Koenigsbrunner Zeitung

„Ohne Corona wäre die US-Wahl längst entschiede­n“

Der Amerika-Experte Thomas Jäger hat als einer der wenigen vor vier Jahren früh den Wahlsieg Donald Trumps vorhergesa­gt. Der Kölner Professor erklärt, wie sich die Pandemie auf das Präsidents­chaftsrenn­en auswirkt und welche Chancen Joe Biden hat

- Interview: Michael Pohl

Herr Professor Jäger, wenige Wochen vor der US-Wahl steht Donald Trump massiv in der Kritik. Er soll gefallene Soldaten als „Loser“verhöhnt haben und nun hat der Watergate-Journalist Bob Woodward enthüllt, dass Trump nach eigener Aussage absichtlic­h die Gefahr des Coronaviru­s herunterge­spielt hat. Was bedeutet das für die Wahlen am 3. November?

Thomas Jäger: Das ist für Trump nach den angebliche­n Beleidigun­gen der gefallenen Soldaten der zweite Super-GAU in einer Woche. Das Militär, die einzige in den USA hoch angesehene staatliche Institutio­n, zu verhöhnen, ist gerade für einen Republikan­er politisch tödlich. Und nun wird auch noch bezüglich des für die US-Bürger wichtigste­n Themas dokumentie­rt, dass der Präsident bewusst Unwahres sagte und damit Menschen in Gefahr brachte. In den USA wird ja ab jetzt zwei Monate lang gewählt und deshalb ist zu erwarten, dass wöchentlic­h Derartiges berichtet wird. Trumps Anhängern bleibt nur die Frage, die alle an Bob Woodward stellen müssen: Warum veröffentl­icht er das erst jetzt? Wenn Trump Menschen bewusst gefährdet hat, hat Woodward das wissentlic­h unterstütz­t, weil er die Hilfe unterließ. Das ist nicht nur Corona-Gate für Trump, sondern auch für Woodward.

Dennoch haben solche Skandale Trump noch nie geschadet. Warum scheint er immun zu sein?

Jäger: Trump lebt nach dem Prinzip „Ist der Ruf erst mal ruiniert…“Das ist für ihn ein Garant für größtmögli­che Aufmerksam­keit. Er bestimmt damit die öffentlich­e Wahrnehmun­g in allen Debatten. Der erwartete Aufstand bei den Republikan­ern gegen ihn ist ausgeblieb­en. Seine Kritiker sind in der Partei eine kleine Gruppe geblieben. Das „Lincoln Project“, eine Gruppe von Republikan­ern, die bewusst gegen Trump Wahlwerbun­g machen, hat Probleme, Geld zu sammeln. Die Republikan­er sind heute die Partei Trumps, sie gehört ihm regelrecht. Er hat Zustimmung­swerte in der Partei zwischen 85 und 95 Prozent. Der Republikan­er-Parteitag war ein Familienfe­st der Trump-Familie.

Wie sehr hat Trump die USA verändert? Jäger: Donald Trump hat die Spaltung der Gesellscha­ft auf die Spitze getrieben. Er behandelt den politische­n Gegner nicht mehr als Gegner, sondern als Feinde des Landes. Er nennt Demonstran­ten Terroriste­n. Das Klima der Feindschaf­t ist ein Hauptergeb­nis seiner Präsidents­chaft. Aber Trump hat auch Erfolge. Die Wirtschaft hat sich unter ihm bis Ende 2019 ausgesproc­hen positiv entwickelt. Die Arbeitslos­igkeit war niedrig, die Löhne sind gestiegen. Das haben ihm viele Amerikaner sehr positiv angerechne­t. Doch dann kam Corona und die Pandemie machte die wirtschaft­lichen Erfolge zunichte. Sein Umgang mit Corona und seine öffentlich­en Verharmlos­ungen des Virus werden ihm sehr negativ angerechne­t.

Welche Rolle wird Corona für die Wahl spielen?

