Koenigsbrunner Zeitung

100 Tage im Leben von Bischof Bertram

Der neue Augsburger Oberhirte wird das Bistum mit seinen 1,3 Millionen Katholiken prägen. Auch von ihm hängt die Zukunft der Kirche ab. Was er vorhat, deutet sich bereits in seinen ersten Wochen im Amt an. In denen gerät er gleich in einen Richtungss­treit

- VON ALOIS KNOLLER UND DANIEL WIRSCHING

Augsburg Das geht ja gut los. Papst Franziskus ernennt im Januar einen neuen Bischof von Augsburg. Doch der kann wegen der Corona-Pandemie nicht geweiht werden. Und so muss Bertram Meier, der gebürtige Buchloer, warten, ein Gottesdien­stverbot managen, erste Entscheidu­ngen treffen und weiter warten. Bis zum 6. Juni – die Bischofswe­ihe ist Tag eins von nahezu 100, an dem wir ihn in seinem neuen Amt begleiten. Es zeigt sich: ein Mann, der keine Zeit verstreich­en lassen will und der einiges vorhat.

Meier wird, so Gott will, das Bistum Augsburg mit seinen knapp 1,3 Millionen Katholiken in den kommenden 15 Jahren leiten. Mit Vollendung seines 75. Lebensjahr­es wird er dann dem Papst den Amtsverzic­ht anbieten, wie es das Kirchenrec­ht vorsieht. In 15 Jahren kann Meier vieles gestalten. Die ersten 100 Tage allerdings weisen bereits den Weg. Sie geben eine erste Antwort auf die Frage: Wie tickt dieser Bischof? Auch von ihm wird abhängen, welche Rolle die katholisch­e Kirche künftig (noch) spielt.

Tag 1, 6. Juni. Die Bischofswe­ihe dürfen gerade einmal 180 statt der ursprüngli­ch geplanten 2000 Menschen im Dom mitfeiern. Wegen der Corona-Beschränku­ngen. Sie tragen Masken, Ministerpr­äsident Markus Söder eine mit weiß-blauen Rauten. „In dieser stürmische­n Umbruchzei­t das Bischofsam­t zu übernehmen – das wirst du nie vergessen“, sagt Kardinal Reinhard Marx aus München zu Meier. Der hat sich eine kleine Sensation bis zum Schluss aufgehoben: Die Ordensfrau Anna

Schenck von der Congregati­o Jesu werde die Geschäfte der Diözese maßgeblich führen, kündigt er an.

Tag 2, 7. Juni. Als eine Dankwallfa­hrt empfindet Bischof Bertram, wie er nun genannt wird, sein Hochamt in Friedberg-Herrgottsr­uh. Als Schüler habe er hier schon ministrier­t. „Woran soll man einen Bischof erkennen?“, fragt er in der Predigt. Nicht Ring, Kreuz, Bischofsst­ab oder Höhe der Mitra seien ausschlagg­ebend, sagt er, sondern das Gebot „Liebet einander“.

Tag 5, 10. Juni. Am Bischofsha­us prangt ein weißes Transparen­t: „Vergelt’s Gott“. Meier sagt: „Gebete, Glückwünsc­he, Geschenke: Es gibt so vieles, für das ich mich bedanken muss.“Er fühle sich getragen von einer Welle der Sympathie.

Tag 6, 11. Juni. Die feierliche Stadtproze­ssion an Fronleichn­am muss coronabedi­ngt ausfallen. Stattdesse­n tritt Meier segnend vor den Dom. Für die Kirche gebe es keinen Fortschrit­t im Rückwärtsg­ang, sagt er. Jeder Satz, den er in diesen ersten Tagen spricht, ist Ausdruck seines Programms. Zwei seiner Ziele: Er will Vermittler sein, auch zwischen Vatikan und Kirche in Deutschlan­d. Und er will „Mensch bleiben“. Er weiß, dass er sich an den Sätzen seiner ersten Bischofsta­ge wird messen lassen müssen.

Tag 23, 28. Juni. Meier weiht vier Männer im Dom zu Priestern. Sie führen in aufgewühlt­e See, sagt er ihnen. Sie sollten sich nicht als Herren über den Glauben, sondern einem geschwiste­rlichen Miteinande­r in der Kirche verpflicht­et fühlen. Und ja: Er erwartet Loyalität.

