Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (49)
EIn die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019
r wird dich in die Tiefgarage fahren und von dort nimmst du den Aufzug zu mir. Wenn er denn funktioniert.“
„Du hast wirklich an alles gedacht“, staunte Mancini. „Aber ist das tatsächlich nötig? Macht ihr euch nicht zu viel Arbeit, was mich angeht? Ich soll doch vielmehr euch ein wenig Arbeit abnehmen.“
„Den Gast zu schützen ist eine Selbstverständlichkeit. Außerdem hat der Chef es angeordnet. Nein, mach dir keine Sorgen. Wir werden dich noch genug ausbeuten“, erwiderte Barudi und lachte. „Ein einziges Foto von uns gemeinsam hier könnte dich enttarnen, und das wollen wir nicht. Der Meinung ist auch der Chef. Deshalb hat er untersagt, dass mit dem Bericht über die italienisch-syrische Zusammenarbeit auch ein Foto von dir veröffentlicht wird.“Mancini kam aus dem Staunen nicht heraus. „Auch dein Chef denkt an mich? Was haltet ihr davon, wenn ich in Rom kündige und bei euch einsteige?“
„Würde ich dir nicht empfehlen“, sagte Barudi und winkte ab. „Wir sind freundlich, solange du unser Gast bist. Sobald du einer von uns wirst, fallen wir über dich her.“Er lachte laut.
Wie klein und bescheiden der Imbiss war, fiel Mancini erst diesmal so richtig auf. Über dem Eingang hing ein Schild mit dem Spruch, den die Damaszener gern an ihrem Besitztum anbringen, um den bösen Blick abzuwehren: Das Neidauge soll erblinden.
Der Wirt kannte seinen Stammkunden Barudi gut und begrüßte ihn mit den Worten: „Pizza Salami, wie immer?“
„Nein, heute will ich ein Festessen. Kebbeh mit Salat. Der Italiener zahlt! Aber sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Er ist Journalist und arbeitet mit der Mafia zusammen. Er besitzt nur Falschgeld.“
„Bruder, glaub ihm kein Wort“, widersprach Mancini in breitem Damaszener Dialekt.
„Der soll Italiener sein?“, wunderte sich der Wirt. „Er sieht nicht italienisch aus, und so wie er spricht, müsste er aus dem alten SchagurViertel stammen.“
„Ganz richtig“, bestätigte Mancini. „Du hast gute Augen und supergute Ohren. Mein Kollege Barudi isst zu viel Pizza und sieht in jedem Passanten einen Mafioso. Für mich bitte auch Kebbeh, aber mit Gurken-Joghurt-Salat.“
Die beiden nahmen in einer Ecke des zu dieser Stunde noch fast leeren Imbisses Platz. „Ich will dir erzählen“, fing Barudi an, „worum es heute Morgen bei meinem Gespräch mit Schukri ging. Im Amt kann ich das nicht. Wir, die Kriminalpolizisten, stehen sehr tief in der Pyramide der Macht, unter uns kommen nur noch die Verkehrspolizisten und die Nachtwächter. Die Kriminalpolizei hat bei uns gewisse Ähnlichkeiten mit der Müllabfuhr. Sie reinigt die Gesellschaft von Kriminellen, damit die Bürger – vor allem die wohlhabenden – besser schlafen können. Darüber hinaus aber sind wir machtlos, und niemand interessiert sich für uns. Es gibt auf der Welt kaum ein raffinierteres System als den syrischen Geheimdienst. Fünfzehn Abteilungen, und jede Abteilung kümmert sich nur um einen ganz genau definierten Sektor. Militär, Universitäten,
Kulturinstitutionen und Künstler, Moscheen, Gewerkschaften, Parteien, Prostitution und alle, die in irgendeiner Weise die Herrschaft gefährden könnten. Von uns Kriminalpolizisten geht keine Gefahr aus, aber es ist besser, sich im Amt nicht politisch zu äußern. Wir werden vielleicht nicht abgehört, aber unter den Mitarbeitern könnten durchaus einige Spitzel sein. Deshalb habe ich dich zur Vorsicht gemahnt.“Barudi hielt inne, als der Wirt zwei Gläser Tee servierte. „Ein Willkommensgruß für den Schagur-Italiener“, scherzte dieser und stellte die Gläser auf den Tisch.
