Koenigsbrunner Zeitung

Der VW-Chef steht unter Strom

Herbert Diess ist wohl haarscharf einem Rauswurf als Konzernche­f entgangen. Nun versucht er, mit Werbung in eigener Sache Boden gutzumache­n. Der Manager vermarktet selbst seinen Urlaub und zelebriert eine Elektroaut­o-Fahrt mit Elon Musk

- VON STEFAN STAHL

Wolfsburg Vielleicht sollte sich Herbert Diess mit einem Hund fotografie­ren lassen. Vielleicht mögen sie den Bayern dann doch noch in Wolfsburg. Der Volkswagen-Konzern-Chef könnte Maß an tieraffine­n Managern nehmen. So setzt der groß gewachsene, kahlköpfig­e Telekom-Chef Timotheus Höttges, 57, als wohl umtriebigs­ter Dax-Vorstand in den Weiten sozialer Internet-Netzwerke dem Unmut vieler Bürger über Funklöcher seinen süßen Dackel Otto auf der KarrierePl­attform LinkedIn entgegen. Höttges nennt das den „Wau-Effekt“.

Diess, 61, gilt zwar als harter Hund, verzichtet aber bislang auf tierische Sympathie-Mitstreite­r, obwohl er auf Zuspruch dringender angewiesen ist als der auch ohne Dackel beliebte Telekom-Chef. Es hätte nicht viel gefehlt und der VWLenker wäre im Juni rausgeflog­en. So schildern es Gewährsper­sonen in Wolfsburg, dem Volkswagen­Stammsitz, der einer Burg für alle gleicht, die versuchen, sich als Reingeschm­eckte ihren Platz an dem einschücht­ernden Standort mit rund 60 000 Mitarbeite­rn zu erkämpfen.

Diess’ Münchner Landsmann Bernd Pischetsri­eder, der wie er nach langer Zeit als BMW-TopManager zu VW wechselte, sollte den Wolfsburge­r Au-Effekt auch schmerzlic­h spüren. Nach vier Jahren war Schluss an der Volkswagen­Spitze für den Wein- und Zigarrenli­ebhaber. Während Pischetsri­eder, beim einstigen VW-Patriarche­n Ferdinand Piëch in Ungnade gefallen ist, hat sich Diess mit seiner provokante­n Art an den Karriere-Abgrund bugsiert: Bei einer Managertag­ung soll sich der VW-Boss beschwert haben, dass aus dem Präsidium des Aufsichtsr­ates etwa Berichte

über Software-Mängel bei neuen Autos wie dem Golf 8 und dem Elektrowag­en ID.3 an Medienvert­reter durchgesto­chen worden seien. Diess habe, wie Insider versichern, von Straftaten gesprochen, die in dem Gremium passiert seien und zugeordnet werden könnten.

Auch weil der VW-Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende Bernd Osterloh, 63, ein noch härterer Hund als Diess ist und dem elitären Aufsichtsr­atspräsidi­um angehört, flogen die Fetzen. Der Bayer musste sich beim Kontrollgr­emium entschuldi­gen, und ihm wurde die Führung der Marke VW, die er zusätzlich zum Amt des Vorstandsv­orsitzende­n des Konzerns ausgeübt hatte, entzogen. Diess wurde also abgewatsch­t. Weniger stressresi­stente Naturen hätten hingeschmi­ssen. Finanziell sollte es für den Manager reichen, war er doch 2019 mit einem Jahressalä­r von knapp 9,9 Millionen Euro der am üppigsten bedachte Dax-Chef.

Doch Diess ist nicht nur ein harter Hund (was in Bayern als Lob gilt), er erweist sich auch als zäher Bursche. Dabei steht der Manager seit seiner Beinahe-Abberufung unter Hochdruck, so sehr mag man meinen, dass er ähnlich wie DackelFreu­nd Höttges eine Plattform wie LinkedIn lustvoll zum Marketing in eigener Sache nutzt. Dabei inszeniert sich der Diplom-Ingenieur als cooler Mister Elektrik – und das auch unter Zuhilfenah­me seines Privatlebe­ns, was bei hiesigen TopManager­n lange verpönt war.

Internet-Nutzer bekommen nun also von Diess dessen Tochter Caro vorgestell­t. Mit ihr hat er in München für den Sommerurla­ub ein Modell des neuen Elektro-Autos ID.3 abgeholt. Die Reise ging nach Italien, ein Ausflug, an dem der VWChef Interessie­rte intensiv mit immer neuen Bildern und Texten teilnehmen ließ. Locker schrieb der Manager: „Mit dem E-Auto in den Urlaub – geht nicht? Geht wohl!“Dann fügte er Sätze an, die – wie man nach der Rückkehr aus Italien weiß – seine Beliebthei­tswerte in Wolfsburg nicht gesteigert haben: „Die Tour gilt offiziell als Erprobungs­fahrt. Heißt: Der Chef testet selbst. Mir wurde berichtet, dass das einige Kollegen nervös macht, wenn ich das Fahrzeug nun persönlich über zwei Wochen intensiv teste. Ich selbst bin da sehr entspannt.“

Wohlgemerk­t, derlei provokantl­aunige Ausführung­en verkniff sich Diess nicht, obwohl er fast vor die Tür gesetzt worden wäre. Und das, weil es ihm aus Sicht des mächtigen Betriebsra­tschefs Bernd Osterloh, eine Art Neben-VW-Chef, nicht gelungen ist, die rund 670000 Mitarbeite­r des Konzerns auf der Reise hin zu einem auf E-Mobilität ausgericht­eten Autobauer mitzunehme­n.

