Ein Erinnerungsort, der Fragen offenlässt
Vor 70 Jahren wurde auf dem Westfriedhof der Ehrenhain für KZ-Opfer eingeweiht. Nicht alle Lagertoten wurden berücksichtigt
Am 10. September 1950 wurde im Nordwesten des Westfriedhofs unter großer öffentlicher Beteiligung der KZ-Ehrenhain eingeweiht, der an 235 KZ-Opfer erinnert. Der Anstoß für das Ehrenmal kam vom Bayerischen Landesentschädigungsamt unter Leitung von Philipp Auerbach.
Für das Mahnmal wurde Granit aus Flossenbürg ausgewählt – im dortigen Steinbruch hatten KZHäftlinge bis zur Erschöpfung arbeiten müssen. Darauf bezieht sich auch der erste Teil der Inschrift („Der Stein, der sie zu Boden zwang, deckt alle voll Erbarmen“) sowie die Darstellung von Steine tragenden KZ-Häftlingen.
Doch führen Inschrift und Darstellung in die Irre. Hier wird nicht an Häftlinge aus Flossenbürg erinnert, sondern an KZ-Häftlinge, die in den beiden KZ-Außenlagern Haunstetten und Pfersee ums Leben kamen und die in den Messerschmitt-Werken arbeiteten, sowie an Augsburger, die in anderen Konzentrationslagern ums Leben kamen.
Auf der rechten Seite wird nach nationalen Gruppen getrennt an die 125 Opfer der Luftangriffe auf die Messerschmitt-Werke im ersten Halbjahr 1944 erinnert. Sie stammen aus „Großdeutschland“sowie zwölf weiteren Nationen, sehr viel davon aus Frankreich und Polen. Unter den deutschen Opfern befinden sich neben politischen Häftlingen auch „Asoziale“, polizeilich Sicherheitsverwahrte, ein Homosexueller sowie auch Sinti und Roma aus dem österreichisch-ungarischen Grenzgebiet.
Aus der Reihe fällt ein Gedenkstein mit vier kyrillisch geschriebenen Namen: Dabei handelt es sich um Zwangsarbeiter, die in den letzten Kriegstagen noch erschossen wurden. An sie wird auch mit einem eigenen Mahnmal auf dem Gögginger Friedhof erinnert. Auffällig ist jedoch, dass sonst an keine russischen Opfer der Luftangriffe erinnert wird, obwohl dabei mindestens 15 Russen ums Leben gekommen sind. Im Übrigen wurden die sterblichen Überreste der Luftkriegsopfer nach Dachau überführt und dort eingeäschert, sodass die Gedenktafeln wirklich nur Erinnerungstafeln sind.
Links vom Mahnmal sind 90 Opfer des KZ-Außenlagers Pfersee begraben, hier in grob alphabetischer Folge, auch wenn die Gedenksteine selbst dem nicht immer folgen. Auf den Gedenktafeln sind nur Namen und Geburtsdatum bzw. Alter verzeichnet, aber nicht das Todesdatum. Verziert sind die Tafeln mit Kreuzen, einige Male aber auch mit dem Davidstern – unabhängig, ob alle dort Verzeichneten Juden waren – sowie mit dem Symbol für Feuerbestattung, vor allem bei den aus politischen Gründen ums Leben gekommenen. Insgesamt wirkt so die
Gestaltung und Anordnung der Gedenksteine etwas willkürlich.
Die Opfer kommen aus zehn Nationen, neben dem Deutschen Reich vor allem aus Ungarn, Polen und Frankreich. Da in den letzten Kriegstagen etliche tote Häftlinge „wild durcheinander“und ohne Registrierung vergraben wurden, wird hier auch an 42 Unbekannte erinnert. Hier finden sich aber auch die Namen von 5 jüdisch-ungarischen Frauen, die am Bahnhof Hochzoll tot aufgefunden wurden, nachdem sie vermutlich aus einem Transportzug entladen worden waren.
Unmittelbar links vom Eingang wird vor allem an Augsburger Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus wie Hans Adlhoch, Clemens Hoegg, Bebo Wager, Josef und Anna Weichenberger, Karl Nolan sowie Alois und Fritz Pröll erinnert, wobei die Gedenksteine nach politischer Richtung getrennt sind – was übrigens auch für die Gedenkfeiern gilt.
Insgesamt wird so im KZ-Ehrenhain des Augsburger Westfriedhofs nicht nur an 235 KZ-Opfer erinnert, sondern an 332 Tote. Trotzdem fanden über 60 Opfer des KZ-Außenlager Haunstetten und Pfersee keine Berücksichtigung. Sei es, weil sie zu den 42 Unbekannten gehören oder weil die Leichen nach Dachau überführt und dort eingeäschert wurden. Wie etwa die beiden wegen eines gescheiterten Fluchtversuchs im KZAußenlager Pfersee hingerichteten russischen Häftlinge Iwan Asarenko und Petro Martinik.
Der KZ-Ehrenhain bleibt so ein unvollendeter und unvollständiger Erinnerungsort mit offenen Fragen.
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Der Historiker Reinhold Forster hat die Geschichtsagentur Augsburg ins Leben gerufen, die sich schwerpunktmäßig mit dem 19. und 20. Jahrhundert beschäftig.