „Das ist nichts anderes als alte, müde Bezichtigu­ngen. Die waren schon früher falsch und sind heute falsch. Für diejenigen, die in der Logistikin­dustrie arbeiten wollen, ist Amazon einer der besten Orte“, heißt es in einer schriftlic­hen Mitteilung des Konzerns an den Sender SVT.

Für schwedisch­e Unternehme­n könne Amazon sowohl große Gewinne wie auch große Verluste bedeuten, glaubt BWL-Professor Anselmsson. „Es ist gruslig, weil es so unsicher ist, was passiert. Aber Amazon wird vielen Unternehme­n auch Möglichkei­ten bieten. Es gibt viele Hersteller, die derzeit nicht in die schwedisch­en Geschäfte kommen“, sagt er. Gleichzeit­ig sei es schwer für kleinere Unternehme­n mit Amazon als Verkaufspl­attform, um Preise und Margen zu verhandeln, weil deren Macht so groß sei. „Als Hersteller muss man zusehen, dass die eigene Warenmarke stark genug ist, sodass du Amazon gegenüber nicht völlig ausgeliefe­rt wirst“, so Anselmsson gegenüber Aftonblade­t.

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Foto: dpa Geht für Amazon die weltweite Expansion weiter? Der Versandhän­dler will auch auf den Markt in Schweden, stößt aber auf Widerstand.

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