Es wird Koks geschnupft wie nie zuvor
Eine Kokainwelle schwappt nach Deutschland. Die Polizei will dagegenhalten und die Drogenbeauftragte verspricht mehr Prävention. Vorbild ist der Kampf gegen Crystal Meth
Berlin/Augsburg/Kempten Früher die Droge der Schickeria, heute der Stoff für jedermann: Kokain hat das Zeug zur Volksdroge, wie das neue Lagebild des Bundeskriminalamtes zur Rauschgiftkriminalität zeigt. „Es ist keine Elitedroge mehr, sondern gesellschaftlich weitverbreitet“, sagte BKA-Chef Holger Münch am Dienstag bei der Vorstellung des Lagebildes in Berlin. Schon Jugendliche kämen in ihren Freundeskreisen in Kontakt mit Koks. Das Gramm kostet je nach Qualität zwischen 70 und 100 Euro.
In Südamerika sind die Anbauflächen von Cocasträuchern in den vergangenen Jahren deutlich größer geworden. „Es gibt ein Überangebot“, erklärte Münch. In den Bäuchen von Containerschiffen und Flugzeugen kommt das Koks nach Europa. Über die großen Häfen Rotterdam, Antwerpen, Bremerhaven und Hamburg wird der deutsche Markt beliefert. Seit 2015 sind die von Polizei und Zoll festgestellten Vergehen im Zusammenhang mit dem Kokainhandel um 75 Prozent gestiegen. Im Hamburger Hafen beschlagnahmte der Zoll Mitte des vergangenen Jahres 4,5 Tonnen der Droge. Die Päckchen waren in 211 Sporttaschen verpackt, verzwischen einer Lieferung Sojabohnen. Marktwert: etwa eine Milliarde Euro.
Banden und Mafia haben ausgefeilte Methoden entwickelt. So wird zum Beispiel in Südamerika Kokain aufgelöst und mit dieser Flüssigkeit werden Kleidungsstücke getränkt. Diese werden dann über den Ozean geschickt und in Europa im wahrsten Sinne des Wortes gewaschen. Das Rauschgift wird auf diese Weise zurückgewonnen. Bestellt wird der Stoff immer häufiger im Internet. Das Angebot ist trotz einiger spektakulärer Erfolge wie im Hamburger Hafen groß. Die Corona-Pandemie hatte den Nachschub nur kurz gestört.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung erklärte dem weißen Pulver umgehend den Kampf. Daniela Ludwig (CSU) will es mit einer Mischung aus Prävention und Strafverfolgung zurückdrängen. Sie fordert vom Bundesfinanzminister mehr Geld für Präventionsprogramme. Drogenabhängige will sie aus der Ecke der Verlierer holen, ihnen mehr Möglichkeiten an die Hand geben, die Sucht zu besiegen. Was konkret sie tun will, verriet Ludwig noch nicht. Vorschläge kündigte sie für die kommenden Monate an.
Vorbild ist für sie der Kampf gegen Crystal Meth. Der fatalen Chemiedroge waren in Bayern und auch in Sachsen immer mehr junge Menschen verfallen. Labore in Tschechien hatten die Substanz zusammengerührt. Verstärkte Kontrollen und eine bayernweite Aufklärungskampagne haben dazu geführt, dass der Konsum geschrumpft ist. Crystal ist die einzige Droge, bei der die Polizei weniger Delikte verfolgte.
Bei allen anderen illegalen Suchtmitteln zeigt der Trend nach oben – egal ob Cannabis, Heroin, Ecstasy oder Amphetamine. „Alle Arten von Drogen werden in Deutschland gehandelt – Tendenz steigend“, schreibt das BKA. Bei Kokain ist der Anstieg nur besonders ausgeprägt. Die Zahl der Delikte kletterte in 2019 im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent. Die Schlussfolgerung des Kriminalamtes, dass sich mehr berauscht wird, ist eine indirekte: Drogenkriminalität ist eine Kontrollkriminalität. Schauen Polizei und Zoll schärfer hin, gehen ihnen mehr Kuriere und Konsumenten ins Netz. Aus der Beobachtung des Weltmarktes, der Entwicklung im Internet und dem Austausch mit Ermittlern aus dem Ausland kommt das Kriminalamt aber zu dem Ergebnis, dass der Drogenkonsum zusteckt nimmt. 2019 sind hierzulande 1400 Menschen daran gestorben. Das waren fast zehn Prozent mehr als 2018. In Bayern gingen am Missbrauch von Rauschgift 263 Menschen zugrunde.
Den Trend hin zum Kokain kann die Polizei für die Region BayerischSchwaben übrigens nicht bestätigen. Zwar werde die Lifestyle-Droge auch hier konsumiert, aber ein Anstieg des Konsums sei nicht zu beobachten. „Wir haben im Jahr 2019 insgesamt 19 Fälle mit Kokain gezählt“, sagt Michael Jakob, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Nord in Augsburg. 2018 seien es 28 Fälle gewesen.
Ähnlich sieht die Lage im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West in Kempten aus. „Zwar haben wir vor kurzem 60 Kilo Kokain auf der A7 und der A96 sichergestellt“, sagt Pressesprecher Holger Stabik. Aber es habe sich sozusagen auf der „Durchreise“nach Italien befunden. Hauptdrogen in der Region seien nach wie vor Haschisch und Marihuana. „Beim Gebrauch dieser Drogen gibt es bei vielen kein Unrechtsbewusstsein mehr“, sagt Stabik. Beide Pressesprecher betonen, dass Rauschgift längst keine Angelegenheit der Ballungsgebiete sei. Man könne auch auf dem Land im Prinzip überall Drogen bekommen.