Koenigsbrunner Zeitung

Herzbube

Daniel lebt seit 656 Tagen im Krankenhau­s. Er wartet auf ein Spenderher­z. Wie es dem Kind geht und wie die Corona-Pandemie die ohnehin schwierige Situation nun verändert

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg 656. Diese drei Ziffern, die eigentlich völlig unscheinba­r daherkomme­n, erzählen eine traurige Geschichte. Es ist die Geschichte von Daniel, einem kleinen Jungen aus Schwabmünc­hen im Landkreis Augsburg, der dringend ein Spenderher­z braucht. Auf dem Spielplatz toben, mit anderen Kindern Verstecken spielen, Sandburgen am Baggersee bauen – Daniel kennt so etwas nicht. Sein Zuhause ist ein Zimmer in der Uniklinik im Münchner Stadtteil Großhadern – und das seit eben genau 656 Tagen. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, macht die Corona-Pandemie das Leben des kleinen Buben und seiner Eltern noch komplizier­ter.

Wenn man mit Diana Dietrich, Daniels Mutter, spricht, dann spürt man, wie viel Kraft sie aufbringen muss. Jeden Tag. Dass ihr Kind so lange im Krankenhau­s sein würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Im Schnitt bekämen Patienten innerhalb von zwölf bis 18 Monaten ein Spenderher­z, hatten ihr die Ärzte damals gesagt.

Damals, das ist der 23. Oktober 2018. Die Schwabmünc­hnerin ist mit ihrem Sohn, der da gerade einmal zehn Monate alt ist, im Krankenhau­s. Er hatte in den vergangene­n Wochen oft gehustet, an etwas Schlimmes hatte aber niemand gedacht. Doch die Nachricht, die Diana Dietrich an jenem Tag erhält, wirft ihr Leben von einem Moment auf den anderen aus der Bahn. An diesem kühlen Herbsttag erfährt sie, dass Daniel an dilatative­r Kardiomyop­athie leidet. Eine extrem seltene Krankheit, bei der eine Herzkammer massiv vergrößert ist. Daniel braucht dringend ein Spenderorg­an. Sonst stirbt er.

„Im Moment geht es ihm den Umständen entspreche­nd“, sagt Diana Dietrich im Gespräch mit unserer Redaktion am Telefon. Die Kanülen würden oft bluten, Daniel habe wegen der ständigen Reibung Schmerzen. Jeden Tag gebe es deswegen einen aufwendige­n Verbandswe­chsel. „Aber er ist trotzdem eine Frohnatur“, sagt Daniels Mama, hält kurz inne und fügt dann hinzu: „Aber er kennt es ja nicht anders.“Was ihm aber wirklich fehle, sei der Kontakt zu anderen Kindern. Auch für seine Entwicklun­g. Im Dezember wird Daniel drei Jahre alt, Gleichaltr­ige sprechen da längst, Daniel aber noch nicht.

Und jetzt also noch die CoronaKris­e. Daniel dürfe sich natürlich keinesfall­s mit dem Virus infizieren,

seine Mutter. Alle seien deswegen enorm vorsichtig, ins Krankenhau­s dürfe nur maximal ein Besucher. Früher, bevor die Pandemie alles verändert hat, konnte Diana Dietrich auch mal Freunde einladen. Die junge Mutter wohnt im Ronald-McDonald-Haus gleich neben der Klinik, in dem mehrere Eltern schwer kranker Kinder leben. Der Kontakt mit anderen fehle ihr – allerdings sei sie ohnehin am Abend oft am Ende ihrer Kräfte, falle nur noch völlig erschöpft ins Bett. Daniels Vater wohnt ebenfalls in der Wohnung neben der Klinik. Jeden Morgen fährt er von dort zur Arbeit und kommt am Abend zurück. In ihrem eigentlich­en Zuhause in Schwabmünc­hen schauen sie nur noch einmal im Monat vorbei.

Wenn es das Wetter zulässt, geht Diana Dietrich mit ihrem Sohn ins Freie – das ist auch jetzt während der Corona-Pandemie möglich. Das Klinikgelä­nde verlassen sie allerdings nicht. „Wir gehen immer auf der gleichen Straße spazieren“, erzählt Daniels Mutter. Ein kleines bisschen mehr Freiheit gibt es nun aber: Daniel hat ein neues Herzunters­tützungssy­stem bekommen, dessen Akku sieben Stunden hält. „Als drittes Kind weltweit darf Dasagt niel diese Maschine testen“, erzählt Diana Dietrich.

Tausende Menschen verfolgen im Internet das Schicksal des kleinen Jungen. „Herzbube Daniel“heißt der Blog von Diana Dietrich. Immer wieder postet sie auf Facebook oder Instagram auch Geschichte­n von Kindern, die mit Daniel im Krankenhau­s waren – und die endlich ein Herz bekommen haben. „Für mich ist das immer ein Hoffnungss­chimmer, wenn ich sehe, dass es bei anderen klappt. Ich habe da nicht den Gedanken, dass sie uns etwas wegnehmen“, sagt Diana Dietrich, macht eine kurze Pause und sagt: „Aber es tut schon auch weh.“

Dass der erlösende Anruf kommt, darauf hofft Daniels Mutter jeden Tag. Doch die ganze Sache sei wie ein Sechser im Lotto, sagt sie. Und sie weiß auch: Während für sie und ihren Sohn ein neues Herz ein riesengroß­es Glück wäre, erlebten andere Eltern die schlimmste Tragödie, die man sich vorstellen kann. Denn ein Spenderher­z gibt es eben nur, wenn ein anderes Kind stirbt.

Die Eltern eines gestorbene­n Kindes müssen sich dann überhaupt erst bereit erklären, das Herz zu spenden. Und es gibt noch mehr Hürden: Das Herz muss natürlich zu Daniel passen, und das Organ dürfe auch nicht zu weit weg sein.

In Deutschlan­d warten sehr viele Patienten auf ein neues Herz – mehr als 700 Menschen geht es wie dem kleinen Daniel. Und das ganz große Problem dabei ist: Es gibt einfach nicht genügend Organe. Und so warten viele Patienten lange. Sehr lange. Oft vergebens.

Im Januar hat der Bundestag gegen die von Gesundheit­sminister Jens Spahn vorgeschla­gene Widerspruc­hslösung gestimmt. Das Modell hätte vorgesehen, dass jeder Erwachsene grundsätzl­ich Organspend­er sein soll – es sei denn, er widerspric­ht ausdrückli­ch. „Ich fand die Entscheidu­ng sehr enttäusche­nd und unverständ­lich“, sagt Diana Dietrich. Und sie habe das Gefühl, dass sich viele Politiker gar nicht ausreichen­d mit dem Thema beschäftig­t hätten. „Ich habe so viele Politiker angeschrie­ben, mit uns zu sprechen, mehr über Daniel und sein Schicksal zu erfahren. Aber nur zwei sind gekommen.“

Wie es nun weitergeht? Diana Dietrich weiß es nicht. Und auch die Ärzte könnten keine Voraussage­n treffen. Alles, was sie tun könne, sei hoffen. Auf diesen einen Anruf. Auf ein neues Herz für ihren Sohn. Denn das ist das Einzige, was dem Buben helfen kann.

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Foto: Diana Dietrich Daniel braucht dringend ein neues Herz. Er lebt seit vielen Monaten in einem Krankenhau­szimmer.

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