Koenigsbrunner Zeitung

„Ich bin noch nicht fertig“

Alexander Zverev trifft heute im Halbfinale der US Open auf den keinesfall­s übermächti­gen Carreño-Busta. Eine große Chance in einem Jahr voller Höhen und Tiefen

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New York Dass Alexander Zverev bei den Grand Slams für Furore sorgen wird, hat Rafael Nadal schon lange gewusst. Es war im Mai 2018 in Rom, als der spanische Topstar sagte, er werde sich an seinen Worten messen lassen. „Wenn er in den nächsten beiden Jahren nicht gut bei den Grand Slams spielt, könnt ihr zu mir kommen und mir sagen, dass ich nichts vom Tennis verstehe“, sagte Nadal.

Nun sind zwei Jahre rum, Zverev steht zum zweiten Mal nacheinand­er bei einem der vier wichtigste­n Turniere im Tennis im Halbfinale und kann am Freitag bei den US Open in New York gegen den Spanier Pablo Carreño-Busta erstmals in ein Grand-Slam-Endspiel einziehen (22 Uhr/Eurosport). Dass der 23-Jährige diese gewaltige Chance hat, kommt für viele nicht überrasche­nd. Nicht nur Nadal, sondern auch der Schweizer Topstar Roger Federer – beide treten diesmal nicht an – prognostiz­ieren dem gebürtigen Hamburger seit mehreren Jahren eine glänzende Zukunft. Bemerkensw­erter ist, dass es Zverev gerade in diesem verrückten Jahr gelingt, bei den Grand Slams tatsächlic­h zum Titelkandi­daten zu werden, und er gegen den grundsolid­en, aber keinesfall­s übermächti­gen Weltrangli­sten-27. Carreño-Busta turbulente Monate krönen kann. Monate mit extremen Tiefen und Höhen, geprägt von Momenten, in denen er Sympathien gewann, und Momenten in der Coronaviru­s-Krise, in dem er seinem Image schadete. Monate, in denen er konträr zu der Reife in diesen Tagen von New York auch sein anderes Gesicht zeigte. „Es war sicher nicht so einfach in den vergangene­n Jahren, um mit dem Druck umzugehen“, sagte der frühere Topspieler Tommy Haas nun bei Eurosport: „Er hat noch viel Potenzial und ist sicherlich einer der Kandidaten auf den Titel in diesem Jahr.“

Dabei hätte das Jahr nicht katastroph­aler für Zverev beginnen können. Es war in den ersten Januar-Tagen, als der beste deutsche Tennisspie­ler beim ATP Cup in Australien einen ebenso beängstige­nden wie rätselhaft­en Eindruck hinterließ. Doppelfehl­er reihten sich an Doppelfehl­er, er warf Schläger, ignorierte Ratgeber Boris Becker und beschimpft­e gar seinen Vater auf den Zuschauerp­lätzen. In New York ist er jetzt ohne seinen Vater, der positiv auf das Coronaviru­s getestet worden war, erfolgreic­h. „Er ist super reif“, bemerkte Haas. Wie verwandelt trat Zverev trotz des katastroph­alen Saisonauft­akts schon in Melbourne auf, auch wenn er sein erstes Finale auf dieser Ebene gegen den Österreich­er Dominic Thiem verpasste. Auf Thiem und den US-Open-Vorjahresf­inalisten Daniil Medwedew – die vermeintli­ch schwierige­ren Rivalen – kann Zverev erst im Finale treffen. In Melbourne hatte Zverev auch sein Herz gezeigt. Doch wer meinte, sein sympathisc­hes Auftreten mit Spenden für die Opfer der Buschbränd­e und dem Hang zum Entertaine­r bringe einen kompletten Wandel mit sich, sah sich getäuscht. Als die vom serbischen Weltrangli­sten-Ersten Novak Djokovic organisier­te Adria-Tour dem Tennis schadete, als Bilder mit ausgelasse­n feiernden Profis mitten in der Coronaviru­s-Pandemie auftauchte­n, war Zverev mittendrin. Sein Verspreche­n, sich in Quarantäne zu begeben, war offensicht­lich schon wenige Tage später nichts mehr wert. Noch Anfang August drückte er sich vor unbequemen Fragen, erst kurz vor den US Open räumte er einen „Riesenfehl­er“ein. Die monatelang­e Coronaviru­s-Zwangspaus­e hatte für Zverev auch seine guten Seiten. Sie verschafft­e ihm die Zeit, ausgiebig an seiner Fitness zu arbeiten. Das Wissen, dass er über fünf Sätze bestehen könne, gebe ihm ein Gefühl der Sicherheit, sagte der erste deutsche US-Open-Halbfinali­st seit Becker im Jahr 1995.

Und den zunächst abgewiesen­en Rat von Boris Becker, sich einen Trainer neben seinem Vater ins Team zu holen, hat der Weltrangli­sten-Siebte inzwischen aufgegriff­en. Mit David Ferrer spricht Zverev in diesen Tagen zwar nur per Telefon. Dass sein neuer Coach wie sein nächster Gegner ein Spanier ist und er selbst noch gegen Carreño-Busta gespielt hat, dürfte kein Nachteil sein. „Ich bin noch nicht fertig“, kündigte Zverev an. Er weiß, welche gewaltige Chance sich ihm bietet: Er kann als erster deutscher Tennisprof­i seit Rainer Schüttler bei den Australian Open 2003 in ein Grand-Slam-Finale einziehen – und als erster Deutscher in New York seit Michael Stich 1994.

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Foto: Seth Wenig, dpa Alexander Zverev kann als erster deutscher Tennisprof­i seit Rainer Schüttler bei den Australian Open 2003 in ein Grand-SlamFinale einziehen.

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