Zutritt nur für „Bürger“
In Budapest besetzen Studenten die Theater-Uni. Stars solidarisieren sich mit dem Protest
Budapest Seit anderthalb Wochen besetzen Studenten das Gebäude der Budapester Theater- und Filmuniversität (SZFE) im Zentrum der ungarischen Hauptstadt. Sie wehren sich dagegen, dass ihnen die rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán die Autonomie entzogen hat, um dort ihre ideologischen Ziele durchzusetzen. In ihrer Dynamik schuf die Uni-Besetzung ein neues Symbol: Ein Stück rot-weiß gestreiftes Plastikband, wie es etwa an Baustellen zur Absperrung verwendet wird.
Mit solchen Bändern haben nämlich die Theaterstudenten zu Beginn der Besetzung ihr Gebäude verrammelt. „Zutritt haben nur die ,Bürger der Universität‘, das heißt, Studierende und Lehrkräfte“, erklärte die Filmstudentin Panni Szurdi, eine Sprecherin der Besetzerbewegung. Insbesondere will man verhindern, dass die Mitglieder des neuen Kuratoriums ihren Fuß in die Uni setzen. Dieses hatte am 1. September die meisten Leitungsbefugnisse an sich gezogen, was die Besetzung ausgelöst hatte. Die rot-weißen Absperrbänder flattern seitdem nicht nur gut sichtbar an Fenstern und Toren der SZFE. Stücke von rot-weißen Bändern eignen sich auch dafür, Solidarität mit den Besetzern auszudrücken. In Budapest kann man sie inzwischen an Haustoren und AutoRückspiegeln, an Rucksäcken und als Ergänzung zum Hundehalsband sehen.
Bislang größter Erfolg der Bewegung war am vergangenen Sonntag eine Menschenkette, die sich mit vielen tausenden Teilnehmern durch ganz Budapest zog.
Relativ geräuschlos hat die Orbán-Regierung in den letzten Jahren andere Universitäten ähnlichen Kuratorien unterstellt, die Autonomie der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA) beseitigt und den Großteil der Medien zu Sprachrohren der Regierung umfunktioniert. Der Kampf um die Theater-Uni hat für Ungarns Mächtige hohen Symbolwert. Treibender Motor ist der Kuratoriumspräsident Attila Vidnyanszky, zugleich Intendant des Nationaltheaters und Strippenzieher mit Entscheidungsgewalt über kulturelle Förderungen und
Subventionen. Er genießt das unumschränkte Vertrauen Orbáns. Ihm schwebt ein „christliches und nationales“Theater vor. Die Budapester Theater-Uni würde, so Vidnyanszkys fixe Idee, seit Generationen nur „linke“Theatermacher heranziehen. Sie sei ein „geschlossenes System“, das „geöffnet“werden müsse.
Den Theaterstudenten schlägt derzeit viel Sympathie entgegen. „Sie wollen nicht die Regierung stürzen, auch wenn das viele von ihnen erwarten“, meinte Tamas Ascher, einer der bedeutendsten Regisseure des Landes, zum Portal 444.hu. Wie viele andere Spitzenlehrkräfte
der SZFE kündigte er aus Protest gegen den Autonomie-Entzug. „Sie haben ein klar umrissenes Ziel: Sie wollen die Universität davor bewahren, dass sie von außen aufgezwungenen Figuren, einem von außen aufgezwungenen System unterworfen wird.“Wichtig für die Studenten sind auch Solidaritätsgesten aus dem Ausland. Das Berliner Ensemble sagte ein im nächsten Jahr geplantes Gastspiel an Vidnyanszkys Nationaltheater ab. Filmstars wie Cate Blanchett, Helen Mirren und Eva Green solidarisierten sich und posieren mit dem Hashtag „#freeSZFE“. Das Wiener Burgtheater bot zehn Arbeitsstipendien für SZFE-Studenten an.
„Wir setzen die Besetzung fort, bis unsere Forderungen erfüllt sind, bis das Kuratorium zurückgetreten und die Autonomie der Uni wiederhergestellt ist“, sagt Sprecherin Panni Szurdi. Die Regierung droht damit, den Lehrbetrieb mit „willigen“Studenten und Lehrkräften an einem anderen Ort aufzunehmen. In den Regierungsmedien werden die Studenten als „vom Ausland gesteuert“diffamiert. „Sie lassen sich leicht manipulieren, weil sie Gras (Marihuana) und andere Genussmittel mögen“, lästerte András Bencsik, der Herausgeber des regierungsnahen Wochenblattes Demokrata. „Wir sind uns im Klaren darüber, dass die Regierung alles versuchen wird, um uns zu spalten“, meint Szurdis Sprecher-Kollege Balint Antal. Die Studenten wissen, dass sie einen langen Atem brauchen werden.