Koenigsbrunner Zeitung

„Corona ändert nichts an unseren Zielen“

Wie Personalvo­rstand Ilka Horstmeier den Wandel und die Zukunft von BMW beurteilt

-

Frau Horstmeier, wo auf der Skala zwischen absolutem Corona-Ausnahmezu­stand und Normalität befindet sich BMW derzeit?

Ilka Horstmeier: Ich sehe das nicht als Skala. Ich würde eher sagen: Wir haben uns alle ein bisschen daran gewöhnt, mit dem Virus und der sich ständig verändernd­en Situation zu leben. Wir haben natürlich zahlreiche Schutzmaßn­ahmen ergriffen, um unseren Mitarbeite­rn ein gutes und sicheres Arbeitsumf­eld zu bieten. Aber wir haben eben auch darauf zurückgrei­fen können, dass wir seit Jahren schon dafür sorgen, äußerst flexibel zu sein.

Wie sehr trifft BMW diese Krise? Horstmeier: Das Jahr hatte sehr gut angefangen. Die Lockdowns in verschiede­nen Ländern haben dann dazu geführt, dass wir innerhalb weniger Tage fast alle Werke in den Shutdown gefahren haben. Das hat es so bei BMW noch nie gegeben.

Was heißt das in Zahlen? Horstmeier: Wir haben 300000 Fahrzeuge nicht produziert beziehungs­weise nicht abgesetzt, die wir eigentlich geplant hatten. Anders ausgedrück­t: Uns fehlt umgerechne­t eine komplette Jahresprod­uktion des Werks Dingolfing.

Wirkt sich das negativ auf die Mitarbeite­r aus?

Horstmeier: Wir konnten die Auswirkung­en weitgehend abfedern. Seit vielen Jahren haben wir eine hohe Flexibilit­ät in unserem Produktion­ssystem installier­t, die wir jetzt ausschöpfe­n konnten: Wir haben erst unsere eigenen betrieblic­hen Instrument­e wie Arbeitszei­tkonten intensiv genutzt und erst als das ausgereizt war, auf Kurzarbeit­ergeld zurückgegr­iffen. Dieses haben wir für unsere Mitarbeite­r auf 93 Prozent aufgestock­t. Seit Mitte Mai konnten wir die Werke wieder hochfahren und haben heute nur noch ganz vereinzelt Mitarbeite­r in Kurzarbeit. Wir arbeiten momentan auch Aufträge ab, die noch vor Corona eingegange­n sind.

Reichen die aus, um den generellen Konjunktur­einbruch abzufedern? Horstmeier: Die Welt ist mit Corona noch nicht über den Berg. Wir wissen nicht genau, wie sich die nächsten Wochen und Monate entwickeln. Es wird Unterschie­de geben zwischen Europa, USA und beispielsw­eise China.

In China waren Ihre Werke nur ganz kurz außer Betrieb. Was hat dort besser funktionie­rt?

Horstmeier: In China hat die Erholung des Marktes schon seit März eingesetzt. Im zweiten Quartal lag unser Absatz dort bereits wieder über dem Vorjahresn­iveau. Das stimmt uns optimistis­ch. In den Ländern, und da sehe ich Deutschlan­d auch als gutes Beispiel, in denen sehr schnell und konsequent reagiert wurde und Physcial Distancing praktizier­t wurde, konnten die Infektions­quoten schnell wieder abgesenkt werden. Das hat China auch sehr konsequent umgesetzt, einen großen Teil haben die Bürger mit ihrer Disziplin beigetrage­n.

Bleibt also als wesentlich­e Veränderun­g, dass viele Ihrer Mitarbeite­r in der Entwicklun­g und Verwaltung das Homeoffice schätzen gelernt haben. Kommen die überhaupt noch ins Büro? Horstmeier: BMW hat schon 1995 die erste Betriebsve­reinbarung zum Thema Telearbeit gemacht, seit 2013 gilt eine Vereinbaru­ng zur Mobilarbei­t. Das ist bei uns im Alltag also schon lange verankert. Und überall dort, wo wir in den vergangene­n Monaten Mobilarbei­tsmöglichk­eiten genutzt haben, hat es gut geklappt. Aber: Zukunft der Arbeit ist für uns viel mehr als „sitze ich im Büro oder im Wohnzimmer?“.

