Koenigsbrunner Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (47)

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WIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

enig später wurde der Antrag des Polizeiprä­sidenten abgelehnt, Schukri für seine exzellente Arbeit öffentlich auszuzeich­nen. Und als Major Suleiman einen Antrag zu Beförderun­g seines tüchtigen Leiters der Spurensich­erung stellte, kam erneut eine Absage. Dabei war der Polizeiprä­sident der Meinung, diese Abteilung sei bei der Kriminalpo­lizei eher vernachläs­sigt. Die Spurensich­erung arbeitete leise und blieb immer im Schatten der anderen, aber ohne sie war jede Aufklärung eines Mordes, jede Ermittlung fast unmöglich.

Barudi wusste, es war der Geheimdien­st, der Schukris Auszeichnu­ng und Beförderun­g stoppte, aber er war nicht sicher, dass der charmante Nabil dahinterst­eckte. Klar hatte er Verwandte beim Geheimdien­st, aber das war für ihn, Barudi, nie ein Grund, Nabil zu verdammen, manchmal waren sie vielmehr sogar eine Hilfe. Nicht selten brachte Nabil durch seine Verwandten eine ins Stocken geratene Ermittlung

wieder in Schwung. Schukri verdächtig­te jeden Alawiten, ein Agent des Regimes zu sein. Das fand Barudi ungerecht. Denn nicht nur Alawiten, auch viele Christen, Drusen und Sunniten arbeiteten mit der Regierung Hand in Hand. Barudis Onkel hatte ein Jahr im Gefängnis gesessen, weil sein Schwiegers­ohn ihn beim Geheimdien­st angezeigt hatte. Und dieser Kerl war ein religiöser Katholik, der ihn immer mit dem Spruch „Liebet eure Feinde“traktiert hatte. Als er bei einem der nächsten Familientr­effen wieder seinen Spruch von sich gab, erwiderte Barudi gehässig: „Aber wohl den Schwiegerv­ater nicht.“

Der Mann zog den Schwanz ein, er wagte nicht, Barudi anzuzeigen. Auch das lernen die Spitzel: wen sie anzeigen können und wen nicht. Sie entwickeln einen Riecher dafür. Barudis Gleichgült­igkeit gegenüber jeder Beförderun­g hatte ihm den Geruch einer Macht gegeben, die er nicht besaß.

Barudi wollte nicht zulassen, dass der eine Mitarbeite­r bei Schukri eingeladen wurde, der andere nicht. „Das vergiftet die Atmosphäre, die zwischen den beiden ohnehin immer angespannt ist. Und wer badet das aus? Dreimal darfst du raten“, erwiderte Barudi ungewöhnli­ch streng. Er mochte Schukri sehr, aber das ging zu weit.

Am Ende einigten sie sich darauf, weder Ali noch Nabil einzuladen und einen ruhigen friedliche­n Abend zu dritt zu verbringen.

Als Mancini zurückkam, war Schukri bereits weg.

„Was war da vorhin los?“, fragte er.

„Nichts, ein kleines privates Missverstä­ndnis. Und bei dir?“

„Heute Morgen kam ich drauf. Wie du weißt, erhoffe ich mir noch mehr Aufschluss über den Kardinal, wenn ich mit diesen Besuchern spreche, die ihn belästigt haben. Du wolltest Scheich Farcha übernehmen, und ich übernehme die Katholiken. Letzten Endes hat sich der Kardinal geweigert, diese Wunderheil­erin Dumia zu treffen, die Bischof Tabbich und Pfarrer Gabriel betreuten und die der syrische Kardinal Buri favorisier­te. Es muss etwas zwischen den Paten der Frau, wie man sie nannte, und dem Kardinal vorgefalle­n sein. Wenn ich jetzt, und sei es als Journalist, plötzlich auftauche, werden sie bestimmt misstrauis­ch und holen Erkundigun­gen über mich ein. Das geht heutzutage verdammt schnell. Aber ich habe einen sehr guten Freund, Giuliano Conte, um einen Gefallen gebeten. Wir sind zusammen in die Schule gegangen und kickten jahrelang im selben Fußballver­ein. Er ist ein Freund und wichtiger Mitarbeite­r von Paolo, dem Bruder von Silvio Berlusconi und Besitzer der Zeitung Il Giornale. Giuliano ist inzwischen ein einflussre­icher Redakteur. Er hat mir den Gefallen getan, schon aus Abneigung gegen den Vatikan. Sein Vater war Kommunist. Der Vatikan hat ihn in den fünfziger Jahren exkommuniz­iert und aus der Kirche verstoßen. Das war für seine katholisch­e Familie eine Katastroph­e. Mein Freund ist Antikommun­ist und Anhänger von Silvio Berlusconi, aber die Abneigung gegen den Vatikan hat er zu hundert Prozent vom Vater übernommen.

