Rangnick wäre frei
Es war ja nicht zu erwarten gewesen, dass wir das Ende dieser Woche halbwegs unversehrt an Seele und Geist erreichen würden. Schließlich haben die Ereignisse von Sevilla die Republik wie eine Abrissbirne getroffen, oder wie es die spanische Zeitung Sport formuliert hatte: „Deutschland wurde niedergewalzt.“In diesem Zustand war mancher am Morgen nach dem 0:6 mit der Vorstellung erwacht, das Ergebnis sei nur ein Albtraum gewesen. Doch es stand immer noch 0:6. Es hätte auch nichts geholfen, wenn sich Querdenker und 0:6-Leugner ans Brandenburger Tor gekettet hätten. Schließlich war ja auch Jogi Löw, Hauptverantwortlicher und Zeuge der Anklage, noch an Bord. Damit das auch so bleibt, haben ihm seine Vorgesetzten, DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Fritz Keller, noch während eines Stopps auf dem Heimflug von Sevilla das Vertrauen ausgesprochen. Aber nicht unbegrenzt und bedingungslos. Das Statement der DFB-Presseabteilung war so formuliert, dass es dem Präsidenten Spielraum zum Handeln offen hielt.
Eine Beruhigungspille für die Walzenfahrer im Land und ein wenig auch eine für die Verantwortlichen
selbst. Was sollten Bierhoff und Keller schließlich auf die Schnelle anderes entscheiden, ohne präsentablen Löw-Ersatz an der Hand?
Es gibt prominente Namen, die durch die Öffentlichkeit geistern. Allerdings sind sie überwiegend gebunden. Jürgen Klopp (FC Liverpool), Tomas Tuchel (Paris St. Germain) und Hansi Flick (FC Bayern) haben besseres zu tun, als eine plattgewalzte Nationalelf zu übernehmen. Ein Duett mit dem U21-Trainer Stefan Kuntz und dem Löw-Assistenten Marcus Sorg wäre nichts Halbes und nichts Ganzes. Der einzige Kandidat, mit dem sich eine ernsthafte Beschäftigung lohnt, ist Ralf Rangnick. Der 62-Jährige hat bereits mehrmals wissen lassen, dass er prinzipiell Interesse am Bundestrainer-Job habe, und wäre im Moment gerade auch frei. Allerdings wäre der schwäbische Fußball-Professor eine raumgreifende, komplexe Lösung, wohingegen der DFB in diesem Amt die einfachen Typen bevorzugt.
Und Jogi? Hat sich in private Klausur begeben. Rückzug statt Vorwärtsverteidigung, obwohl es dafür auch Ansätze geben würde. Rücktritt? Während des Spiels sah es Augenblicke lang so aus als würde er einfach gehen. Dann ist er doch sitzen geblieben und hat den spanischen Walzen in die Augen geschaut. Überzeugt davon: Amigos, wir sehen uns wieder.