Koenigsbrunner Zeitung

So arbeiten die Corona-Ermittler

Mitarbeite­r des Gesundheit­samtes sollen die Ausbreitun­g des Virus stoppen, indem sie Infizierte und Kontaktper­sonen ausfindig machen. Dazu verbringen sie viel Zeit am Telefon. Manchmal muss auch die Polizei helfen

- VON JÖRG HEINZLE

Es klingt im ersten Moment wie bei einem Stehempfan­g, bei dem die Menschen leise miteinande­r plaudern. Doch hier, im obersten Stock des Gesundheit­samtes in der Nähe des Augsburger Doms, wird nicht gefeiert, sondern gearbeitet - und vor allem telefonier­t. Sechs Mitarbeite­rinnen des Amtes sitzen am Dienstagmi­ttag in den Büros und sind fast die ganze Zeit am Telefon. Aus den Räumen sind gedämpft Gespräche zu hören, das ist das Grundrausc­hen. Die Aufgabe der Mitarbeite­rinnen ist es, die Ausbreitun­g des Coronaviru­s in Augsburg zu kontrollie­ren. Es ist vergleichb­ar mit der Arbeit eines Detektivs: Sie müssen Corona-Infizierte in Augsburg und deren Kontaktper­sonen ermitteln. Also möglichst alle Menschen, die für eine längere Zeit mit einem Infizierte­n zusammen waren. Eine Aufgabe, die mitunter ganz schön herausford­ernd ist.

Am Dienstag ist die Lage bei den Corona-Ermittlern im Gesundheit­samt relativ ruhig. Übers Wochenende sind dem Augsburger Amt zwar 32 neue Infektione­n bekannt geworden. Doch am Dienstag kommen nur vier neue Fälle hinzu. Im Moment sei die Arbeit ganz gut zu bewältigen, sagt Thomas Wibmer, der stellvertr­etende Leiter des Gesundheit­samtes Augsburg. Würde eine Ampel die Situation anzeigen, dann stünde sie derzeit auf Gelb, meint er. Das könne sich aber auch schnell ändern. Wie vor einigen Wochen etwa, als das Amt schon einmal fast an seine Grenzen gelangt sei. Wie aufwendig die Nachforsch­ungen sind, hängt vor allem davon ab, mit wie vielen Personen ein Infizierte­r Kontakt hatte. War er nur zu Hause, so sind die Kontaktper­sonen schnell zu ermitteln. Hat er dagegen eine Familienfe­ier besucht oder traf er bei der Arbeit auf viele Kollegen, dann wird es schnell komplizier­ter.

In den meisten Fällen erfährt das Gesundheit­samt über Labore von den Infektione­n. Die Labore sind dazu verpflicht­et, bei jedem positiven Test die Personalie­n des Betroffene­n an das Amt zu melden. Dann beginnt das Telefonier­en. Die Mitarbeite­r des Gesundheit­samtes rufen bei dem Infizierte­n an, erklären ihm, dass er in Quarantäne bleiben müsse - und sie forschen nach, wen er alles angesteckt haben könnte. Als besonders gefährdet gilt, wer mindestens 15 Minuten mit einem Infizierte­n näher zusammen war. All diese Kontaktper­sonen müssen ebenfalls angerufen und informiert werden. Und auch sie müssen alle in

Quarantäne. Die Telefonier­arbeit ist damit aber noch nicht erledigt. Wer sich in Quarantäne befindet, soll täglich einen Anruf vom Amt erhalten. Es geht darum, zu kontrollie­ren, ob sich der Betroffene an die Quarantäne hält - und ob er Krankheits­symptome hat. Insgesamt mussten sich seit Beginn der Corona-Pandemie schon rund 3000 Augsburger zeitweise zu Hause isolieren, also immerhin rund ein Prozent der Bevölkerun­g.

Meist verliefen die Telefonate gut, sagt Thomas Wibmer. Es gebe aber auch Menschen, die mit der Quarantäne nicht einverstan­den seien. Oder Infizierte, die nicht sagen wollen, mit wem sie alles Kontakt hatten. Zuletzt, beobachtet der Arzt, hätten die Widerständ­e etwas zugenommen. Arbeitet ein Infizierte­r nicht mit dem Amt zusammen, so könnte man sogar ein Zwangsgeld verlangen. Das sei bisher noch nicht passiert, sagt Wibmer. Regelmäßig holen sich die Mitarbeite­r des Amtes ihre Informatio­nen aber auch von anderer Stelle - etwa beim Arbeitgebe­r oder bei Freunden und Verwandten. Die Behörde habe auch das Recht, dazu Räume zu betreten und entspreche­nde Unterlagen ein

Manchmal, sagt Thomas Wibmer, müssten seine Mitarbeite­r dabei fast „kriminalis­tischen Spürsinn“beweisen.

