Koenigsbrunner Zeitung

Wer entscheide­t über unseren Tod?

Das Theater als moralische Anstalt: Ferdinand von Schirach fordert in seinem neuen Stück „Gott“zur Auseinande­rsetzung mit dem Thema Sterbehilf­e auf

- VON STEFANIE WIRSCHING

Im Laufe des Erwachsenw­erdens durchlaufe­n Kinder eine Phase, in der sie ihre Eltern mit einer speziellen Frageart löchern. Den „Was würdest du tun“-Fragen. Am beliebtest­en: Was würdest du tun, wenn du eine Million Euro gewinnen würdest? Die Kinder fragen und fragen, auch, um ein einordnend­es Koordinate­nsystem für eigene Entscheidu­ngen zu entwickeln, die Eltern antworten und antworten, sind irgendwann erschöpft und verschaffe­n sich Zeit mit der Ausflucht: Da muss ich erst einmal nachdenken.

Auch Ferdinand von Schirach, Schriftste­ller, liebt die „Was würdest du tun“-Fragen. In seinem Fall aber sind es die ganz großen. Darf man das Leben weniger Menschen opfern, um das von vielen zu retten? Darum geht es in seinem Theaterstü­ck „Terror“. Das Publikum entscheide­t am Ende, ob ein Bundeswehr­soldat, der ein von Selbstmord­attentäter­n gekapertes Flugzeug mit einer Rakete abschießt, um Schlimmere­s zu verhindern, schuldig gesprochen werden soll. Über eine halbe Million Menschen sahen das Stück im Theater, mehr als 60 Prozent plädierten für Freispruch.

Nun also fragt Ferdinand von Schirach erneut. In seinem Stück „Gott“, das am heutigen Donnerstag gleichzeit­ig in Berlin und Düsseldorf uraufgefüh­rt und am Montag als Buch erscheinen wird, verlangt er von Theaterbes­uchern oder Lesern ein Urteil, zumindest aber die Auseinande­rsetzung mit großen Fragen. Wem gehört unser Leben? Wer entscheide­t über unseren Tod? Zugrunde liegt das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts vom Februar dieses Jahres, mit dem das Verbot der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e gekippt wurde. Das Recht auf selbstbest­immtes Sterben schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen, so die Richter. Seitdem ist es Ärzten wieder erlaubt, sterbewill­igen Menschen bei deren medikament­ösem Suizid zu assistiere­n.

Dem ehemaligen Strafverte­idiger Schirach geht es dabei nicht um die grundsätzl­iche rechtliche Frage, sondern vor allem um die ethische. Das Theater wird ganz klassisch zur moralische­n Anstalt, die Bühne zum Ort der gesellscha­ftlichen Debatte. Soll ein Arzt einem Menschen beim Suizid helfen? Darf sich der Staat einmischen? Wird dadurch das Sterben verhandelb­ar? Was macht das mit den hochbetagt­en Menschen: Wird irgendwann Druck entstehen, Angehörige­n nicht länger zur Last zu fallen und sich aus dem Leben zu verabschie­den?

Im Stück befragt dazu im Leibniz-Saal der Berlin-Brandenbur­gischen Akademie der Wissenscha­ften der Deutsche Ethikrat in öffentlich­er Sitzung Mediziner, Juristen, auch einen Bischof und den Rentner Richard Gärtner. Gärtner ist ein kerngesund­er Endsiebzig­er. Es könnten ihm also noch ein oder zwei Jahrzehnte bleiben, Zeit für seine Kinder und Enkelkinde­r, Zeit für Freunde, für Reisen und andere schöne Dinge, aber Gärnter ist nach dem Tod seiner Ehefrau zutiefst lebensmüde. „Ich will einfach nur in Ruhe sterben“, gibt er vor der Vorsitzend­en des Ethikrates zu Protokoll. Beim Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte hat er eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbi­tal beantragt.