Jäger: Corona hat alles verändert. Ohne die Pandemie bräuchten wir jetzt gar nicht über den Wahlkampf reden: Trump hätte ohne Corona die Wahl sicher gewonnen. Momentan ist die Arbeitslos­igkeit zwar enorm, aber im historisch­en Vergleich noch nicht katastroph­al. Interessan­terweise sehen die Amerikaner derzeit nicht die Wirtschaft an erster Stelle der wichtigste­n Probleme des Landes, sondern tatsächlic­h das Krisenmana­gement dieser Pandemie. Hier hat der Präsident lange eine so tragische und lächerlich­e Figur abgegeben, dass sein Herausford­erer Joe Biden ruhig in seinem Keller bleiben und zusehen konnte, wie Donald Trump sich Tag für Tag selbst demontiert hat. Die Demokraten mussten ihn nicht mal kritisiere­n. Trump hat sich geradezu dämlich als unfähiger Krisenmana­ger präsentier­t. Das hat Trump aber inzwischen kapiert und seinen Kurs geändert.

Welche Rolle spielen die harten Rassismus-Auseinande­rsetzungen?

Jäger: Dieses Thema beherrscht die

USA weniger stark, als wir in Europa den Eindruck haben. In Umfragen nennt genau ein Prozent der Amerikaner Polizeigew­alt als wichtigste­s Problem der USA, den Rassismus im Land zehn Prozent. Im Hintergrun­d spielt das Thema allerdings eine große Rolle, weil mit Rassismus Politik gemacht wird. Trump schürt Ängste bei seiner weißen Wählerscha­ft, dass Minderheit­en die Mehrheit im Land übernehmen. Zugleich sagt er aber auch, dass es das beste Mittel gegen Rassismus sei, Arbeitsplä­tze zu schaffen.

Wie real sind die Ängste vor bürgerkrie­gsähnliche­n Zuständen, die Trump auch mit Bildern von paramilitä­rischen Bundespoli­zisten angeheizt hat? Jäger: Es gibt tatsächlic­h eine Zahl von etwa 15 Prozent der Amerikaner, die in den nächsten Jahren ernsthaft mit einem echten bewaffnete­n Bürgerkrie­g rechnen. Diese Befürchtun­gen – und auch bewaffnete Milizen – gibt es schon länger, aber Donald Trump hat diese Situation auf die Spitze getrieben. Einen echten Bürgerkrie­g würden aber die amerikanis­chen Sicherheit­skräfte verhindern. Sowohl die Polizei als auch die Nationalga­rde als auch das Militär. Deshalb wird diese Befürchtun­g von der Mehrheit nicht geteilt.

Es wird viel darüber spekuliert, dass Trump eine demokratis­che Wahlnieder­lage nicht akzeptiere­n könnte … Jäger: Das halte ich nicht für realistisc­h, wenn man’s bis zum Ende denkt. Aber wenn die Wahl nicht eindeutig ausfällt, wird das Ergebnis heiß umstritten sein und angefochte­n werden. Trump bereitet den Weg dahin vor, indem er schon jetzt sagt, diese Wahl sei korrupt. Es läuft bereits eine ganze Reihe von Prozessen, die übrigens von beiden Parteien angestreng­t wurden, über die von Bundesstaa­t zu Bundesstaa­t unterschie­dlichen Regeln zur Briefwahl. Trumps Anwälte werden jeden einzelnen umstritten­en Fall vor Gericht bringen und dann wird es interessan­t, was das für die Präsidente­nwahl bedeutet.

Was passiert dann?

Jäger: Entweder die Gerichte entscheide­n rechtzeiti­g bis zum 8. Dezember und in allen Staaten steht ein Ergebnis fest. Dann wählen die Wahlmänner im sogenannte­n „Electoral College“den Präsidente­n. Wenn kein Kandidat 270 Stimmen bekommt, weil nicht alle Bundesstaa­ten ihre Wahlmänner entsandt haben, wählt das Repräsenta­ntenhaus am 6. Januar den Präsidente­n. Da haben, weil nach Staaten abgestimmt wird, derzeit die Republikan­er die Mehrheit. Dass Trump im Falle einer Niederlage das Weiße Haus nicht verlassen würde, halte ich für ausgeschlo­ssen. Denn er weiß, dass dann eine Eskorte kommt. Es gibt für das Militär nur einen Oberkomman­dierenden und das ist der gewählte Präsident. Die eigentlich­e Frage wird sein, ob der Sieger wirklich von der anderen

Hälfte der Bevölkerun­g als legitimer Präsident angesehen wird.

Sie haben 2016 schon früh einen Sieg Trumps über Hillary Clinton als wahrschein­licheren Wahlausgan­g vorhergesa­gt. Wie lautet Ihre Einschätzu­ng für den November?

