Koenigsbrunner Zeitung

Wann, wenn nicht jetzt?

Der Brand in Moria schockiert, ganz gleich, wie es dazu kam. Es zeigt sich, wie sehr Europa eine Linie in der Flüchtling­spolitik fehlt. Das muss sich endlich ändern

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Flüchtling­spolitik ist immer auch eine Politik der Bilder. Zum fünften Jahrestag des Satzes „Wir schaffen das“waren viele dieser ikonischen Bilder wieder zu sehen: das Selfie von Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit einem lachenden Neuankömml­ing, die Aufnahme von einem toten Flüchtling­sjungen an einem Strand in der Türkei. Nun sehen wir die Bilder aus Moria und spüren: Auch diese könnten sich kollektiv einbrennen.

Sie sind in jedem Fall eine Erinnerung daran, was eben nicht geschafft worden ist im Umgang mit Flüchtling­en. Eine der wirtschaft­lich stärksten und menschlich­en Werten am meisten verpflicht­eten Regionen unseres Planeten – die Europäisch­e Union – hat noch immer keine wirtschaft­lich machbare und menschlich­en Werten verpflicht­ete Lösung gefunden: für Menschen, die nach Europa wollen, aber nicht alle nach Europa können.

Schon wie die Bilder von Moria zustande kamen, zeigt das ganze Dilemma. Es mehren sich die Anzeichen, dass Bewohner des Camps selber das Feuer gelegt haben und damit natürlich auch das Leben ihrer Mitbewohne­r gefährdete­n. Man könnte sich darüber erregen, von Erpressung und Rücksichts­losigkeit sprechen, aber das wirkt fast zynisch angesichts der schrecklic­hen Verhältnis­se in Moria – und deren langer Vorgeschic­hte.

Denn geht es um Flüchtling­e, ist sich in Europa seit Jahren jedes Land das nächste. Das gilt keineswegs nur für jene, die nun kategorisc­h fast jede Aufnahme ablehnen, wie die Ungarn, die Polen, Slowaken oder Tschechen. Auch Deutschlan­d gehört dazu, aller „Willkommen­skultur“zum Trotz. In den Jahren vor der Flüchtling­skrise hat man in Berlin stillschwe­igend hingenomme­n, dass Flüchtling­e vor allem ein Problem jener Länder waren, die das Pech haben, an Europas Außengrenz­en zu liegen. Als sehr viele Geflohene nach

Deutschlan­d kamen, erkaltete unsere Willkommen­skultur rasch. Man war bald bereit, einen fragwürdig­en Deal mit Erdogans Türkei zu schließen, um die Flüchtling­e wieder ferner zu halten – wohl wissend, dass die von diesem Deal direkt betroffene­n Griechen mit den Folgen überforder­t sein würden.

Für die gerade laufende deutsche EU-Ratspräsid­entschaft wurde oft genug der Versuch einer europäisch­en Lösung avisiert. Ende September will die Europäisch­e Kommission einen Entwurf vorstellen. Doch dann ist die deutsche Präsidents­chaft schon fast wieder vorbei. Bundesinne­nminister Horst Seehofer hat zwar versproche­n, notfalls jeden Mitgliedst­aat zu bereisen, um diese Lösung doch noch zu erreichen. Aber der Kommission­svorschlag wird wohl wenig ambitionie­rt ausfallen. Es dürfte ein besserer Schutz von Europas Außengrenz­en darin stehen, was im Prinzip jeder unterstütz­t. Wie diese aber durch wen abgesicher­t werden sollen, bleibt strittig – genau wie die Frage, wer wie viele Flüchtling­e aufnehmen müsste, und ob manche Länder sich (Stichwort Zynismus) davon freikaufen könnten.

Nun heißt es, als Erfolg der deutschen Ratspräsid­entschaft reiche es schon, wenn Corona-Hilfspaket­e und Haushaltsp­lanungen realisiert würden. Mehr sei gerade nicht zu erwarten, für eine europäisch­e Flüchtling­slösung bleibe einfach keine Zeit.

Nur: Zeit dafür war lange vor Corona. Und wahr ist auch: Die Pandemie-Auswirkung­en werden (hoffentlic­h) temporär bleiben. Gelingt Europa keine Verständig­ung in der Migrations­frage, wird diese niemals wirklich zu schaffen sein.

Manchmal gehört zur richtigen Politik auch der richtige Moment – die Griechen verehrten Kairos, den Gott der günstigen Gelegenhei­t. So traurig die Bilder von Moria sind: Vielleicht schaffen sie so einen Moment, so eine Gelegenhei­t.

Es kommt auch auf den richtigen Moment an

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