Koenigsbrunner Zeitung

Eine höchst ungewöhnli­che Karriere

Sigurd Emme kam 1982 als Bratschist zu den Augsburger Philharmon­ikern. Fast 40 Jahre später verlässt er das Haus als langjährig­er Orchesterg­eschäftsfü­hrer. An seiner Haltung zerbrachen auch Freundscha­ften

- VON RICHARD MAYR

Was gäbe es nicht alles zu erzählen und was bleibt am Ende von einem Berufslebe­n? Geschichte­n produziert ein Berufslebe­n im Theater mehr, als man sich ausdenken kann. Wer wie Sigurd Emme fast 40 Jahre am Haus beschäftig­t ist, hat Intendante­n und Generalmus­ikdirektor­en kommen und gehen gesehen. Jetzt ist er es, der mit 66 Jahren Abschied nimmt. Seine Nachfolger­in als Orchesterg­eschäftsfü­hrerin hat er noch einen Monat eingearbei­tet, dann ist Schluss.

Was bleibt da? Bei Emme Zufriedenh­eit. „Ich würde nichts anders machen“, sagt er und denkt vor allem an die einschneid­ende Entscheidu­ng in seinem Berufslebe­n. Als Bratschist war er 1982 nach Augsburg gekommen. Aber dann, nach 23 Jahren als Berufsmusi­ker, wollte Emme nicht mehr einer von vielen im Orchester sein. „Ich wollte Verantwort­ung übernehmen.“Zuvor war er schon ein paar Jahre im Orchesterv­orstand gewesen, aber noch als Musiker. Als sein Vorgänger als Orchesterg­eschäftsfü­hrer das Haus verließ, bewarb sich Emme, bekam den Zuschlag und legte sein Instrument zur Seite.

Das Publikum sah ihn nicht mehr in den Sinfonieko­nzerten auf der Bühne, vielmehr erfüllte Emme dahinter eine wichtige Funktion für das Orchester – von den Dienstplän­en bis zur Organisati­on von Gastspielr­eisen, etwa nach Mallorca. Es sei von Vorteil gewesen, dass er das Orchester als Musiker so gut gekannt habe, sagt Emme. „Aber es sind auch Freundscha­ften zerbrochen.“Denn eines wollte er als Orchesterg­eschäftsfü­hrer immer tun: Alle gleich behandeln und niemanden bevorzugen, vor allem nicht seine Frau Beate Emme, ebenfalls eine Bratscheri­n, mit der er viele Jahre gemeinsam gespielt hat. Beide stammen sie aus Bremen, hatten sich schon kurz am Konservato­rium dort kennengele­rnt, sich dann beide im gleichen Jahr in Augsburg beworben und sind auch beide engagiert worden. Jahre später erst hat es dann zwischen beiden gefunkt.

15 Jahre lang organisier­te Emme den Alltag des Orchesters. Ohne groß nachdenken zu müssen, sind die Zahlen ihm präsent: 24 Geigen, 8 Bratschen, 6 Celli, 5 Kontrabäss­e, 3

Flöten, 3 Oboen, 2 halbe und 2 ganze Klarinette­n, 3 Fagotte, 5 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, eine Harfe, eine Pauke, 2 Schlagzeug­er, also 71 Musiker zusammenge­nommen. Zu Emme kamen sie manchmal auch, wenn es persönlich­e Probleme und Lebenskris­en gab, Momente, in denen er ganz gefordert war.

Als das Staatsthea­ter in den frühen 1990er Jahren eine Saison in die Kongressha­lle ausweichen musste, weil die Bühnentech­nik erneuert wurde, war er noch Orchesterm­usiker. Als die Kongressha­lle während der Sanierungs­arbeiten als Spielstätt­e fürs Orchester ausfiel, musste Emme einen Ersatzort mitsuchen. Statt der Reischlesc­hen Wirtschaft­sschule wurde es die Stadthalle Gersthofen, die als Ausweichqu­artier diente. Für den frisch nach Augsburg berufenen Dirk Kaftan suchte er ungewöhnli­che Spielstätt­en. „Ich habe nach einer Fabrikhall­e geschaut“, erzählt Emme. Auslöser für eine höchst gewinnbrin­gende Liaison der Augsburger Philharmon­iker. Denn aus den ersten Konzerten bei MAN entstand eine dauerhafte Partnersch­aft, von ihrem Großsponso­r profitiere­n die Philharmon­iker und das Augsburger Publikum bis heute.

Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja bezeichnet die Zusammenar­beit mit Emme als sehr gut. „Als ich hergekomme­n bin, habe ich vier, fünf Monate bei ihm gewohnt“, erinnert sich Héja. Weder Héja noch Emme hätten gedacht, dass es so lange dauert, bis Héja für sich und seine Familie etwas Passendes findet. „Das hat nicht nur ein Arbeitsver­hältnis, sondern auch eine Freundscha­ft begründet“, sagt Héja und lobt die große Zuverlässi­gkeit und Unterstütz­ung von Emme. „Er ist der Motor des Orchesters.“

Ein Musiker, der Emme schon seit Studienzei­ten kennt, lobt ihn ebenfalls sehr. Der Werdegang vom Bratschist­en zum Orchesterg­eschäftsfü­hrer gehöre laut Cellist René Correa zu den sehr ungewöhnli­chen. Die Rolle, die Emme zu erfüllen hatte, sei eine sehr schwierige gewesen. „Er saß ständig zwischen Intendanz und Orchester“, sagt Correa, da könne man es nicht jedem recht machen. „Emme war ein sehr guter Diplomat.“

Sein Instrument spielt Emme schon viele Jahre nicht mehr. Ob er jetzt im Ruhestand wieder zur Bratsche greife, könne er noch nicht sagen. Dafür aber, dass er sich in Fischach als Senioren- und Behinderte­nbeauftrag­ter der Gemeinde einbringen werde. Außerdem sei er Vereinsvor­sitzender der Musikschul­e Fischach. Und dann habe er in Zukunft auch mehr Zeit für seine drei Enkelkinde­r und natürlich auch für seine Frau Beate Emme.

 ?? Foto: Manuel Emme ?? Abschied vor dem Publikum: Orchesterg­eschäftsfü­hrer Sigurd Emme jüngst beim Auftritt der Augsburger Philharmon­iker.
Foto: Manuel Emme Abschied vor dem Publikum: Orchesterg­eschäftsfü­hrer Sigurd Emme jüngst beim Auftritt der Augsburger Philharmon­iker.

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