Platzt der Goldfinger-Prozess jetzt?
Das Oberlandesgericht hält den Vorsitzenden Richter in zwei Nebenverfahren für befangen. Die Staatsanwaltschaft will die Verhandlung stoppen. Kommt es zum Neustart mit neuem Richter?
Augsburg Eine beliebte Strategie von Strafverteidigern ist es, den Prozess gegen ihren Mandanten zum Platzen zu bringen. Das wird dann regelmäßig als juristischer Erfolg gefeiert, wenngleich es sein kann, dass in einer Neuauflage eine Verurteilung herauskommt.
Auch in diesem Punkt läuft im spektakulären Augsburger Goldfinger-Prozess um eine angeblich milliardenschwere Steuerhinterziehung wieder alles ganz anders: Hier ist es die Staatsanwaltschaft, die versucht, den von ihr selbst mit jahrelangen Ermittlungen und Anklagen auf den Weg gebrachten Prozess zum Platzen zu bringen. Sie hat die Aussetzung des Verfahrens beantragt. Und nicht nur die Begründung dafür lässt aufhorchen.
Um die Hintergründe zu verstehen, muss man ein paar Monate zurückblicken. Nach einem guten halben Jahr Verhandlung, in dem die Staatsanwaltschaft zunehmend eine schlechte Figur gemacht hatte, gab es Ende Mai einen aufsehenerregenden offiziellen Wendepunkt im Goldfinger-Prozess: Der Vorsitzende Richter der 10. Strafkammer, Johannes Ballis, zerpflückte in einer 30-seitigen Stellungnahme die Argumentation
der Staatsanwaltschaft. Grundsätzlich sei die GoldfingerSteuergestaltung legal umsetzbar, sagte Ballis. Das hat auch der Bundesfinanzhof in München, das höchste deutsche Finanzgericht, 2017 so entschieden.
Die bisherige Beweisaufnahme habe ergeben, dass die beiden Angeklagten Martin H. und Diethard G. „kein Steuerhinterziehungsmodell entworfen und vertrieben haben“, fuhr der Richter fort. Er halte es für „vernünftig, fair, gerecht und juristisch richtig“, den zeitnahen Abschluss aller Verfahren gegen H. und G. zu suchen. Und zwar in einer Einstellung gegen Geldauflagen nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung. Weitere Hauptverhandlungen in diesem Ermittlungskomplex müssten seiner Ansicht nach „sogar als Ressourcenverschwendung angesehen werden“, so Ballis.
Die Staatsanwaltschaft reagierte extrem sauer auf den Vorschlag des Vorsitzenden Richters. Sie lehnte ihn ab und stellte im Gegenzug einen Befangenheitsantrag. Der wurde zwar als unzulässig, weil verspätet, und unbegründet zurückgewiesen, doch die Ankläger legten nach. Ihrer Meinung nach hatte sich der Richter mit seinen Aussagen ohne Not viel zu weit aus dem Fenster gelehnt. Die Staatsanwaltschaft stellte Befangenheitsanträge in sämtlichen anderen Goldfinger-Verfahren, die bei Ballis anhängig sind.
Die Atmosphäre in diesem Prozess, die ohnehin schon frostig und feindselig ist, hat das nicht gerade verbessert. Und so wird aus dem Wirtschaftskrimi jetzt immer mehr ein Justizkrimi. Denn in zwei Fällen von Nebenverfahren hatte die Staatsanwaltschaft jetzt mit ihren Befangenheitsanträgen Erfolg beim Oberlandesgericht (OLG) München. Das macht das komplexe Verfahren noch komplizierter. Denn insbesondere in einem Beschluss findet der 3. Strafsenat des OLG klare Worte: Er hält den Befangenheitsantrag nicht für verspätet und damit für zulässig. Und er sieht die Besorgnis der Befangenheit bei Richter Ballis. Der Vorsitzende sei
„nicht gewillt, seinen Entscheidungsmaßstab zum Schuldspruch dem geltenden Recht zu entnehmen“. Ein vernünftiger Dritter müsse „bei dieser Ausgangslage damit rechnen, dass der Vorsitzende dem Anliegen der Angeschuldigten zuneigt …“
Das sind unmissverständliche Formulierungen, auch wenn sie auf den laufenden Goldfinger-Prozess keinen direkten Einfluss haben. Die Verhandlung könnte einfach weitergehen. Aber über dem Prozess hängt ein Damoklesschwert, denn die Vorwürfe in dem Nebenverfahren sind schon vergleichbar mit denen in der aktuellen Hauptverhandlung. Das ist der Grund, weshalb die Staatsanwaltschaft jetzt die Aussetzung beantragt hat. „Das Oberlandesgericht hat sehr deutliche Worte gefunden. Es besteht die Gefahr, dass ein Urteil in dieser Gerichtsbesetzung einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten würde“, erklärt der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, Matthias Nickolai.
Mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Bundesgerichtshof in einer Revision die Frage der Befangenheit genauso sehen würde wie das Oberlandesgericht. Und damit würde das Urteil allein aus diesem Grund aufgehoben werden, ohne dass sich die höchsten Richter überhaupt mit den weiteren Rechtsfragen zur umstrittenen Goldfinger-Steuergestaltung befassten. Ein jahrelanger Prozess wäre dann quasi umsonst gewesen.
Doch die Augsburger Staatsanwaltschaft hat wahrscheinlich noch ein anderes Interesse: Nachdem sich Richter Ballis schon so klar festgelegt hat, kann die Anklage realistischerweise nicht mit einer Verurteilung der Münchner Rechtsanwälte Martin H. und Diethard G. durch diese Strafkammer rechnen. Es kann also auch eine Strategie dahinterstecken, das Verfahren jetzt zu torpedieren und in einer Neuauflage auf einen anderen Vorsitzenden Richter zu hoffen, der möglicherweise einer anderen Rechtsauffassung als Richter Ballis ist.