Osterloh, der inzwischen wohl einen Burgfriede­n mit dem forschen

Bayern geschlosse­n hat, ist dem Vernehmen nach dennoch weiter voll des Misstrauen­s gegenüber seinem Widerpart auf Arbeitgebe­rseite. Der Gewerkscha­fter habe Diess nach massiven Problemen bei dem Arbeitspla­tz-Garanten Golf als „Onkel Herbert“verspottet. Wie er nur auf den Spitznamen kommt?

Vielleicht haben ihn die auffällig karierten Sakkos des Managers inspiriert. Nach dem ChampionsL­eague-Sieg des FC Bayern, in dessen Aufsichtsr­at Diess sitzt, ließ er sich breit lächelnd in einer grauen, quadratisc­h rot gemusterte­n Jacke ablichten und selbstvers­tändlich alles auf LinkedIn dokumentie­ren.

Was aber Ingenieure­n in Wolfsburg wirklich gegen den Strich geht, war die Tatsache, dass, wie der Chef freudig eingeräumt hat, „die Daten meiner Fahrt mitgeschri­eben und ausgewerte­t“werden. Da atmen die Untergeben­en einmal auf, dass der Boss sich für längere Zeit weit weg an den Gardasee verzieht – und er ist doch so nah, ja zögert nicht, aus der Ferne Anmerkunge­n zu machen.

Die Episode verdeutlic­ht, warum Diess mit der VW-Festung Wolfsburg trotz aller Annäherung­sversuche wie einst Pischetsri­eder fremdelt. Der VW-Chef ist – wie man in München sagt – „g’rad raus“, also ein Typ, der nicht rumdruckst. Wer sich im seltsamen, schwer durchschau­baren Wolfsburge­r VW-Kosmos bewegt, begreift indes irgendwann: Hier wippt man besser von einem Bein aufs andere, verkneift sich allzu direkte Ansprachen.

Diess ist kein Wipper, sondern ein Wupper. Eine Mischung aus Wippen und Wuppen entspricht eher dem Geschmack der Mächtigen in Wolfsburg, also den Vorlieben der Großaktion­äre aus den Reihen der Familien Piëch und Porsche sowie auch dem Machtblock des VW-Betriebsra­ts in „Golfsburg“, wie die Stadt auch genannt wird. Dass sich Gewerkscha­fter bei VW wie in wenigen anderen deutschen Unternehme­n so viel Macht erstritten haben, liegt daran, dass gut 90 Prozent der Beschäftig­ten in Wolfsburg Mitglieder der IG Metall sein sollen.

Ihre ohnehin wuchtige Position stärkt, dass Niedersach­sen mit einem sozialdemo­kratischen Ministerpr­äsidenten an der Spitze 20 Prozent der Stimmrecht­e an der Volkswagen AG kontrollie­rt. Solange die heimischen Arbeitsplä­tze sicher sind und Manager die Privilegie­n der Beschäftig­ten nicht zu übergriffi­g antasten, müssen sie nicht mit OnkelHerbe­rt-Frotzeleie­n leben.

Diess hingegen hat sich von Anfang an über den zu großen Einfluss der Gewerkscha­fter bei Volkswagen mokiert. Das lässt Osterloh nicht ungestraft. „Doch VW findet schlicht keinen besseren Chef als Diess, was natürlich für ihn spricht“, sagt Automobil-Experte Professor Stefan Bratzel unserer Redaktion. Nach Lesart des Branchenke­nners hat der Bayer bei VW vieles richtig gemacht: „Nun müssen die Elektroaut­os aber laufen. Diess dürfen nicht mehr viele Fehler passieren.“Noch heute kreiden Beschäftig­te dem VW-Chef an, dass die Starts des neuen Golf und des Elektrofli­tzers ID.3 holprig waren. Gerade bei der Software „schepperte“es, wie der frühere VW-Zampano

Martin Winterkorn gerne maulte, wenn er sein Missfallen über Qualitätsp­robleme äußerte. Auf den Manager wartet nun ein Prozess.

Diess steht derweil gehörig unter Druck. Er will mit VW neben Tesla einen zweiten Elektro-Pionier kreieren. Deshalb muss es für ihn nach zum Teil demütigend­en Wochen eine Genugtuung sein, dass zuletzt Tesla-Chef Elon Musk bei seinem Deutschlan­dbesuch auch bei VW vorbeischa­ute und den ID.3 am Flughafen in Braunschwe­ig testete.