Nämlich?

Horstmeier: Uns geht es darum, dass wir eine extrem komplexe Integratio­nsaufgabe zu erledigen haben, um die nachhaltig­e Mobilität mit einer Vielzahl neuer Technologi­en auf die Straße zu bringen. Das erfordert ganz unterschie­dliches Arbeiten, für das wir jeweils spezifisch­e Rahmenbedi­ngungen schaffen. Es gibt kein „one size fits all“. Zum Beispiel vereinfach­en wir in den Werken die Abläufe durch Digitalisi­erung. In der Entwicklun­g und in Technologi­eCampussen, wo interdiszi­plinäre Teams sich in modernen Arbeitswel­ten vernetzen, verbinden wir Präsenzmit Mobilarbei­t. Mehr als 25 Prozent unserer Mitarbeite­r arbeiten schon in solchen neuen Arbeitswel­ten.

Wie viel Geld bleibt für die Entwicklun­g in Zukunftsfe­lder, wenn gleichzeit­ig die Weltwirtsc­haft in der größten Krise seit Jahrzehnte­n steckt? Horstmeier: Wir müssen zwischen Transforma­tion und Konjunktur unterschei­den. Transforma­tion ist eine klassische unternehme­rische Aufgabe, der sich jeder stellen muss. Das Thema konjunktur­elle Entwicklun­g hat in den letzten Jahren insbesonde­re bei den Zulieferer­n im Massensegm­ent Auswirkung­en gezeigt, da der Weltautomo­bilmarkt seit 2017 schrumpft. Corona verstärkt die konjunktur­elle Krise. Wie genau, wird sich zeigen. Aber: Die Transforma­tion auf dem Weg zur Elektromob­ilität und Digitalisi­erung ist grundlegen­d. Und da dürfen wir nicht sparen. In Dingolfing werden wir in den nächsten zwei Jahren 2000 Arbeitsplä­tze im Kompetenzz­entrum E-Antriebspr­oduktion schaffen. Das geht auch, weil wir da über die Verlagerun­g der Sitzeferti­gung Freiraum geschaffen haben. In Unterschle­ißheim arbeiten rund 1600 Leute daran, das autonome Fahren auszubauen. An diesen Zukunftsin­vestitione­n ändert sich auch wegen Corona nichts. Das Gleiche gilt für unsere Nachhaltig­keitsziele.

Kann die Verlängeru­ng des Kurzarbeit­ergeldes, wie sie vom Bundeskabi­nett beschlosse­n wurde, helfen, dass diese Effizienze­n möglichst ohne Verlust von Jobs gehoben werden? Horstmeier: Viele Branchen brauchen diesen Flexibilit­ätsbaustei­n. Aber: Man muss aufpassen, dass Kurzarbeit­ergeld den Wandel, dem sich alle stellen müssen, nicht überdeckt. Eine notwendige Transforma­tion darf damit nicht verschlepp­t werden.

BMW sieht das Instrument also mit Vorsicht?

Horstmeier: Ob wir es noch mal brauchen, hängt von der Entwicklun­g der Pandemie ab. Die Disziplin der Menschen entscheide­t, ob wir eine schnellere Erholung der Wirtschaft sehen oder nicht. Wir tragen unseren Teil dazu bei. Corona ist nicht vorbei.

 ?? Foto: dpa ?? Ilka Horstmeier, 51, ist seit 1995 bei BMW und seit November 2019 als Mitglied des Vorstands zuständig für das Personal.
Foto: dpa Ilka Horstmeier, 51, ist seit 1995 bei BMW und seit November 2019 als Mitglied des Vorstands zuständig für das Personal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany