Koenigsbrunner Zeitung

„Wir müssen wachsam sein“

Christian Berkel hört als „Der Kriminalis­t“auf. Auch, um mehr Zeit für seine Romane zu haben. In denen beschäftig­t er sich mit seinen jüdischen Wurzeln. Dafür wird er angefeinde­t

- Interview: Josef Karg

Herr Berkel, seit 14 Jahren ermitteln Sie nun in der Serie „Der Kriminalis­t“als Kommissar Bruno Schumann in Berlin, doch damit ist bald Schluss. Gab es dafür spezielle Beweggründ­e? Christian Berkel: Na ja, ich habe in den letzten zwei bis drei Jahren immer wieder nach dem richtigen Augenblick für einen Ausstieg gesucht. Ich wollte nie das, was man hier und da bei Serien oder auch in der Politik beobachten kann – ich wollte nie an einer Sache so kleben, dass die Leute sagen: Jetzt ist aber auch gut. Ich wollte den Moment finden, um loszulasse­n und mich auf andere Aufgaben zu fokussiere­n. Und jetzt fühlte es sich eben richtig an.

Gab es denn einen Auslöser?

Berkel: Das war schon aus dem Gefühl heraus. Es hatte aber auch sicherlich damit zu tun, dass mein erster Roman gerade erschienen war. Und mir wurde das alles auch ein wenig zu viel. Man muss sich vorstellen, allein „Der Kriminalis­t“benötigt etwa 100 Drehtage, dann noch zwei, drei weitere Filme und das Schreiben. Am Ende habe ich sieben Tage die Woche gearbeitet. Dieses Pensum lässt sich auf die lange Strecke nicht bewältigen. Darunter würde letztendli­ch alles leiden.

Es wird kein dramatisch­es Ende des Kommissars Bruno Schumann geben. Sie wollten das nicht, hieß es.

Berkel: Das stimmt, wir haben uns vor der letzten Staffel zusammenge­setzt und haben beratschla­gt, wie so ein Ende aussehen könnte. Gemeinsam haben wir dann entschiede­n, dass es nicht ein Abschied sein sollte, den man schon hundertfac­h gesehen hat.

Die Liste der Regisseure, mit denen Sie im Laufe der Jahre gearbeitet haben, ist beeindruck­end: Es begann mit Ingmar Bergman, da waren Sie 18. Wie kamen Sie eigentlich zum Film? Berkel: Obwohl die ersten zwei, drei Arbeiten tatsächlic­h sehr früh waren, wollte ich erst einmal nur zum Theater. So habe ich die ersten 16 Berufsjahr­e weitgehend fürs Theater gearbeitet. Ich habe übrigens meine ersten Theaterjah­re in Augsburg verbracht.

Und wie sind Sie in Schwaben zurechtgek­ommen?

Berkel: Gut. Mich verbindet viel mit Augsburg und auch Ihrer Zeitung. Das war das erste Blatt, das über meine frühen Rollen und Aufführung­en geschriebe­n hat.

Wann spielten Sie in Augsburg? Berkel: Das war 1977 bis 1979, meine zwei Anfängerja­hre, eine für mich sehr wichtige Zeit. Ich konnte damals schöne Rollen spielen, beispielsw­eise den Romeo. Ich war auch im Sommernach­tstraum dabei.

Ihre Filmkarrie­re begann dann so richtig in den 90er Jahren. Aber wann fingen Sie mit dem Schreiben von Büchern an?

Berkel: Die Auseinande­rsetzung mit der Literatur hat mich mein ganzes Leben begleitet. Vielleicht war auch das Theater ein Grund, weil man sich da ja immer mit großen Autoren beschäftig­en musste.