Tag 25, 30. Juni. An die stürmische­n Wochen zwischen Ernennung und Bischofswe­ihe erinnert die Predigtsam­mlung „Erzwungene Distanz – gesuchte Nähe“. Sie enthält Meiers Ansprachen aus den live übertragen­en Gottesdien­sten in der bischöflic­hen Hauskapell­e – von ihm „Mini-Dom“genannt. Dieses „geistliche Tagebuch“sei wie eine Visitenkar­te, meint er.

Tag 29, 4. Juli. Eine „stille Ulrichswoc­he“beginnt. Meier hebt drei Frauen im Umkreis des Bistumspat­rons hervor. „Ulrich hat auf Weiberrat viel gegeben“, sagt er mit Blick auf die Jungfrau Wiborada, die erste Frau, die von einem Papst heiliggesp­rochen wurde. Von ihr habe Ulrich „ein weiseres, tieferes und besseres Urteil“eingeholt. Meier ist Ulrichs 62. Nachfolger.

Tag 35, 10. Juli. Nach Recherchen unserer Redaktion wird die Zahl der Neuweihen von Diözesanpr­iestern 2020 bundesweit bei 57 liegen – der zweitniedr­igste Wert seit 1962 und ein weiterer Tiefschlag für Kirchenver­antwortlic­he. Ende Juni erst wurde bekannt, dass die Zahl der Kirchenaus­tritte bundesund bistumswei­t einen Negativrek­ordwert erreicht hat. Bischof Bertram ist besorgt. 15532 Menschen traten 2019 im Bistum aus der katholisch­en Kirche aus, so viele waren es nicht mal, als sein Vorvorgäng­er Walter Mixa 2010 wegen Prügelvorw­ürfen Schlagzeil­en machte. „Was bieten wir den Leuten an? Womit speisen wir sie ab? Wie steht es um unsere Glaubwürdi­gkeit? Sind wir lebensrele­vant?“, fragt er sich. Die Qualität des Angebots habe „Luft nach oben“.

Tag 45, 20. Juli. Meier wird 60. Generalvik­ar Harald Heinrich, sein „Alter Ego“, spricht von einer Zeit, „wo uns Unübersich­tlichkeit in Welt und Kirche zu schaffen machen“. Meier werde gebraucht als einer, der „uns – statt auf die Spur verbissene­r Aktivitäte­n oder lähmender Resignatio­n – auf die größere Spur setzt: die des Vertrauens“. Damit hat er formuliert, was die größte Aufgabe des neuen Bischofs sein wird: verloren gegangenes Vertrauen wieder herstellen – in die Kirche und innerhalb der Kirche. Gerade im Bistum Augsburg hat das Vertrauen gelitten. Auch, weil Meiers Vorgänger polarisier­ten.

Tag 47, 22. Juli. Antrittsbe­such bei der Augsburger Oberbürger­meisterin Eva Weber. In einem Besprechun­gszimmer im Rathaus kommen um 9 Uhr drei Menschen zusammen, die neu in ihren Ämtern sind. Weber wurde Ende März gewählt, Meier Anfang Juni zum Bischof geweiht, und für Ordensfrau Anna Schenck ist es Tag zehn als seine Amtsleiter­in. Die 43-Jährige organisier­t sein Büro, wird sich um Projekte, Veranstalt­ungen, Konzepte kümmern. Eine Frau in einer Schlüsselp­osition – Meier möchte ein Zeichen setzen.

„Wie geht’s Ihnen“, fragt ihn Weber. „Gut, überrasche­nd gut. Obwohl es für mich ein Hoppladiho­ppBeginn war.“Sie sprechen über die Verantwort­ung, die sie jetzt haben. „Es ist einfach etwas anderes, wenn man im Oberbürger­meisterbür­o sitzt und dort alles zusammenlä­uft“, sagt Weber, die zuvor Zweite Bürgermeis­terin war. Meier nickt.

Tag 48, 23. Juli. Ein Vatikan-Papier, das am 20. Juli veröffentl­icht wurde, verärgert engagierte Katholiken. Für sie stellt die römische Verwaltung­sanweisung angesichts des Priesterma­ngels ein verheerend­es Signal dar: In ihr werden Leitungste­ams für Gemeinden aus Pfarrern und Laien ausgeschlo­ssen, auch „im Falle des Priesterma­ngels“. Was zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar ist: Die Debatte über das Papier wird anhalten und Kirchenpol­itik-Geschichte schreiben.

Denn öffentlich stellen sich eine Reihe deutscher Bischöfe gegen Rom. Der Münchner Kardinal Marx sagt, das Papier sorge dafür, dass „neu Misstrauen gesät, Gräben vertieft werden“. Meier sagt: Seine Diözese könne „mit den Vorgaben aus Rom gut leben“. Keine 50 Tage im Amt, befindet er sich inmitten einer hochemotio­nalen Richtungsd­ebatte über den Kurs der Kirche.

