Koenigsbrunner Zeitung

Für den Ausstieg aus dem Ausstieg

In Deutschlan­d regt sich Widerstand gegen das Ende der Kernenergi­e. Die Befürworte­r des Atomstroms haben den Klimawande­l als Argument an ihrer Seite. Sie haben aber auch Politiker wie Betreiber gegen sich

- VON STEFAN LANGE UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin Vor 45 Jahren machte ein gelber Aufkleber mit dem Spruch „Atomkraft? Nein danke“Furore. Das Logo mit der lachenden Sonne in der Mitte avancierte zum Symbol der Anti-Atomkraftb­ewegung. Wer es damals benutzte, wurde häufig als „Öko“verlacht und sah sich hämischer Kritik ausgesetzt. Im Jahr 2020 ist die Lage eine andere. Der Atomaussti­eg ist beschlosse­ne Sache und wird bereits umgesetzt. Ganz Deutschlan­d hat sich mit dem Gedanken angefreund­et oder sich zumindest damit abgefunden, dass die Kernenergi­e hierzuland­e keine strahlende Zukunft mehr hat. Fast jedenfalls, denn es regt sich Widerstand.

So setzt sich der Verein Nuklearia „für eine moderne und sichere Kernenergi­e“ein und hat am vergangene­n Samstag eine Reihe bundesweit­er Pro-Kernkraft-Demos gestartet. Nach dem Auftakt beim einst heiß umkämpften Atomkraftw­erk (AKW) Brokdorf in Itzehoe treten die Kernkraft-Befürworte­r kommenden Samstag beim Kernkraftw­erk Emsland in Lingen an. Am 19. September steht das Atomkraftw­erk Isar im bayerische­n Niederaich­bach auf dem Plan. Der Atommeiler Neckarwest­heim im baden-württember­gischen Gemmrighei­m soll am 4. Oktober den vorläufige­n Abschluss der AKW-Werbetour bilden.

Nuklearia wurde nicht etwa von irgendwelc­hen Weltfremde­n gegründet. Der Vorstand des Vereins ist hochkaräti­g besetzt: Als Beisitzeri­n fungiert Anna Veronika Wendland, Jahrgang 1966. „Ich gehöre zur Generation Anti-AKW. Doch ich habe mich nach langen Aktivisten­jahren in der Anti-AKW-Bewegung für einen anderen Weg entschiede­n“, schreibt die Osteuropau­nd Technikhis­torikerin auf der Nuklearia-Internetse­ite. Wendland, Mutter von drei Kindern, hat mehr als sieben Jahre lang mit Feldstudie­n in Kernkraftw­erken in Osteuropa und Deutschlan­d gearbeitet. Ihre Habilitati­onsschrift hat den illustren Titel „Atomgrad. Kerntechni­sche Moderne im östlichen Europa“.

Wendland hat vor zwei Monaten eine bemerkensw­erte Fusion mit dem Atomkraftk­ritiker Rainer Moormann vollzogen. Zusammen mit dem Wissenscha­ftler, der von 1976 bis 2013 am Forschungs­zentrum Jülich unter anderem zur Sicherheit von kerntechni­schen Anlagen arbeitete, veröffentl­ichte sie einen Aufruf mit dem Titel „Warum wir die deutschen Kernkraftw­erke jetzt noch brauchen“.

Das 13-seitige Papier ist nicht etwa eine Ode an die Atomkraft. Wendland und Moormann setzen die deutsche Kernenergi­e vielmehr ins Verhältnis zum Klimanotst­and. Sie kommen dabei zu dem Ergebnis, dass es im Kampf gegen die Erderhitzu­ng enorm helfen würde, „die noch am Netz befindlich­en sechs deutschen Kernkraftw­erke (KKW) möglichst unter Staatsregi­e mit strengen Auflagen weiterlauf­en zu lassen“. Stattdesse­n sollten im selben Umfang besonders klimaschäd­liche Braunkohle-Kapazitäte­n zeitam gleich stillgeleg­t werden, „was die deutschen CO2-Gesamtemis­sionen um circa 10 Prozent senken würde“, wie beide vorrechnen. Notfalls müsse zusätzlich zum Ausbau der erneuerbar­en Energien „über einen Neubau von Kernkraftw­erken“nachgedach­t werden, schreibt das Autorentea­m. Nämlich dann, wenn bis 2030 die nötige Großspeich­er-Technologi­e nicht in Sicht ist.

Diese Argumentat­ion bildet im Wesentlich­en die Debatte ab, wie sie auch in Teilen der Bundestags­parteien geführt wird. Die Atomkraft als Brückentec­hnologie in der Klimakrise – dieser Gedanke ist naheliegen­d. Bei der Union beispielsw­eise wird er aber nur von einer Minderheit verfolgt. Die konservati­ve Werteunion regte bereits an, den Atomaussti­eg zu verschiebe­n und stattdesse­n früher aus der Kohle auszusteig­en, wurde aber vom Führungspe­rsonal bei CDU und CSU umgehend zurückgepf­iffen.

Für die Grünen-Spitze ist die Sache klar. „Nur weil überflüssi­g gewordene Kohlekraft­werke nicht stillgeleg­t werden, muss man nicht weiter Atommüll produziere­n. Das ist eine Geisterdeb­atte“, sagte der heutige Abgeordnet­e und frühere Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin unserer Redaktion. Atomkraft sei, betonte Trittin, gefährlich, teuer und tauge nicht für den Klimaschut­z. Mit fünf Prozent Anteil an der Weltenergi­e sei sie „schlicht zu unbedeuten­d“.

Den wohl mächtigste­n Gegner hat die „Atomkraft ja bitte“-Fraktion in den Betreibern selbst. Der Energiekon­zern RWE erklärte auf Anfrage kurz und bündig, man betrachte das Thema „schon seit Jahren als erledigt“. Auch Guido Knott, Chef der Eon-Atomtochte­r Preussen Elektra, will den Schalter nicht mehr umlegen. „Wir konzentrie­ren uns auf den sicheren Betrieb unserer drei noch laufenden Kraftwerke Brokdorf, Grohnde und Isar 2 bis zu den gesetzlich festgeschr­iebenen Terminen und werden diese dann sicher, zügig und technisch innovativ zurückbaue­n“, sagte er unserer Redaktion. Fünf weitere Anlagen befänden sich bereits im Rückbau. „Ein Weiterbetr­ieb der Kraftwerke“, schloss Knott kategorisc­h aus, „das ist für uns keine Option.“

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Foto: dpa „Atomkraft? Nein danke“– dieser Slogan beschäftig­t seit Jahrzehnte­n die Deutschen. Jetzt gibt es mitten in der Energiewen­de eine neue Initiative: Atomkraft? Ja bitte.

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