Barock in seiner ganzen Pracht
Im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth gelingt ein fulminanter Start des neuen Festivals Bayreuth Baroque
Bayreuth Fünfstundenopern mit zwei Pausen sind in Bayreuth Norm. Oben auf dem Grünen Hügel mit Richard Wagner. Im ausgehenden Corona-Sommer fiel das aus den langsam jedermann nervenden Gründen aus. Dafür fand unten im Bayreuther Zentrum in dem Opernhaus-Juwel, das die Bayern der Schwester des Preußenkönigs Friedrich II. zu verdanken haben, ein kleines Wunder statt. Die topsanierte barocke Herrlichkeit des Markgräflichen Opernhauses, seit 2012 Weltkulturerbe, bot jetzt mit seiner eigentlichen Bestimmung den maßgeschneiderten Rahmen für den Auftakt zum ersten Bayreuth Baroque Festival.
Max Emanuel Cencˇic, jetzt schon ein Countertenor der Spitzenriege, Regisseur und Inhaber der Produktionsfirma Parnassus Arts Production, ist der Festival-Intendant. Mit der vergessenen Opera seria „Carlo il Calvo“(1738) des Händel-Zeitgenossen Nicola Antonio Porpora (1686–1768) ist ihm ein glanzvoller Auftakt gelungen. Zwar nur für zugelassene 200 Zuschauer, aber ohne „Ausdünnung“auf der Bühne oder im Graben. Für den packenden Sound sorgten George Petrou und sein Orchester Armonia Atenea. Cencˇic hat die Ausgrabung selbst inszeniert und mit seinem Team in Athen einstudiert. Für die zwischen karibischer und mediterraner Verfalls-Grandezza changierende Bühne hat Giorgina Germanou üppige Salons und Wintergärten gebaut und Maria Zorba mit dem Chic der Kostüme für Zwanzigerjahre-Eleganz gesorgt. Das ariengespickte, barocktypisch verworrene Jedergegen-Jeden beginnt und endet mit einer üppigen Familientafel.
Dazwischen lässt Cencˇic eine Art Telenovela mit einem Mix aus Erbschaftsstreit, Machtkampf und Liebeshändel aller möglichen Varianten ablaufen. Die machen Spaß und lassen auch dann, wenn in den Arien die Wiederholungsrunden angesagt sind, keine Langeweile aufkommen. Auf dieser üppigen, sich mehrmals wandelnden Bühne ist immer was los – im Zweifel ein Tick mehr als nötig.
In der eigentlich im Mittelalter angesiedelten Story wird bis aufs Messer um das Erbe, also die Macht gestritten. Die Übersetzung ins mafiöse Klischee-Milieu funktioniert. Als Counter gibt Cencˇic selbst, stilsicher wie gewohnt, den sichtbar gealterten Clanchef Lottario. Bruno de Sá fällt (als Anwalt der Familie) mit seinen atemberaubenden SopranSpitzentönen auf. Tenor Petr Nekoranec versucht als Bodyguard Asprando mit allen Mitteln (inklusive des Versuchs, den verklemmten Clanchef zu verführen) seine eigenen Ambitionen durchzusetzen.
An der Spitze des Ensembles aber glänzen Franco Fagioli und Julia Lezhneva als Liebespaar mit Hindernissen. Der Counter Fagioli demonstriert wieder einmal seine Extraklasse auf dem vokalen Koloraturhochseil. Für das einzige Endlosduett mit der so quicklebendig wie federleicht mit ihm davon schwebenden Russin gibt es den längsten Szenenapplaus. Für die beiden grandiosen Protagonisten – aber auch für Porpora.
Endlich mal wieder „richtige“Oper. Mit allem Drum und Dran! Wenn Intendant Cencˇic mit seinem neuen Festival das Niveau des Auftaktes hält, dann hat Bayreuth neben den Wagner-Festspielen künftig einen glanzvollen Festspielkontrast zu bieten.
OFestival Bayreuth Baroque findet noch bis zum 13. September statt – unter anderem mit zwei konzertanten Aufführungen von Leonardo Vincis Oper „Gismondo re di Polonia“. Weitere Informationen: www.bayreuthbaroque.de