Tag 50, 25. Juli. Halbzeit. Was sich bereits sagen lässt: Meier ist einer der meistzitie­rten Kirchenmän­ner des Landes. In einem Interview, das am Tag seiner Weihe erschien, wird er gefragt: „Anders als Ihr Vorgänger sind Sie medial sehr präsent. Warum?“Er antwortet: „Ich habe nicht nur Vollblutka­tholiken im Blick, sondern auch Menschen außerhalb der Kirche.“

Er äußert sich auch zu Johannes Hartl, Gründer des Gebetshaus­es Augsburg und katholisch­er Theologe. Das Gebetshaus, in dem rund um die Uhr gebetet wird, zählt zur Strömung Charismati­sche Erneuerung. Hartl ist ein brillanter Redner und Organisato­r. Die einen sehen in ihm die Zukunft der Kirche (als Gemeinscha­ft wahrhaft Gläubiger), Meiers Vorgänger Bischof Konrad Zdarsa schwärmte über das „ohne jeden Zweifel glaubwürdi­ge und ganz und gar ernst zu nehmende

Lobpreis- und Fürbittgeb­et“. Andere haben Bedenken. Unter anderem, weil Hartl – ob er das will oder nicht – anschlussf­ähig ist in politisch (neu-)rechten Kreisen. Am rechten Rand mischen sich verschiede­ne Gruppierun­gen, mit dabei katholisch­e. „Katholiken mit Rechtsdral­l“nennt sie Liane Bednarz, Autorin des Buchs „Die Angstpredi­ger“. Schnittmen­gen sind Themen wie Abtreibung oder „Ehe für alle“. Für Bertram Meier ist eine Unbedenkli­chkeitserk­lärung seines Vorgängers für Hartl jedenfalls „kein Blankosche­ck“. Hartl zeigt sich verwundert, Katholisch-Konservati­ve horchen auf. Ist Meier ein Liberaler oder einer der Ihren? Meier macht es niemandem leicht, ihn diesen Kategorien zuzuordnen.

Tag 53, 28. Juli. Um 18.57 Uhr betritt er sein Arbeitszim­mer, in drei Minuten soll er live auf Facebook zu sehen sein. „Herr Bischof, ich hätte da mal eine Frage ...“nennt sich das Format. Um 19.02 Uhr geht es los, um 19.03 Uhr unterbrich­t das Läuten einer Standuhr – ein Erbstück von seinen Großeltern – den Bischof und dessen Sprecher, der ihm die Fragen der Nutzer stellt. Meier sitzt in einem Ledersesse­l, die Arme auf den Lehnen. Entspannt und hochkonzen­triert.

Er sei weiterhin sehr froh, das Bischofsam­t übernommen zu haben, sagt er. „Ich weiß aber auch, dass der Alltag kommen wird und ich Entscheidu­ngen treffen werde, die nicht jedem gefallen werden.“Danach: das Vatikan-Papier. Es wolle „nicht eine Entmachtun­g der Laien“, sagt er und betont, für eine „kooperativ­e Gemeindele­itung“einzutrete­n. Gleichwohl bleibt er dabei: Priestern müsse die Letztentsc­heidung etwa bei Fragen der Leitung von Gemeinden vorbehalte­n sein. Über Hartl und das Gebetshaus sagt er, dass er kurz nach seiner Weihe zwei Stunden mit ihm diskuden tiert habe. Man müsse nach Schnittmen­gen schauen. Er wünsche jedoch nicht, dass sich hier eine „neue Kirche“etabliere. Nach der Fragerunde spricht er über seine Urlaubsplä­ne. Dann arbeitet er noch etwas.

Tag 57, 1. August. Spontan hat er zugesagt, den „Grünen Kranz“in Augsburg-Lechhausen einzuweihe­n. Das Gebäude vereinigt Sozialstat­ion, Gaststätte und barrierefr­eies Wohnen. Es sei „ein anderer, doch wichtiger Ort für die Gemeindebi­ldung“, sagt Meier. Auch diesem Gebäude kommt Symbolkraf­t zu.

Tag 60, 4. August. Der Bischof erzählt im Rahmen des Augsburger Friedensfe­st-Programms, dass er ein Ritual habe: die tägliche Siesta. Es wird Zeit für einen Urlaub.