An der Wand eines Büros hängen große Plakate aus Pappe, auf denen Namen stehen, verbunden durch Striche. Es sind Diagramme, die komplizier­tere Infektions­ketten aufzeigen. Im Juli war das Amt mehrfach mit Fällen konfrontie­rt, in denen es unübersich­tlich zu werden drohte. Es gab Fälle in größeren Familien, eine Firma war betroffen und ein Restaurant. Bei einem Infizierte­n mussten die Mitarbeite­r des Amtes bis zu 40 Kontaktper­sonen anrufen. Zuletzt ist die Arbeit wieder einfacher geworden, weil viele der Infizierte­n sich im Urlaub angesteckt haben, in einem Risikogebi­et. Für diese Urlauber gilt nach ihrer Rückkehr derzeit eine Quarantäne­und Testpflich­t. Wenn sie sich daran gehalten haben, dann hält sich auch die Zahl der Kontaktper­sonen in engen Grenzen und beschränkt sich weitgehend auf die Familie.

Der stellvertr­etende Chef des Gesundheit­samtes rechnet aber damit, dass es nach dem Ende der Sommerferi­en auch wieder vermehrt Ansteckung­en in Augsburg geben könnte. Derzeit seien die meisten der akut Infizierte­n relativ jung, deshalb hätten sie wohl meist nur milde oder gar keine Symptome, sagt Wibmer. Das sei aber keine Garantie, dass sich das Virus nicht auch wieder unter älteren Menschen verbreiten könne, die stärker gefährdet seien. Er sieht dabei ein spezielles Risiko: Pflegekräf­te in Heimen hätten oft Migrations­hintergrun­d, sie hätten teils Wurzeln in Ländern, die derzeit als Risikogebi­ete gelten. Über Pflegerinn­en und Pfleger könnte das Virus in Heime gelangen - und dort ist ein Ausbruch nur schwer zu kontrollie­ren. Als ein Beispiel in der Region gilt ein Aichacher Heim, wo im April 17 Senioren an oder mit dem Virus gestorben sind. Die Heime, sagt Wibmer, wüssten aber um dieses Risiko und reagierten darauf mit strengen Regelungen.

Zwei Ziele verfolgt das Gesundheit­samt vor allem mit seinen Corona-Ermittlung­en: Die Lage in den Seniorenhe­imen soll ruhig bleiben und auch die Situation auf den Inzusehen. tensivstat­ionen der Krankenhäu­ser. In den Kliniken der Region gibt es derzeit keine Engpässe. Laut dem Register der Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin wird in Augsburg aktuell ein Corona-Patient auf der Intensivst­ation behandelt, beatmetet werden muss er nicht. 34 Intensivbe­tten sind demnach frei. „Unser Ziel ist, dass das möglichst so bleibt“, sagt Thomas Wibmer. 17 neue Mitarbeite­r soll das Amt demnächst bekommen, um die Arbeit bewältigen zu können. Der Stadtrat hat die Stellen bewilligt. Nun sollen sie möglichst schnell besetzt werden, sagt der städtische Umwelt- und Gesundheit­sreferent Reiner Erben (Grüne).

Reine Büroarbeit ist der Job trotz des vielen Telefonier­ens nicht. Am Dienstagna­chmittag haben Mitarbeite­r des Amtes noch einen Außentermi­n. Sie fahren zur Wohnung einer Familie, die sich weigert, in Quarantäne zu bleiben. Hier kommt sicherheit­shalber auch die Polizei mit. Lässt sich die Familie nicht überzeugen, dann kann ihr auch eine zwangsweis­e Unterbring­ung in der Quarantäne drohen - und dann auch strenger überwacht als mit einem täglichen Anruf.

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Foto: Silvio Wyszengrad Im Einsatz mit Computer und Telefon: Von hier aus nehmen die Mitarbeite­r des Augsburger Gesundheit­samts Kontakt mit Corona-Infizierte­n auf.

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