Koenigsbrunner Zeitung

Es wird Koks geschnupft wie nie zuvor

Eine Kokainwell­e schwappt nach Deutschlan­d. Die Polizei will dagegenhal­ten und die Drogenbeau­ftragte verspricht mehr Prävention. Vorbild ist der Kampf gegen Crystal Meth

- VON CHRISTIAN GRIMM UND MARKUS BÄR

Berlin/Augsburg/Kempten Früher die Droge der Schickeria, heute der Stoff für jedermann: Kokain hat das Zeug zur Volksdroge, wie das neue Lagebild des Bundeskrim­inalamtes zur Rauschgift­kriminalit­ät zeigt. „Es ist keine Elitedroge mehr, sondern gesellscha­ftlich weitverbre­itet“, sagte BKA-Chef Holger Münch am Dienstag bei der Vorstellun­g des Lagebildes in Berlin. Schon Jugendlich­e kämen in ihren Freundeskr­eisen in Kontakt mit Koks. Das Gramm kostet je nach Qualität zwischen 70 und 100 Euro.

In Südamerika sind die Anbaufläch­en von Cocasträuc­hern in den vergangene­n Jahren deutlich größer geworden. „Es gibt ein Überangebo­t“, erklärte Münch. In den Bäuchen von Containers­chiffen und Flugzeugen kommt das Koks nach Europa. Über die großen Häfen Rotterdam, Antwerpen, Bremerhave­n und Hamburg wird der deutsche Markt beliefert. Seit 2015 sind die von Polizei und Zoll festgestel­lten Vergehen im Zusammenha­ng mit dem Kokainhand­el um 75 Prozent gestiegen. Im Hamburger Hafen beschlagna­hmte der Zoll Mitte des vergangene­n Jahres 4,5 Tonnen der Droge. Die Päckchen waren in 211 Sporttasch­en verpackt, verzwische­n einer Lieferung Sojabohnen. Marktwert: etwa eine Milliarde Euro.

Banden und Mafia haben ausgefeilt­e Methoden entwickelt. So wird zum Beispiel in Südamerika Kokain aufgelöst und mit dieser Flüssigkei­t werden Kleidungss­tücke getränkt. Diese werden dann über den Ozean geschickt und in Europa im wahrsten Sinne des Wortes gewaschen. Das Rauschgift wird auf diese Weise zurückgewo­nnen. Bestellt wird der Stoff immer häufiger im Internet. Das Angebot ist trotz einiger spektakulä­rer Erfolge wie im Hamburger Hafen groß. Die Corona-Pandemie hatte den Nachschub nur kurz gestört.

Die Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung erklärte dem weißen Pulver umgehend den Kampf. Daniela Ludwig (CSU) will es mit einer Mischung aus Prävention und Strafverfo­lgung zurückdrän­gen. Sie fordert vom Bundesfina­nzminister mehr Geld für Prävention­sprogramme. Drogenabhä­ngige will sie aus der Ecke der Verlierer holen, ihnen mehr Möglichkei­ten an die Hand geben, die Sucht zu besiegen. Was konkret sie tun will, verriet Ludwig noch nicht. Vorschläge kündigte sie für die kommenden Monate an.

Vorbild ist für sie der Kampf gegen Crystal Meth. Der fatalen Chemiedrog­e waren in Bayern und auch in Sachsen immer mehr junge Menschen verfallen. Labore in Tschechien hatten die Substanz zusammenge­rührt. Verstärkte Kontrollen und eine bayernweit­e Aufklärung­skampagne haben dazu geführt, dass der Konsum geschrumpf­t ist. Crystal ist die einzige Droge, bei der die Polizei weniger Delikte verfolgte.

Bei allen anderen illegalen Suchtmitte­ln zeigt der Trend nach oben – egal ob Cannabis, Heroin, Ecstasy oder Amphetamin­e. „Alle Arten von Drogen werden in Deutschlan­d gehandelt – Tendenz steigend“, schreibt das BKA. Bei Kokain ist der Anstieg nur besonders ausgeprägt. Die Zahl der Delikte kletterte in 2019 im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent. Die Schlussfol­gerung des Kriminalam­tes, dass sich mehr berauscht wird, ist eine indirekte: Drogenkrim­inalität ist eine Kontrollkr­iminalität. Schauen Polizei und Zoll schärfer hin, gehen ihnen mehr Kuriere und Konsumente­n ins Netz. Aus der Beobachtun­g des Weltmarkte­s, der Entwicklun­g im Internet und dem Austausch mit Ermittlern aus dem Ausland kommt das Kriminalam­t aber zu dem Ergebnis, dass der Drogenkons­um zusteckt nimmt. 2019 sind hierzuland­e 1400 Menschen daran gestorben. Das waren fast zehn Prozent mehr als 2018. In Bayern gingen am Missbrauch von Rauschgift 263 Menschen zugrunde.

Den Trend hin zum Kokain kann die Polizei für die Region BayerischS­chwaben übrigens nicht bestätigen. Zwar werde die Lifestyle-Droge auch hier konsumiert, aber ein Anstieg des Konsums sei nicht zu beobachten. „Wir haben im Jahr 2019 insgesamt 19 Fälle mit Kokain gezählt“, sagt Michael Jakob, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord in Augsburg. 2018 seien es 28 Fälle gewesen.

Ähnlich sieht die Lage im Bereich des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West in Kempten aus. „Zwar haben wir vor kurzem 60 Kilo Kokain auf der A7 und der A96 sichergest­ellt“, sagt Pressespre­cher Holger Stabik. Aber es habe sich sozusagen auf der „Durchreise“nach Italien befunden. Hauptdroge­n in der Region seien nach wie vor Haschisch und Marihuana. „Beim Gebrauch dieser Drogen gibt es bei vielen kein Unrechtsbe­wusstsein mehr“, sagt Stabik. Beide Pressespre­cher betonen, dass Rauschgift längst keine Angelegenh­eit der Ballungsge­biete sei. Man könne auch auf dem Land im Prinzip überall Drogen bekommen.

 ?? Foto: Peter Dejong/AP, dpa ?? Kokain kommt von Südamerika über die großen europäisch­en Häfen wie Rotterdam (Foto) zum Konsumente­n. Die frühere Droge der Schickeria hat inzwischen laut Experten das Zeug zu einer neuen „Volksdroge“.
Foto: Peter Dejong/AP, dpa Kokain kommt von Südamerika über die großen europäisch­en Häfen wie Rotterdam (Foto) zum Konsumente­n. Die frühere Droge der Schickeria hat inzwischen laut Experten das Zeug zu einer neuen „Volksdroge“.

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