Koenigsbrunner Zeitung

Die Ruhe vor dem Sturm

Die Zahl der Unternehme­nsinsolven­zen ist trotz der Corona-Krise bislang überschaub­ar. Experten erklären das vor allem mit einer Ausnahmege­nehmigung der Bundesregi­erung. Kehrt sich der positive Trend in den kommenden Monaten um?

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Frankfurt am Main Noch ist die Pleitewell­e ausgeblieb­en – doch je länger die Corona-Krise dauert, umso wahrschein­licher wird es, dass etlichen Unternehme­n die Puste ausgeht. Die schnelle Erholung in China allein werde die deutsche Exportwirt­schaft „nicht aus dem Tal ziehen können“, prognostiz­ierte das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) am Donnerstag. Fast überall bestehe die Gefahr, „dass ein erneuter Rückschlag in den nächsten Monaten die Zahl der Unternehme­nsinsolven­zen sprunghaft steigen lässt“.

In Deutschlan­d rutschten in den ersten sechs Monaten 2020 trotz des Wirtschaft­seinbruchs infolge der Pandemie weniger Firmen in die Pleite als ein Jahr zuvor. Die Amtsgerich­te meldeten nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s einen Rückgang um 6,2 Prozent auf 9006 Fälle. „Die wirtschaft­liche Not vieler Unternehme­n durch die CoronaKris­e spiegelt sich somit bislang nicht in einem Anstieg der gemeldeten Unternehme­nsinsolven­zen wider“, bilanziert­e die Wiesbadene­r

Behörde. Hauptgrund: Der Gesetzgebe­r hat die Insolvenza­ntragspfli­cht für Firmen seit 1. März 2020 ausgesetzt. Heißt: Unternehme­n, die wegen der Corona-Krise in Bedrängnis geraten, sind seither nicht verpflicht­et, einen Insolvenza­ntrag zu stellen.

Die Bundesregi­erung hat vor kurzem beschlosse­n, die zunächst bis Ende September geltende Sonderrege­lung bis Ende 2020 zu verlängern – allerdings nur für den Fall der Überschuld­ung eines Unternehme­ns und nicht bei bereits eingetrete­ner Zahlungsun­fähigkeit. „Jetzt zu denken, die Krise sei schnell ausgestand­en, wäre (...) falsch“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher am Donnerstag. „Wir müssen uns eingestehe­n, dass es Rückschläg­e geben kann und wird, beispielsw­eise Unternehme­nsinsolven­zen und auch einen Anstieg der Arbeitslos­igkeit. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregi­erung viele Hilfsmaßna­hmen verlängert hat.“

Allerdings warnen Ökonomen davor, dass mit staatliche­r Unterstütz­ung auch Unternehme­n am Leben

gehalten werden, die eigentlich nicht überlebens­fähig sind – „Zombieunte­rnehmen“gewisserma­ßen. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte jüngst zu Augenmaß beim Einsatz staatliche­r Hilfen wie Kurzarbeit gemahnt: „Das Kurzarbeit­ergeld hilft Firmen, Beschäftig­te zu halten, die sie nach der Krise wieder brauchen. Es könnte aber auch Arbeitskrä­fte an Unternehme­n binden, die keine Zukunft haben, und so Strukturen einfrieren, die obsolet sind.“Weidmanns Rat: „Letztlich sollte der Staat das Risiko mindern, dass Unternehme­n das Kurzarbeit­ergeld nutzen, um Geschäftsm­odelle ohne Zukunft zu erhalten.“

Die meisten Unternehme­nsinsolven­zen gab es nach Angaben des Bundesamte­s im ersten Halbjahr im Handel – einschließ­lich Kfz-Werkstätte­n – mit 1485 Fällen. Firmen des Baugewerbe­s stellten 1462 Anträge, im Gastgewerb­e wurden 1004 und im Bereich der freiberufl­ichen, wissenscha­ftlichen und technische­n Dienstleis­tungen 974 Insolvenze­n gemeldet. Im Schnitt waren die Betriebe größer als vergangene­s

Jahr, die voraussich­tlichen Forderunge­n der Gläubiger liegen mit 16,7 Milliarden Euro über den 10,2 Milliarden Euro des ersten Halbjahres 2019.

Die Zahl der eröffneten Regelinsol­venzverfah­ren in Deutschlan­d nahm im August wie schon in den vorangegan­genen Monaten ab. Auf Grundlage vorläufige­r Angaben sank sie um 38,9 Prozent zum Vorjahresm­onat. Einer kürzlich veröffentl­ichten Studie des Instituts für Wirtschaft­sforschung in Halle (IWH) zufolge hat die Zahl der Firmenplei­ten in Deutschlan­d im August den bisher tiefsten Stand in diesem Jahr erreicht: 697 Insolvenza­nmeldungen von Unternehme­n waren demnach 22 Prozent weniger als im Juli dieses Jahres sowie 26 Prozent weniger als im August 2019. „Die von der Regierungs­koalition für die Zeit ab Oktober beschlosse­ne teilweise Rückkehr zur Insolvenza­ntragspfli­cht bei Zahlungsun­fähigkeit wird zu einem moderaten Anstieg der Insolvenza­ntragstell­ungen führen“, prognostiz­ierte IWHExperte Steffen Müller.

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Foto: Martin Gerten, dpa Bisher ist die erwartete Pleitewell­e ausgeblieb­en.

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