Koenigsbrunner Zeitung

Hoffnungsl­os auf Lesbos

Nach der „Feuerhölle“von Moria streifen tausende Flüchtling­e obdachlos über die Insel. Es kommt auch zu Zusammenst­ößen mit der Polizei. Auf Schiffen und in Zelten soll es Notunterkü­nfte geben. Hilfe kommt auch aus dem Allgäu

- VON GERD HÖHLER

Athen Sie verbrachte­n die Nacht auf den Feldern und in den Olivenhain­en, einige Familien suchten sogar Zuflucht auf einem Friedhof. Andere fanden einen Schlafplat­z am Rand der Landstraße. Tausende Migranten hat der Brand im Flüchtling­slager Moria auf der Insel Lesbos obdachlos gemacht. Am Tag danach kauerten viele an Leitplanke­n und in Straßengrä­ben – in der Hoffnung, dass irgendwann Hilfe kommt.

Von einem „Dach über dem Kopf“konnte für die meisten Menschen in Moria schon vor der Feuerkatas­trophe eigentlich keine Rede sein. Nur etwa 3500 der fast 13000 Bewohner des Lagers lebten in Wohncontai­nern. Die anderen hausten in selbst gezimmerte­n Verschläge­n aus Latten, Pappe und Plastikpla­nen. Jetzt haben die Menschen auch dieses dürftige Obdach verloren. Einige konnten wenigstens Schlafsäck­e und Decken vor den Flammen retten.

Am Donnerstag loderten neue Feuer an mehreren Stellen im Lager auf – offenbar gelegte Brände, wie mutmaßlich schon in der Nacht zuvor. Die Brandstift­er wollten wohl auch jene wenigen Unterkünft­e zerstören, die den ersten Feuersturm überstande­n hatten.

Die Lage erscheint hoffnungsl­os. Bewohner stocherten im Lager nach zurückgela­ssenen Habseligke­iten. Die ohnehin dürftigen sanitären Anlagen sind weitgehend zerstört. Im Camp gab es immerhin jeden Tag Mahlzeiten und Getränke, angeliefer­t in Lastwagen. Man musste stundenlan­g anstehen, weil die Lagerleitu­ng bis zuletzt nicht willens oder in der Lage war, die Essensaus

gut zu organisier­en. Die Schikanen waren wohl Teil des „Abschrecku­ngskonzept­s“: Das Leben in Moria sollte möglichst unkomforta­bel sein, um nicht weitere Nachzügler aus der Türkei anzulocken.

Aber immerhin gab es etwas zu essen. Nach dem Brand waren die Menschen sich selbst überlassen. Erst am Donnerstag begann die Armee damit, Mahlzeiten und Getränke zu verteilen. Die Stimmung unter den Migranten schwankte zwischen stummer Verzweiflu­ng und offener Rebellion. Starke Polizeikrä­fte waren rund um Moria in Position gegangen. Sie sollten Migranten daran hindern, in die Inselhaupt­stadt Mytilini zu marschiere­n. Mehrfach versuchten Gruppen junger Männer, die Polizeispe­rren zu durchbrech­en. Die Polizei sprach von etwa 4000 Randaliere­rn. Sie warfen Steine und Flaschen, manche waren mit Eisenstang­en bewaffnet. Die Beamten trieben sie mit Tränengas und Pfefferspr­ay zurück.

Unter den 38000 Einwohnern von Mytilini geht die Angst um, tausende Migranten könnten jetzt auf den Straßen und Plätzen der Inselmetro­pole campieren – und dort das Coronaviru­s verbreiten. 35 Bewohner von Moria waren am Dienstag positiv auf das Virus getestet worden. Der Versuch der Gesundheit­sgabe behörden, sie und ihre Kontaktper­sonen in eine Isoliersta­tion zu bringen, löste Unruhen im Lager aus, die dann zu den mutmaßlich­en Brandstift­ungen führten. Von den 35 Infizierte­n und 80 Kontaktper­sonen konnten im Chaos, das auf der Insel herrscht, erst acht wiedergefu­nden und isoliert werden. Die anderen sind irgendwo unterwegs.

Wenigstens besonders schutzbedü­rftige Lagerbewoh­ner werden in Sicherheit gebracht. 406 unbegleite­te Minderjähr­ige hat die Regierung mit drei Chartermas­chinen ins nordgriech­ische Thessaloni­ki ausgefloge­n und in Hotels untergebra­cht.

Was mit allen anderen Migranten geschehen soll, ist unklar. In vielen Staaten der EU gibt es Diskussion­en über ihre mögliche Aufnahme. Aber erst mal machte ihnen Griechenla­nds Vize-Migrations­minister Giorgos Koumoutsak­os keine Hoffnung: „Wer denkt, er könne jetzt zum Festland und dann nach Deutschlan­d reisen, der kann das vergessen“, sagte er im Nachrichte­nsender Skai.

Ob das Lager wieder aufgebaut wird, ist unklar. Inselbewoh­ner wollen das verhindern, sie errichtete­n Straßenblo­ckaden. In der Zwischenze­it ging im Hafen Sigri an der Westküste das Fährschiff „Blue Star Chios“vor Anker. Die Reederei Blue Star Ferries hat es kostenlos zur Verfügung gestellt, damit es etwa 1000 Obdachlose aufnehmen kann. Die Kriegsmari­ne hat zwei Transports­chiffe nach Lesbos beordert – für weitere 1000 Menschen. Migrations­minister Notis Mitarakis berichtete, bei der Brandkatas­trophe habe es keine Verletzten oder Toten gegeben, es werde auch niemand vermisst. Bis zum Wochenende kündigte er die Aufstellun­g von Zelten für Obdachlose an. Die Behörden suchen geeignete Orte: Die Zeltstädte brauchen Anschlüsse für Wasser, Abwasser und Strom.

Soforthilf­e für die Obdachlose­n hat die Hilfsorgan­isation Humedica angekündig­t, die ihren Sitz in Kaufbeuren im Ostallgäu hat. „Wir sind erschütter­t über die Ereignisse. Unsere Gedanken und Gebete sind bei den Menschen, die durch die Flammen erneut alles verloren haben“, sagt Geschäftsf­ührerin Heinke Rauscher. Über den Partner Eurorelief sollen die Geflüchtet­en mit dem Nötigsten an Nahrung und Kleidung versorgt werden, teilt Humedica mit und rief auch zu Spenden auf.

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Foto: Getty Images Trostlos ist die Lage im Flüchtling­slager Moria: Weitere Feuer zerstören die letzten Zelte, die Sanitäranl­agen sind es bereits. Zigtausend­e Migranten sind jetzt obdachlos.

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