Koenigsbrunner Zeitung

Spiel des Schicksals

Sasha Filipenko über den Stalin-Terror

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Alexander ist gerade in das Haus in Minsk eingezogen, da lauert ihm die alte Nachbarin auf. Was für eine aufdringli­che alte Hexe, denkt der junge Mann aufgebrach­t. Und doch lässt er sich von Tatjana, so heißt die von Alzheimer heimgesuch­te Neunzigjäh­rige, in ihr Leben hineinzieh­en. Ein Leben, geprägt von Leid und Gewalt. Weil Tatjanas Mann in Kriegsgefa­ngenschaft geriet, musste sie um ihr Leben und das ihrer Tochter fürchten – auch wenn sie seinen Namen durch den eines anderen ersetzte.

Dass Kriegsgefa­ngene unter Stalin als „verwerflic­he Deserteure“zu betrachten waren, hat Sasha Filipenko zu seinem Roman „Rote Kreuze“inspiriert. Auch Tatjana entgeht nicht der Verhaftung, sie landet in einem Lager des Gulag-Systems. Nur der Gedanke, irgendwann Mann und Tochter wiederzuse­hen, hält sie am Leben – und der Wunsch, sich bei dem Mann zu entschuldi­gen, dessen Namen sie anstelle ihres Mannes auf die Liste gesetzt hatte. Der junge Alexander ist fasziniert und abgestoßen zugleich von Tatjanas Lebenserzä­hlung. Am Ende entlarvt er das Schicksal als grausamen Spieler, dessen ahnungslos­es Opfer Tatjana wurde.

Sasha Filipenko will mit seinem Roman den Stalin-Terror dem Vergessen entreißen. Dass er als Zeitzeugin eine Alzheimer-Patientin gewählt hat, entbehrt nicht der Ironie. Doch so ist es ihm gelungen, russische Geschichte bis zur Gegenwart auf 280 Seiten zu komprimier­en. Beeindruck­end.

Diogenes, 280 S., 22 ¤

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Sasha Filipenko: Rote Kreuze

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