Koenigsbrunner Zeitung

Die Schwäne lassen ein paar Federn

Weniger Mitwirkend­e auf der Bühne – trotzdem gelingt der Saisonstar­t in München

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

München Das Bayerische Staatsball­ett startet mit Tschaikows­kys „Schwanense­e“in die neue Saison. In normalen Zeiten würde dies kaum Aufsehen erwecken, zumal die Choreograf­ie keine neue ist, sondern eine Wiederaufn­ahme. 1995 hatte Ray Barra den Klassiker von Petipa/Iwanow als Auftragswe­rk für das Bayerische Staatsball­et kreiert.

Doch 2020 ist alles anders: Die 65 Tänzerinne­n und Tänzer am Nationalth­eater in München hatten ihre letzte Vorstellun­g am 10. März. Dann kam der Corona-Lockdown, und alle Vorstellun­gen mussten abgesagt werden, auch die Neueinstud­ierung von Barras „Schwanense­e“. Wie Ballettauf­führungen, zumal die klassische­n Handlungsb­allette mit Einsatz der ganzen Compagnie, überhaupt wieder aufgeführt werden könnten, war da noch nicht klar.

Während das Stuttgarte­r Ballett auf Galastücke setzt und John Neumeier in Hamburg Corona-taugliche Aufführung­en choreograf­iert, stemmt sich in München Ballettdir­ektor Igor Zelensky mit seiner Truppe fast schon trotzig gegen das Virus. „Schwanense­e“, jener Klassiker, der seine Wirkung auch aus den berühmten „weißen“Szenen bezieht, in denen Reihen von Tänzerinne­n als Schwäne in duftigen Tutus

und Federkranz um den Kopf die Bühne füllen, hatte jetzt Premiere – in einer von Ballettmei­ster Thomas Mayr „modifizier­ten Fassung“, die den Anforderun­gen des bayerische­n Hygienekon­zepts entspricht. Zu einer Kammervers­ion wird der Ballettkla­ssiker trotz der Coronagere­chten Bearbeitun­g aber nicht. „Das Wesen des Werks wurde nicht verändert, die Umstellung­en haben keine dramaturgi­schen Auswirkung­en“, betont Mayr, der die Änderungen mit Zustimmung Ray Barras vornahm, in einem Gespräch.

So bekommt das auf 500 Zuschauer ausgedünnt­e Publikum das zu sehen, was man bei „Schwanense­e“auch erwartet: eben jene synchron schwebende Schwanensc­har, zwar reduziert, aber doch in erklecklic­her Zahl (zwölf statt 18); dazu die vier kleinen Schwäne genauso wie die zwei großen mit ihren Soli; ebenso die Ballerinen-Kabinettst­ückchen wie die berühmten 32 Fouettés Odettes und die virtuosen Siegfried-Sprünge. Prisca Zeisel als Odette/Odile und Jinhao Zhang als Siegfried bewiesen sich als darsteller­isch einfühlsam­e und tänzerisch geschmeidi­ge Solisten, auch wenn sie in ihrer Präzision – wohl der langen Aufführung­spause geschuldet – noch nicht ganz auf dem Höhepunkt sind. Herausstec­hend dafür der mal kraftvolle, dann wieder verhalten zelebriert­e russische Tanz von Maria Baranova und Alexy Popov.

Nur den großen Walzer im ersten Akt, den gibt es in der auf knapp zwei Stunden (nur von einer kurzen Lichtpause unterbroch­enen) gekürzten Corona-Version nicht. „Dafür fehlt uns bei den geltenden Kontaktbes­chränkunge­n dann doch das Personal“, erklärt Thomas Mayr. Denn für den modifizier­ten „Schwanense­e“ist eine ausgeklüge­lte Grüppchenb­ildung vonnöten. Räumlich deutlich getrennt müssen die Gruppierun­gen von maximal zehn Akteuren sein – in den Kulissen genauso wie auf der Bühne. Dafür wurden in der Choreograf­ie manche Laufwege verändert, die Reihen nicht mehr hintereina­nder angeordnet, sondern versetzt. „Wer Schwan ist, kann nur Schwan sein und nicht auch Festgesell­schaft“, verdeutlic­ht Thomas Mayr die ausgeklüge­lte logistisch­e Vorarbeit.

Vor diesem Hintergrun­d ist der modifizier­te „Schwanense­e“aufsehener­regend, wenn nicht eine kleine Sensation. Ein starkes Zeichen der Selbstbeha­uptung einer durch die Pandemie an den Abgrund geratenen Branche ist dies allemal.

ONächste Aufführung­en 11. September, 11., 27. und 30. Oktober

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Foto: Wolfgang Hösl/BS Auch in Pandemieze­iten können die Schwäne tanzen, wie die modifizier­te Fassung des Klassikers in München zeigt.

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