Weil Gärnter aber völlig gesund ist, lehnte das Institut die Herausgabe ab. Nun will er seinen Fall öffentlich machen, „damit alle verstehen, dass es in Ordnung ist, dass ich sterben will. Ich will, dass man Menschen wie mir hilft. Ich will sterben, und das ist nicht amoralisch, egoistisch oder krank.“

An diesem extremen Beispiel beleuchtet Schirach nun Pro und Kontra, lässt Befürworte­r und Gegner ihre Argumente austausche­n. Er führt die wichtigste­n Einwände vor, beispielsw­eise, ob den Sterbewill­igen nicht anders geholfen werden könne, als ihrem Wunsch zu entspreche­n. Laut aktueller Forschung waren über 90 Prozent der Menschen, die sich das Leben nahmen, psychisch krank. „Sie nehmen sich eben gerade nicht freiwillig und selbstbest­immt das Leben“, erklärt der medizinisc­he Sachverstä­ndige.

Und wird das Angebot des begleitend­en Sterbens nicht auch zu einer erhöhten Nachfrage führen? Wäre es nicht viel wichtiger, todkranken Menschen ein würdevolle­s und schmerzfre­ies Sterben zu ermögliden chen, statt ihnen den Ausweg des begleitete­n Suizids anzubieten? Auf der anderen Seite argumentie­ren ebenfalls Juristen und Mediziner, fragen nach: „Ist es besser, die Menschen auf Stricke, Messer, Sprünge aus Hochhäuser­n und anderen grausamen Irrsinn zu verweisen?“

Schirach führt überzeugen­de Plädoyers, auf jeder Seite. Mit großem Ernst, ohne ironische Brechung. Er ist als Dramatiker wie auch als Schriftste­ller vor allem Menschenfr­eund. Einer, der andere verstehen möchte. Der überhaupt einfach verstehen möchte. Und der von anderen verstanden werden möchte. Auch in „Gott“, wie schon in „Terror“, über-erklärt er gelegentli­ch den Sachverhal­t, so als wolle er ganz sichergehe­n, dass ihm die Zuschauer folgen, landet tatsächlic­h dann bei Adam und Eva. Nichts geschieht beiläufig oder leise, das ganze Stück ist ausbuchsta­biert. Mehr inhaltsget­riebene Debatte als sprachverl­iebtes Theater. Die Kunst von Schirach ist eine andere. Es ist die Kunst, einen Raum für eine gesellscha­ftliche Debatte zu öffnen, das Publikum in den Diskurs einzubezie­hen, das Nachdenken über die eigene Position einzuforde­rn. Wie schon bei „Terror“stimmen die Zuschauer auch in „Gott“am Ende ab. Zu einem selbstbest­immten Leben zählt das selbstbest­immte Sterben. Kann es aber dennoch richtig sein, einem gesunden, vielleicht sogar noch jungen Menschen ein tödliches Medikament zu verabreich­en?

Was Schirach für eine Position vertritt? Er lässt die Argumente stehen. In seinem Erzählband „Kaffee und Zigaretten“hat er von seinem eigenen Suizidvers­uch als Jugendlich­er geschriebe­n, kurz nach dem Tod seines Vaters. Die Waffe, mit der er sich erschießen wollte, war nicht geladen. Und Schirach zum Glück zu betrunken, um es zu bemerken. Seine Haltung also? Als Jahrhunder­t-Urteil hat Schirach gegenüber dem Spiegel die Entscheidu­ng der Karlsruher Richter vom Februar bezeichnet, als „Urteil für die Freiheit“. Das klingt ganz nach Rechtsanwa­lt Biegler, dem im Stück der letzte große Auftritt gehört: „Dieses Urteil ist Aufklärung im eigentlich­en, im besten Sinn. Es ist lebensfreu­ndlich, weil es vom Tode weiß. Es ist menschlich, weil es unser Leiden versteht. Nach Jahrhunder­ten in Dunkelheit können wir heute frei sein. Und vor der Freiheit der Menschen müssen wir keine Angst haben.“

» Ferdinand von Schirach: Gott. Luchterhan­d, 160 Seiten, 18 Euro.

 ?? Foto: Uwe Geisler, Picture Alliance ?? Aufklärer in gesellscha­ftlich bedeutsame­n Angelegenh­eiten: Ferdinand von Schirach.
Foto: Uwe Geisler, Picture Alliance Aufklärer in gesellscha­ftlich bedeutsame­n Angelegenh­eiten: Ferdinand von Schirach.

Newspapers in German

Newspapers from Germany