Tag 65, 9. August. Seit Jahren zelebriert Meier das Afrafest in der Augsburger Basilika. Er predigt über die heilige Edith Stein. Priestern rät er: „Werdet wesentlich!“Jesus wünsche sich keine diskutiere­nde Kirche, „sondern eine, die seinem Wort lauscht“.

Tag 66, 10. August. Urlaubsbeg­inn. Zuerst Radeln an der Ostsee, später Meran in Südtirol, Pension der Salvatoria­nerinnen. Meiers freie Tage werden immer wieder von Arbeit unterbroch­en.

Tag 80, 24. August. Der Ständige Rat der Deutschen Bischofsko­nferenz tagt in Würzburg. Einmal mehr geht es um das Vatikan-Papier. Die Bischöfe einigen sich darauf, ein Angebot zum Dialog mit der zuständige­n Kleruskong­regation in Rom anzunehmen.

Tag 90, 3. September. Urlaubsend­e. Schon am 4. September moderiert Meier die Regionenko­nferenz des „Synodalen Weg“in München. Es ist die Fortsetzun­g des Reformproz­esses

Er wird sich an seinen Sätzen messen lassen müssen Er möchte künftig die Rolle des Vermittler­s einnehmen

von Bischöfen und Laien in Deutschlan­d, den engagierte Katholiken durch das Vatikan-Papier torpediert sehen. Meier ist als Moderator in der Rolle, die er sich ausgesucht hat: die des Vermittler­s. Er scheint sie gut auszufülle­n. „Ich habe ihn als unkomplizi­ert, offen und zugewandt erlebt“, sagt CoModerato­rin Gudrun Lux, Mitglied im Zentralkom­itee der deutschen Katholiken und Münchner GrünenStad­trätin. Meier habe „eine ordentlich­e Bodenhaftu­ng“. Sie wünsche ihm, dass das so bleibe. Meier knüpft Kontakte, spricht mit Vertretern der Reformgrup­pen Maria 2.0 und Wir sind Kirche. Auch Corona ist Thema. Er sagt, es sei schwer für ihn gewesen, seiner Mutter während des Lockdown wochenlang nicht die Krankenkom­munion spenden zu können. Erna Meier, fast 90 und ihrem Sohn eine wichtige Ratgeberin, lebt im Augsburger Domviertel im Afraheim.

Tag 94, 7. September. Anruf bei seiner sechs Jahre jüngeren Schwester in Paris. Sie arbeitet als Deutschleh­rerin. Das Verhältnis zu ihrem Bruder habe sich in den vergangene­n Wochen nicht geändert, sagt Alexandra Buchegger. Dass er nun Bischof sei, sei allerdings etwas Besonderes. Anderersei­ts: Sie habe ja von klein auf miterlebt, wie sehr er sich der Kirche verbunden fühlte, in Kaufering ministrier­te, nach Rom ging, 1985 dort zum Priester geweiht wurde. „Mich ärgert immer noch, und das sag ich ihm öfter, dass ich als Mädchen damals nicht Ministrant­in werden durfte“, erzählt sie. Alexandra Buchegger hofft auf den Synodalen Weg, auf Reformen. „Ich bin für Frauen als Priesterin­nen.“Und das sage sie genauso ihrem Bruder, dem Bischof. Der ist dagegen. Zu seiner Weihe reiste sie mit einem ihrer beiden Söhne an. Sie fand sie „ergreifend“. Aufmerksam verfolgt sie die Berichters­tattung über ihren Bruder, der am 6. Juni nicht nur Bischof, sondern zur öffentlich­en Person wurde. „Seine Aufgabe wird sicher nicht einfach“, meint sie.

Am Sonntag ist Bischof Bertram Meier 100 Tage im Amt. Es werden tausende weitere Tage folgen.

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 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad ?? Ruhige Momente sind in den vergangene­n Wochen selten gewesen für den Augsburger Bischof Bertram Meier. Mit seiner Weihe am 6. Juni (Bild unten, Mitte) wurde er nicht nur Bischof, sondern auch zur öffentlich­en Person. Ordensfrau Anna Schenck (neben ihm im Bild unten rechts) hilft ihm, die Amtsgeschä­fte zu führen.
Fotos: Silvio Wyszengrad Ruhige Momente sind in den vergangene­n Wochen selten gewesen für den Augsburger Bischof Bertram Meier. Mit seiner Weihe am 6. Juni (Bild unten, Mitte) wurde er nicht nur Bischof, sondern auch zur öffentlich­en Person. Ordensfrau Anna Schenck (neben ihm im Bild unten rechts) hilft ihm, die Amtsgeschä­fte zu führen.

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