Erlebnisreise in die Leere
Die erste Runde ist die Runde der großen Sensationen. Das dürfte sich dieses Jahr ändern
Düsseldorf Vieles, was sich im vergangenen halben Jahr auch im Fußball ereignet hat, galt vor Corona noch als unvorstellbar. Dass ProfiVereine in ihren nahezu leeren Arenen Feierabend-Fußballer zu Pflichtspielen empfangen, gehört sicherlich zu den größten dieser Absurditäten. Und so steht ab Freitag in der ersten Hauptrunde des DFBPokals das wahrscheinlich verrückteste Pokal-Wochenende der Geschichte bevor.
Elf Viert- und Fünftligisten haben die erstmalige Chance auf Tausch des Heimrechts genutzt, weil sie die Hygiene-Vorschriften nicht erfüllen konnten oder finanzielle Verluste befürchteten. Sie begeben sich auf große Erlebnisreise in Arenen, in denen die bis zu vierfache Einwohnerzahl ihres Dorfes oder Stadtteils passen würde. Bundesligisten ersparen sich die Reisestrapazen, Auftritte auf Bezirkssportanlagen mit tückischen Umständen
und haben somit wohl ein noch geringeres Risiko, sich zu blamieren. Wenn überhaupt, ist daher wohl nur mit wenigen Sensationen zu rechnen. Zuletzt war 2009 kein Erstligist zum Auftakt gescheitert. In jedem Fall fehle der ersten Runde „natürlich ein Teil des besonderen Reizes“, sagte DFB-Vizepräsident Peter Frymuth.
Die Außenseiter befinden sich größtenteils immerhin schon im Spielbetrieb. Und die Gefahr, den
Gegner zu unterschätzen, sei unter diesen Umständen „natürlich da“, sagte Mönchengladbachs Trainer Marco Rose vor dem Spiel gegen den Regionalligisten FC Oberneuland: „Das ist menschlich.“Eine „eigenartige“Situation sei das Ganze, sagte auch Kölns Trainer Markus Gisdol, dessen Verein den Viertligisten VSG Altglienicke vor 300 Zuschauern empfängt.
Die Zahlen der zugelassenen Zuschauer variieren derweil extrem. Insgesamt werden es rund 35000 Zuschauer. Bei neun der 31 Spiele des Wochenendes sind gar keine Besucher zugelassen, bei 16 weiteren maximal 500. In Mainz dürfen 1000 Zuschauer in die Arena, im Osten dagegen deutlich mehr: 2500 in Jena, 4632 in Chemnitz, 5000 in Magdeburg, 7500 in Rostock und sogar bis zu 10 000 in Dresden beim Spiel gegen den Hamburger SV.
Auch die Verteilung der Tickets bei kleinen Beständen ist höchst unterschiedlich. Der FC Schalke 04 gibt seine 300 Karten für das Spiel gegen den FC Schweinfurt 05 an Mitarbeiter aus Gelsenkirchener Krankenhäusern und Seniorenheimen aus. Köln verlost seine unter allen Dauerkarten-Inhabern, die seit
März auf Rückzahlungen des Ticket-Werts verzichtet haben. Drittligist Duisburg lädt gegen Dortmund 20 Personen ein, die von der Corona-Pandemie in besonderem Maße betroffen sind. Bayer Leverkusen teilt die Karten unter Fans, Behinderten und deren Begleitern, Familien und Freunden der Spieler, Mitarbeitern und Partnern des Vereins auf. Gäste-Fans fehlen oft komplett.
Dennoch verzichten einige der Underdogs auf den größten Vorteil, der solche Märchen möglich macht. Der Fünftligist MTV Eintracht Celle beispielsweise trat sein Heimrecht an den Bundesligisten FC Augsburg ab. So ersparen sich die Amateure ein finanzielles Risiko. 30000 bis 35000 Euro koste die Austragung eines Pokalspiels, rechnete Stefan Cohrs, Abteilungsleiter Celles, vor. Die Reise nach Augsburg kostet inklusive Übernachtungen rund 6000 Euro.