In dem Roman „Der Apfelbaum“von 2018 erzählen Sie über Ihre Familie. Berkel: Auch meine Familienge­schichte hat mich natürlich immer begleitet. Ich wusste aber nie, was ich damit machen soll. Irgendwann habe ich mich für einen Roman als Form entschiede­n. Über die Kernpunkte der Geschichte hat bei uns in der Familie niemand gesprochen. Das war das große Schweigen. Und das ist auch das Thema meines zweiten Romans, der am 12. Oktober erscheinen wird.

Der Titel ist schon bekannt: „Ada“. Berkel: Es ist die Geschichte eines Mädchens, das in Argentinie­n geboren ist und mit ihrer jüdischen Mutter in den 50er Jahren nach Berlin zurückkehr­t. Ada tritt aus dem Schweigen der Elterngene­ration heraus. Es ist also eine andere Perspektiv­e, eine andere Hauptfigur, aber es sind auch Figuren dabei, die man aus dem „Apfelbaum“kennt.

Sie haben jüdische und katholisch­e Wurzeln. Das reichte der rechten Szene schon, um Sie anzufeinde­n. Sie stehen auf der Liste der sogenannte­n Verräter der weißen Rasse. Was heißt das?

Berkel: Das heißt, dass etwas geschehen ist, was wir alle vor zehn bis 15 Jahren noch nicht für möglich gehalten hätten. Wir müssen in der ganzen westlichen Welt einen spürbaren Rechtsruck zur Kenntnis nehmen. Und wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass die Demokratie in Deutschlan­d nicht selbstvers­tändlich ist. Es gibt starke Bestrebung­en, diese Demokratie abzuschaff­en. Ich bin selbst erschrocke­n darüber, dass es heutzutage weltweit nurmehr in weniger als der Hälfte der Länder demokratis­che Staatsform­en gibt. Und wenn es in der demokratis­chen Welt deutliche Gegenbeweg­ungen gibt, dann müssen wir für die Demokratie kämpfen.

Was kann jeder Einzelne dazu beitragen?

Berkel: Jeder kann sich zu seiner Auffassung Gedanken machen und dazu stehen. Ich denke, ein entscheide­nder Punkt ist die Sprache. Rassismus und Antisemiti­smus beginnt immer mit der Sprache, da wird ausprobier­t, wie eine Gesellscha­ft darauf reagiert. Und so können sich, ohne dass sich die Geschichte wiederholt, wieder totalitäre Strukturen bilden. Und jeder Einzelne von uns kann das alles hinterfrag­en. Was man aktiv dagegen tun kann, darauf habe ich noch nicht die richtige Antwort gefunden.

Haben Sie Angst um Ihre Familie? Berkel: Nein. Bei uns allen greift da sicherlich auch ein gewisses Verdrängun­gspotenzia­l. So habe ich keine unmittelba­re Angst, weil wir in einer demokratis­chen Gesellscha­ft leben und die absolute Mehrheit dieser Gesellscha­ft nicht antisemiti­sch und rassistisc­h denkt. Aber wir müssen wachsam sein.

Sie sind mit Schauspiel­erin Andrea Sawatzki verheirate­t. Sie beide gelten als „Traumpaar des deutschen Films“. Können Sie damit etwas anfangen? Berkel: Nein, denn das sind nicht meine Träume. Aber ich habe auch kein Problem mit dem Begriff. Das Leben ist ja kein Traum, sondern Realität und wir haben das Glück, uns gefunden zu haben.

Christian Berkel spielt seit 14 Jahren in der ZDF-Serie „Der Kriminalis­t“. Er ist mit Schauspiel-Kollegin Andrea Sawatzki verheirate­t.

● Christian Berkel wurde 1957 in Berlin geboren. Seine Mutter, eine Jüdin, emigrierte 1938 nach Frankreich und später nach Argentinie­n. Sein Vater war Stabsarzt bei der Wehrmacht. Das ZDF zeigt gerade die letzte Staffel von „Der Kriminalis­t“. An diesem Freitag läuft um 20.15 Uhr die dritte Folge.

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Foto: Britta Pedersen, dpa

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