Bluegrass mit ein wenig Punk gewürzt
Aus der Band Attila & Friends sind vor einiger Zeit die Lonesome Artisans hervorgegangen. Nach coronabedingter Pause gehen die Musiker um Attila Tapolczai nun an den Neustart
„Amtlich verboten!“Einst im kommunistischen Ungarn wiesen überall im öffentliche Raum Schilder darauf hin, was die Staatspartei nicht sehen wollte: trinken, tanzen, laut sein. Für Punks eher eine Aufforderung. Als der junge Gitarrist Attila Tapolczai in Budapest seine erste Band mit eben jenem Verbotsnamen – Hatosagilag Tilos – gründete, war der Eiserne Vorhang bereits gefallen und die Schilder verschwunden. Trotzdem ein guter Name für eine raue Punkband aus dem rauen Stadtteil Pest Mitte der 90er.
Damals wurden auch über Ballonfabrikant Markus Walke die ersten zarten Bande in die Fuggerstadt geknüpft. Freundschaften entstanden, Augsburg wurde zur Heimat, das Banjo verdrängte die Stromgitarre. 15 Jahre und zehn Alben lang als Attila & Friends, seit letztem Jahr unter dem Namen Lonesome Artisans.
„Wir spielen gerne klassischen Bluegrass“, sagt Tapolczai, also schnelle, akustische Folkmusik mit Wurzeln im Country, in der das perkussive „Choppen“auf Mandoline und Gitarre das Schlagwerk ersetzt; „aber wir sind eben auch nicht aus Kentucky“. Warum also nicht zwei Leidenschaften verbinden? So weit voneinander entfernt sind Punk und Bluegrass nun auch nicht, wie der jüngste Neuzugang an der Gitarre, Wolle Speer, erklärt: „Es gibt durchaus musikalische Überschneidungen; das Songwriting, die Doubletime…“Davon abgesehen sind auch die akustischen Soloalben der alten US-Punks Greg Graffin (Bad Religion) und Mike Ness (Social Distortion) ein wichtiger Einfluss.
Ness’ Songs brachten die ambitioniert gestartete, dann von Corona brutal ausgebremste Band wieder auf Spur. Lang geplante Konzerte waren abgesagt worden, die Probenphase war der Kontaktsperre zum Opfer gefallen, und Zoom-Proben sind im Vergleich zu einem Jam im Proberaum so inspirierend wie
Gespräch mit einem Laternenpfahl.
Doch die Zeit verstrich nicht ungenutzt: „Ich habe mich sehr tief mit meinem Instrument beschäftigt, lange nicht gespielte Bach-Stücke wieder rausgekramt“, erzählt Bratschistin Johanna Regenbogen. Dann gab es erste vorsichtige Proben in kleinen Gruppen auf der Straße, bevor mit Attilas mobilem Studio im Schloss Blumenthal und mit angemessenem Abstand sowie neu entfachtem Feuer Bluegrass-Versionen der kalifornischen Punkrocker als
„The Social Dist…“-EP eingespielt wurden.
„Endlich wieder zusammenzuspielen war etwas ganz Besonderes“, lächelte Johanna Regenbogen. Freude und Erleichterung darüber in ihrem Gesicht zeigen, wie entbehrungsreich die vielen Wochen davor waren. Die neu gewonnene Energie wird nun in die Arbeit am Debütalbum „Rock in the Grass“investiert. Die Saiteninstrumente, darunter auch die Parts von Gitarrist Manuel Hengge, Bassist Pascal Plangger und der Banjospieler Hauein ke Iven Marquard und Milan Ikhard, sind schon aufgenommen. Wenn die Platte Ende des Jahres fertig sein wird, kann man ein weiteres Stück echten Attilas in den Händen halten: traditionelle Bluegrass-Tunes wechseln sich ab mit vier selbst geschriebenen Stücken, in die noch bewusster Punkrockelemente eingebaut sind als noch bei Attila & Friends – musikalisch wie thematisch.
Nur, warum brauchte es jetzt eine neue Band, nachdem es mit der Vorgängerband sowohl personell als musikalisch so viele Überschneidungen gibt? „Obwohl 2019 ein gutes Tourjahr war, waren wir ein wenig in der Krise. Wir verloren zwei wichtige Musiker. Ich wollte Erfrischung mit einem neuen Projekt, aber die schönen musikalischen Freundschaften retten und die Tradition der Band weiterführen.“Gerade wächst die Band ein wenig in die Richtung offenes Kollektiv. Seine Freunde bleiben ihm eben treu. Johanna Regenbogen zog einst trotz lukrativer Engagements wieder aus Berlin zurück nach Augsburg – der Antrieb war „die Leidenschaft für das Spielen mit Attila. Es ist mein Herzensprojekt“. Nachzuhören am Samstag im Freien vor der Ballonfabrik. Was heißt eigentlich „Regen amtlich verboten“auf Ungarisch?
OKonzert Lonesome Artisans + Harry Gump treten am 12. September vor der Ballonfabrik Gersthofen auf (18 Uhr). Reservierung über ballonfabrik.org.