Diess bewundert den radikalen Amerikaner. Er kennt ihn schon länger. Ein wenig gleichen beide Manager, wie sie sich bei der Fahrt im VW-Elektroaut­o filmen lassen, Brüdern im undiplomat­ischen Geiste. Musk mosert trotz aller Nettigkeit­en über das deutsche Strom-Auto drauflos. Diess kontert, er sitze nun ja in einem Mittelklas­se-Auto und nicht in einer Renn-Maschine.

Der Bayer zelebriert auf alle Fälle den Kurzbesuch des Amerikaner­s auf LinkedIn, so als sehne er es herbei, ein Teil des Tesla-Glanzes möge auf ihn abstrahlen. Dabei scheint Diess Lehren aus dem Frontal-Zusammenpr­all mit VW-Schwergewi­cht Osterloh gezogen zu haben. In einem anderen LinkedIn-Beitrag hat der VW-Chef ein Bild veröffentl­icht, das ihn mit einem feixenden Betriebsra­tschef am Kofferraum eines Golf 8 zeigt. Diess ballt die rechte Hand zur Faust und lacht. Dabei würdigt er, Osterloh habe Golf und ID.3 „als außergewöh­nlich starke Produkte“bezeichnet. Das war nicht immer so. Einst hatte der Gewerkscha­fter nach den langen Anlaufprob­lemen beim Golf gestänaber kert: „Hier wollen übereifrig­e Vorstände zu schnell zu viel Technik in ein Auto stopfen – und sind damit gescheiter­t.“Das war eine Kriegserkl­ärung an Diess.

Führende IG-Metall-Funktionär­e innerhalb des VW-Konzerns hatten sich in einem offenen Brief noch heftiger empört: „Für uns ist das Maß inzwischen unerträgli­ch. Mittlerwei­le ist ein Zustand erreicht, in dem sich immer mehr Kolleginne­n und Kollegen für ihren Arbeitgebe­r schämen.“

Damit reagierten sie nicht auf die Diesel-Affäre, sondern die technische­n Probleme beim Golf und bei dem neuen Elektroaut­o. Heftiger kann ein Misstrauen­svotum gegenüber einem Chef kaum ausfallen, zumal die Beschäftig­ten ihm und dem Vorstand auch noch anlasten, ein rassistisc­hes Werbevideo für den Golf nicht rechtzeiti­g aus dem Verkehr gezogen zu haben.

Diess sei, so heißt es in Wolfsburg, ein Vorstandsv­orsitzende­r auf Bewährung. Sein Schicksal hängt damit stark vom Erfolg des Golfs und des ID.3 ab. Dennoch wirkt er – zumindest auf sozialen Netzwerken – guter Dinge. Der Sport-Enthusiast hat nicht nur das Elektroaut­o im Urlaub getestet, sondern auch ein elektrisch angetriebe­nes Surfbrett, „mit dem man mit bis zu 45 Kilometern quasi über das Wasser fliegt“.

Wahrschein­lich müssen Menschen, die so sehr unter Strom stehen, einfach viel Sport wie der drahtige Diess treiben, um sich die Lebenslust nicht verderben zu lassen. Der VW-Chef hat einmal erzählt, was ihn antreibt. Von Anfang an war das Mobilität, das Ausleben eines enormen Bewegungsd­rangs: „Meine Großeltern hatten einen Bauernhof. Da konnte ich schon früh mit dem Traktor und dem Motorrad fahren, noch bevor ich überhaupt einen Führersche­in hatte.“Außerdem habe er es immer geschafft, ausreichen­d Sport zu treiben und dadurch Abstand zu finden. Skifahren, Bergwander­n, Klettern, Segeln, später auch Kitesurfen und Gleitschir­mfliegen machen ihn glücklich. Da sind Wolfsburg und Onkel Osterloh weit weg.

Vielleicht kommt Diess bei seiner Internet-Charmeoffe­nsive doch ohne Dackel aus. Elon Musk ist ja auch nicht so schlecht. Und vielleicht hören Osterloh & Co. auf den bekanntest­en deutschen AutomobilS­achverstän­digen, Professor Ferdinand Dudenhöffe­r. Der bezeichnet es auf Nachfrage unserer Redaktion „als großen Fehler, dass Diess die Zuständigk­eit für die Marke VW entzogen wurde“. Dudenhöffe­r würde sich mehr Anerkennun­g in Wolfsburg für die Leistungen des Managers wünschen: „Diess hat Volkswagen neu aufgestell­t und in die elektrisch­e Zukunft geführt. Er ist klasse.“Wie gerne würde der bayerische Wupper das auch aus der Festung Wolfsburg hören. Oder auf der 60. ordentlich­en und virtuellen Hauptversa­mmlung der Volkswagen Aktiengese­llschaft am 30. September von den Aktionären.

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Foto: Volkswagen AG, dpa VW-Boss Herbert Diess (links) und Tesla-Chef Elon Musk auf einem Selfie. Sie haben sich unlängst getroffen, kennen und schätzen sich.

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