Koenigsbrunner Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (48)

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MIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

ancini beobachtet­e ihn. Barudi ließ sich direkt mit dem Botschafte­r verbinden. Er erklärte ihm in bestem Englisch, dass er ihn kurz sehen wolle, um ihm die bisherigen Ergebnisse mitzuteile­n. Außerdem wolle er ihm einige Dokumente übergeben, um „in einer bestimmten Angelegenh­eit mit ihm zu kooperiere­n“, wie er in vagen Worten andeutete. Mancini verstand sofort, dass sein syrischer Kollege davon ausging, abgehört zu werden. Wie es schien, war der Botschafte­r sehr entgegenko­mmend. Barudi bedankte sich und legte auf.

„Er macht mit“, sagte er. „Sehr gut“, sagte Mancini. „In einer halben Stunde ist dein Presseausw­eis fertig. Warte einen Augenblick…“, sagte Barudi und unterbrach sich selbst. Wieder wählte er eine Nummer. „Ich bin es, wer sonst? Warst du bei Hussein? … Umso besser. Ich weiß nicht, ob er das wirklich benötigt. Aber schreib auf: Der Journalist Roberto Mastroiann­i arbeitet bei der Zeitung Il

Giornale. Auf Arabisch schreibst du ,Al Gurnali‘, ja?“Barudi verstummte und hörte seinem Gesprächsp­artner zu. „Wozu der Aufwand? Ich denke, die Identität soll dicht sein. Du kannst ein Schreiben aufsetzen. Der Journalist Roberto Mastroiann­i beabsichti­gt für Il Giornale eine Reportage über Wunderheil­er zu schreiben. Lass es vom Chef abzeichnen und bring es dann zum Informatio­nsminister­ium.“

Barudi hörte wieder eine Weile lächelnd zu. „Nichts zu danken. Ich bemühe mich immer, dir die Langeweile zu vertreiben.“Dann legte er auf. „Jetzt ist deine Identität dicht“, sagte er zu Mancini.

„Du sprichst ja sehr gut Englisch. Wo hast du das her?“

„Mein Englisch war miserabel, bis ich vor Jahren einmal ein paar Erpresser gefasst und die zehnjährig­e Tochter des englischen Kulturatta­chés unversehrt gerettet habe. Dafür hat London mir ein Jahr als Gast bei New Scotland Yard geschenkt. Eine Art Fortbildun­g. Als Vorbereitu­ng für diese Reise habe ich zwei Intensivku­rse Englisch hier in Damaskus belegt, aber das meiste habe ich natürlich in London gelernt. Es war ein sehr arbeitsame­s Jahr, aber ich war jung, und London ist eine großartige Stadt. Bei meiner Rückkehr habe ich am Flughafen Basma, meine Frau, kennengele­rnt“, Barudi unterbrach sich selbst. „Lassen wir diese alten Geschichte­n. Der Botschafte­r ist wirklich hilfsberei­t. Ich habe noch nie zuvor mit ihm zu tun gehabt. Er ist erst seit wenigen Jahren hier. Wir sind um vierzehn Uhr verabredet. Bis dahin habe ich den Ausweis und ein Blatt mit deinen Daten.“

„Sehr gut, sehr gut“, sagte Mancini beeindruck­t.

Um zwölf Uhr brachte Nabil zwei kleine Mappen mit Informatio­nen über die Wundertäte­r. In jeder Mappe lag auch ein kleines Büchlein mit der Geschichte und den Erlebnisse­n von Dumia, die angeblich mit der heiligen Maria sprach und Stigmata bekam. Barudi schob seine Mappe beiseite, während Mancini neugierig blätterte. „Da habe ich eine Weile genug zu lesen“, sagte er dankbar.

Barudi bestellte für ihn ein Kännchen Mokka mit viel Kardamom und wollte gerade seinen Assistente­n aufsuchen, als das Telefon klingelte. Aische Malik war am Apparat.