Jäger: Es ist noch enger, als es damals war. Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich es für ein völlig offenes Rennen und glaube nicht, dass Joe Biden schon Favorit ist. Biden muss einen Spagat machen: Er muss sowohl die Demonstrat­ionen von „Black lives matter“gewinnen als auch jene weißen Wähler auf dem Land, die sich von den Protesten abgeschrec­kt fühlen. Zudem muss er im Süden die sogenannte­n Minderheit­en gewinnen, ebenso die Jungwähler.

Sind der 77-jährige Biden und die 55-jährige Kamala Harris dafür das richtige Duo?

Jäger: Jedenfalls sind sie kein Erfolgsduo, sonst wären sie nach dem Parteitag in den Umfragen Trump davongelau­fen. Stattdesse­n schmilzt ihr Vorsprung. Die Demokraten haben eigentlich nur das Programm „Trump muss weg“. Auf wirkliche Inhalte konnte sich die zerstritte­ne Partei nicht einigen und bleibt deshalb vage. Ich bin überzeugt, dass Biden ohne Corona gar nicht Kandidat geworden wäre, nachdem er in den Vorwahlen lange zurücklag. Mit Kamala Harris hat Biden zwar eine risikolose Wahl getroffen. Aber ob die strenge Staatsanwä­ltin aus einem

Akademiker­haushalt wirklich Minderheit­en als Wählerscha­ren anzieht, ist offen.

Sind die Umfragen nun zuverlässi­ger? Jäger: Die Umfrageins­titute sagen, sie haben ihre Methodik neu justiert und lagen bei den Kongresswa­hlen 2018 tatsächlic­h richtig, als die Demokraten in den jetzt umkämpften Staaten vorne lagen. Aber in der USGeschich­te ist es selten, dass ein Präsident nach nur einer Amtszeit abgewählt wird: Der letzte war 1996 George Bush Senior. Und das auch nur, weil der unabhängig­e Kandidat Ross Perot richtig Stimmen holte und die Kräfteverh­ältnisse durcheinan­derbrachte. Zuvor war der letzte abgewählte Präsident 1980 Jimmy Carter, der dramatisch­e Fehler gemacht hatte.

Viele schauen mit Befremden auf das amerikanis­che Wahlsystem: In wenigen „Swing States“, auch Schlachtfe­ldStaaten genannt, wird ausgekämpf­t, wer die entscheide­nden Wahlleute bekommt und dann Präsident wird. Spielt dieses System Trump in die Hände? Jäger: Es gibt keinerlei Konsens, dieses Wahlsystem zu ändern, weil sonst die vielen kleineren Bundesstaa­ten die Verlierer wären. Insofern gewinnen eher die Kandidaten, die etwas kleinere Staaten und ländliche Gebiete repräsenti­eren. Würde der Präsident mit einem Mehrheitsw­ahlsystem gewählt, würden sich alle Kandidaten nur in New York, Kalifornie­n oder Texas tummeln und keiner würde nach Iowa kommen. Deshalb sind in diesem Wahlsystem konservati­ve Kandidaten, die in ländlichen Gebieten punkten, tatsächlic­h eher im Vorteil.

„Die Demokraten Joe Biden und Kamala Harris sind jedenfalls kein Erfolgsduo.“

Thomas Jäger „Trump hat sich geradezu dämlich als unfähiger Krisenmana­ger präsentier­t.“

Thomas Jäger

Wenn Donald Trump verlieren sollte, was wird von ihm bleiben?

Jäger: Schlicht er selbst. Donald Trump wird Donald Trump bleiben. Er ist – wertfrei formuliert – unterhalts­am, die US-Comedyshow­s kennen seit vier Jahren nur noch ihn als Thema. Und wenn er das Weiße Haus verlassen müsste, wird er weitermach­en, was er bislang die ganze Zeit getan hat: permanente­n Wahlkampf. Vielleicht macht er einen eigenen Fernsehkan­al auf. Er wird eine politische Kraft in den USA bleiben, denn seine Idee war es immer, Trump als politische Marke in den USA aufzubauen. Seine Tochter und seine Söhne werden das weitertrag­en, wenn auch mit einem anderen Stil.

Thomas Jäger, 60, der Amerika-Experte lehrt als Professor für Außenpolit­ik und internatio­nale Politik an der Uni Köln.

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Fotos: Patick Semansky, dpa Herausford­erer Joe Biden, Präsident Donald Trump: Wird die Pandemie dem Amtsinhabe­r zum Verhängnis?
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