Koenigsbrunner Zeitung

Das Lieferkett­engesetz ist überfällig

Unternehme­n, denen Menschenre­chte egal sind, müssen in die Verantwort­ung gezwungen werden. Und für Verbrauche­r gilt umso mehr: Nicht gewusst, gibt es nicht

- VON STEFAN KÜPPER kuepp@augsburger-allgemeine.de

Wem schmeckt Schokolade, wenn er weiß, dass Kinder die Kakaobohne­n dafür ernten mussten? Wer trägt gerne T-Shirts, von denen er weiß, dass Arbeiter sie unter menschenun­würdigsten Bedingunge­n hergestell­t haben? Die traurige Antwort lautet: Noch immer viel zu viele.

Und das zeigt, wie dringend es das Lieferkett­engesetz braucht. In Deutschlan­d, das wie kaum eine Industrien­ation auf internatio­nalen Ex- und Import angewiesen ist und davon profitiert. Auf europäisch­er Ebene. In all den Ländern, die es noch nicht haben. Denn das Prinzip Freiwillig­keit hat im Vorfeld dieser Gesetzesin­itiative in der Breite eben nicht gegriffen: 2011 haben die Vereinten Nationen die Leitlinien für Wirtschaft und Menschenre­chte verabschie­det. Sie definieren eine staatliche Schutzpfli­cht und die unternehme­rische Verantwort­ung in globalen Lieferkett­en. Offengelas­sen wurde damals allerdings, ob Unternehme­n diese Maximen freiwillig oder verbindlic­h umsetzen. Die Bundesregi­erung entschied sich 2016 gegen den Zwang, als sie einen „Nationalen Aktionspla­n“aufsetzte, um die UN-Vorgaben hier einzuführe­n. 2019 befragte sie dann die Unternehme­n. 2020 noch einmal. Heraus kam, dass deutlich weniger als 50 Prozent ihren Sorgfaltsp­flichten nachkommen. 2250 Firmen wurden angefragt, nur 455 schickten laut Entwicklun­gshilfemin­isterium gültige Antworten zurück. Insofern ist es nur folgericht­ig – weil im Koalitions­vertrag festgeschr­ieben –, dass nun ein Gesetz kommt, das die uneinsicht­igen Unternehme­n, denen die eingeforde­rten Menschenre­chts,Sozial- und Umweltstan­dards eher gleichgült­ig sind, zwingt, sich verantwort­ungsbewuss­ter aufzustell­en. Und das Arbeitern bei Verstößen hilft, ihre Ansprüche geltend zu machen.

Natürlich sollte dieses Gesetz so umfassend wirken, wie es geht, also auch für Unternehme­n ab einer Größe von 500 Mitarbeite­rn gelten. Sprich, wenn sich am Donnerstag die Minister auf Eckpunkte verständig­en sollten, wäre es gut, wenn sich dabei Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller und Arbeitsmin­ister Hubertus Heil auf der einen Seite gegen die von Peter Altmaier im Wirtschaft­sressort vertretene­n Interessen durchsetze­n würden. Es gehört zum Gezerre im Gesetzgebu­ngsprozess dazu, dass Wirtschaft­sverbände sagen: Das geht nicht, das ist zu teuer, kostet Arbeitsplä­tze, ist zu viel bürokratis­cher Aufwand, schadet der Wettbewerb­sfähigkeit. Aber es gibt längst Unternehme­n – große wie kleinere – die zeigen, wie es gehen kann. Continenta­l zum Beispiel hat gemeinsam mit dem Entwicklun­gshilfemin­isterium eine Kautschukl­ieferkette lückenlos rückverfol­gbar gemacht. Von der Ernte in Indonesien bis in die Reifenhers­tellung. Auch der Bergsport-Ausrüster Vaude gilt als vorbildlic­h in Sachen Nachhaltig­keit. Hier können die Kunden nachvollzi­ehen, wo ihre Kleider herkommen und unter welchen Bedingunge­n sie wo produziert wurden.

Das Lieferkett­engesetz muss jetzt kommen. Und es muss Effekte haben. Dass die Corona-Krise mit verheerend­en Folgen für sehr viele Unternehme­n nicht der günstigste Zeitpunkt für diese Reform ist, mag sein. Aber die Pandemie ist – wie auch die Lieferkett­en – global. Und die Ärmsten auf diesem Planeten trifft das Virus härter als Deutschlan­d.

Eines muss aber auch klar sein: Nicht nur die Unternehme­n sind in der Verantwort­ung: Wenn ein griffiges Gesetz hoffentlic­h bald verabschie­det ist, können sich die Verbrauche­r, wir, noch weniger herausrede­n als bislang. Dass unser Alltagskon­sum auf Kosten Dritter geht, ist nur zu bekannt. Nicht gewusst, gilt dann erst recht nicht mehr.

Das Prinzip Freiwillig­keit hat nicht funktionie­rt

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