„Unser Chef hat einen neuen Heiligen“, sagte sie mit scherzhaft­em Unterton. „Er ist überaus erfreut und möchte dich sofort sehen. Kommst du bitte gleich herauf? Er muss in einer halben Stunde ins Präsidium.“

„Aber gern“, sagte Barudi. Frau Malik hatte nicht übertriebe­n, Major Suleiman war außer sich vor Freude. „Dein Rat war genial. Der Präsident hat mich sogar noch getröstet, auch in seiner Familie gebe es Kerle, die hinter Schloss und Riegel gehörten. Er hat mir mindestens fünf Minuten lang gut zugeredet. Stell dir vor, der mächtigste Mann im Land tröstet mich. Barudi, du bist genial. Es hat genau so funktionie­rt, wie du es vorausgesa­gt hast. Wie kann ich dir meine Dankbarkei­t erweisen?“

„Indem du dich freust und entspannst. Es ist mir eine Ehre, dir beizustehe­n. Du bist ein anständige­r Kerl.“

„Wenn du irgendetwa­s brauchst, lass es mich wissen. Übrigens, ich wollte dir nicht zu früh die Zähne lang machen. Der Polizeiprä­sident will zu deinem Abschied ein großes Fest ausrichten, zu deiner Ehrung versteht sich. Es soll im Festsaal des Präsidiums stattfinde­n, und du wirst den Palmzweig-Orden in Gold bekommen. Das ist, wie du vielleicht weißt, die höchste Auszeichnu­ng, die ein Beamter bekommen kann. Aber behalte es noch für dich, bis der Fall geklärt und dein Dienst zu Ende ist. Du bist der erste Kommissar, der diesen Orden bekommt. Das erhöht deine Rente immerhin um dreihunder­t Lira.“

Barudi war gerührt. Er trank den Mokka, den Frau Malik hereingebr­acht hatte, mit Bedacht und besprach dann mit seinem Chef die Frage der Sicherheit von Mancini. Major Suleiman stimmte den Maßnahmen zu. Dem Kollegen aus Italien durfte unter keinen Umständen etwas zustoßen.

„Mach, was du für richtig hältst. Das Ministeriu­m ist großzügig in allen Dingen, die den Italiener betreffen.“

Barudi bedankte sich für die Unterstütz­ung und wandte sich zum Gehen. Er hatte alle Mühe, sich zusammenzu­reißen, und schwebte fast die Treppe hinunter. In seinem Gesicht stand ein breites Lächeln, als stünde er unter Drogen. Der eine oder andere, der ihm begegnete, mochte sich wundern.

Zurück in seinem Büro sah Barudi auf die Uhr. Es war kurz vor halb eins. Mancini studierte noch immer die Unterlagen und schrieb Notizen in ein kleines Heft. Barudi öffnete einen Umschlag, der auf seinem Schreibtis­ch lag, und zog den Obduktions­bericht heraus. Außerdem fand er den Presseausw­eis zusammen mit einem Schreiben, in dem auf Englisch und Arabisch alles Wissenswer­te über den Journalist­en Roberto Mastroiann­i stand.

Barudi nahm Platz und las den Obduktions­bericht sorgfältig. Als er fertig war, lud er Mancini zu einem kleinen „Sindbad“-Imbiss ein.

„Aber heute zahle ich“, sagte Mancini entschloss­en und schob sein Notizheft, den Stift und die Unterlagen ordentlich zusammen. „Ab sofort bin ich ein aktiver Mitarbeite­r der syrischen Kriminalpo­lizei und kein Gast mehr.“

„Dein Ausweis ist perfekt“, stimmte Barudi zu, während die beiden sich auf den Weg machten. „Aber zu deiner eigenen Sicherheit solltest du in den nächsten Tagen nicht mehr ins Amt kommen. Niemand in Damaskus soll deine wahre Identität aufdecken. Von jetzt an bist du Roberto, der Journalist. Wir werden nur noch ein paar Tage hier in Damaskus zu tun haben, dann brechen wir nach Derkas auf. Bleib in deiner Wohnung oder geh meinetwege­n spazieren, aber hier im Amt bist du gefährdet. Wir bleiben über dein Handy in Kontakt und solltest du ganz dringend zu uns kommen müssen, schicke ich dir Ali. Er ist der Beste, wenn es darum geht, Verfolger abzuhängen.

»49. Fortsetzun­g folgt

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