„Schukri verdächtigt meinen Mitarbeiter Nabil“, fuhr Barudi fort, nachdem der Wirt sich entfernt hatte, „ein Spitzel des Geheimdienstes zu sein. Er sei schuld daran, dass die bereits zugesagte Beförderung und eine Würdigung Schukris vom Geheimdienst blockiert wurden. Ich habe es in meinen Dienstjahren drei-, viermal am eigenen Leib erfahren: Wenn der Geheimdienst irgendetwas blockiert, kuscht der Innenminister und zieht die Zusage zurück. Schukri sagte mir nun, er wolle Nabil nicht einladen. Und das nicht, weil er ein Spitzel sei, sondern weil er ihn nicht möge. Und dagegen hat weder der Geheimdienst noch Gott etwas einzuwenden: dass du irgendjemanden nicht ausstehen kannst, auch ohne Begründung. Aber er wollte Ali einladen. Und das kann ich nicht zulassen, denn dann schaukelt sich die Feindseligkeit zwischen den beiden Assistenten weiter hoch. Das möchte ich unter allen Umständen verhindern.“„Verstehe“, sagte Mancini. „Deshalb haben wir, als gute Kollegen, einen Kompromiss gefunden. Keiner der beiden wird eingeladen. Du musst dich also heute Abend mit mir und Schukri zufriedengeben.“
„Gern, und ich danke dir für das große Vertrauen“, erwiderte Mancini.
„Wir haben eine gefährliche Ermittlung vor uns. Wer auch immer den Kardinal umgebracht hat, ist ein Profi, und er wird alles tun, um nicht entlarvt zu werden. Das Einfachste wäre, uns beide zu erledigen, deshalb dürfen wir keinen Fehler machen. Wir dürfen dem Täter zum Beispiel nicht zu früh zeigen, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind. Und außerdem müssen wir uns absolut aufeinander verlassen können. Das setzt großes Vertrauen voraus. Ich habe dieses Vertrauen zu dir.“
Mancini streckte die Hand aus. „Und ich zu dir.“
Die beiden Männer drückten einander kräftig die Hand.
„Was ist passiert? Habt ihr euch darauf geeinigt, mir Falschgeld zu geben?“, sagte der Wirt in diesem Moment und stellte ein großes Tablett auf den freien Tisch neben den beiden. Er reichte Mancini und Barudi je eine große Portion Kebbeh und dann den gemischten Salat für Barudi und eine Schale mit GurkenJoghurt-Salat für Mancini.
„Ya salam, das duftet herrlich“, rief Mancini begeistert.
Und Barudi rieb sich die Hände. „Ich habe keinen Hunger, ich bin der Hunger in Person“, rief er. Er schob gerade ein Salatblatt in den Mund, als Mancinis Smartphone läutete.
„Pronto“, sagte dieser, als er auf dem Display sah, wer der Anrufer war. Er sprach lange auf Italienisch und lachte immer wieder. Barudi bedeutete ihm mit Gestik und Mimik, dass er essen solle, bevor die Kebbeh kalt würde. Mancini nickte, sprach aber unbeeindruckt weiter.
Der Wirt näherte sich erstaunt. „Er ist also doch ein Italiener. Er hat salute, ciao, grazie und amico gesagt, das ist Italienisch. Er kommt also doch nicht aus dem SchagurViertel.“
„Habe ich dich jemals belogen?“, erwiderte Barudi leise. Der Wirt schüttelte den Kopf.
»50. Fortsetzung folgt