Giuliano hat dafür gesorgt, dass mein Pseudonym als Journalist, Roberto Mastroiann­i, im Impressum der Zeitung, sowohl in der Print- als auch in der elektronis­chen Ausgabe, als Mitglied der Redaktion für den Nahen Osten auftaucht. Es gab zwar früher einen Korrespond­enten, aber fast alle Redaktione­n haben ihre Auslandsre­porter reduziert. Die offizielle Bestätigun­g, vom Chefredakt­eur und Herausgebe­r unterschri­eben, ging als E-Mail-Anhang bei mir ein. Giuliano war immer zuverlässi­g.

Diese Bestätigun­g dient als Beweis, dass ich Journalist bei Il Giornale bin, und muss nun nur noch vom syrischen Informatio­nsminister­ium abgesegnet werden“, schloss Mancini seinen Bericht.

„Das leiten wir schnell in die Wege. Und den italienisc­hen Botschafte­r weihen wir in die Sache ein, natürlich mit der Bitte um absolute Diskretion. So liegt der Nachweis für deine Journalist­entätigkei­t auch offiziell in der Botschaft, falls irgendwelc­he Schnüffler dort wühlen sollten. Es ist ja nur fair, den italienisc­hen Botschafte­r genau zu informiere­n, nicht dass er sich von uns hinters Licht geführt fühlt. Außerdem liegt es in unserem Interesse, dass die Pressestel­le der Botschaft jede Anfrage, ob ein gewisser Roberto Mastroiann­i ein der Botschaft bekannter italienisc­her Journalist sei, mit einem überzeugen­den Ja beantworte­t“, führte Barudi aus.

„Ja, das meint auch mein Freund Giuliano. Ich habe dir das Dokument hier auf diesem USB-Stick gespeicher­t“, sagte Mancini und übergab Barudi den kleinen Datenspeic­her. „Mein Freund will auch unsere Untersuchu­ng hier unterstütz­en“, fuhr er fort. „Ich habe ihn gebeten, Kardinal Buri anzurufen und ihm eine kleine Geschichte zu erzählen von seiner Tante, die in Beirut gelebt hat und bis zu ihrem Tod vor ein paar Monaten von der Wunderheil­erin in Damaskus schwärmte – tote Zeugen stehen immer zur Verfügung, sagt man. In dankbarer Erinnerung an sie würde er nun gern einen Bericht über die Wunderheil­er im Libanon und Syrien schreiben. Interviews mit dort lebenden Wunderheil­ern durch einen Korrespond­enten von Il Giornale könnten den Bericht zusammen mit einer Fotostreck­e wunderbar ergänzen. In Italien würden derlei Artikel dringend gebraucht, weil die neue Generation an gar nichts mehr glaube. Wenn der Kardinal anbeißt, wird er in Damaskus und Beirut dafür sorgen, dass der Il Giornale-Reporter freundlich empfangen wird.

Sobald mir mein Freund heute oder morgen Bescheid gibt, dass er mit Buri gesprochen hat, rufe ich Pfarrer Gabriel an, der diese Frau betreut, und mache einen Termin aus, um etwas über seinen Streit mit dem Kardinal herauszufi­nden. Ich bin für jedes Detail dankbar, bevor wir nach Derkas aufbrechen.“

„Klasse gedacht und gemacht“, sagte Barudi begeistert. Er nahm sein Notizheft zur Hand, blätterte darin und wählte dann die Nummer der italienisc­hen Botschaft.

»48. Fortsetzun­g folgt

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