DaxReform: Großer Wurf oder kleiner Schritt?
Mit dem Zusatz „Dax-Konzern“verbinden Anleger ein gewisses Qualitätsversprechen. Nicht immer werden die Erwartungen erfüllt – wie sich im Fall Wirecard zeigte. Die Konsequenzen der Deutschen Börse gefallen nicht jedem
Frankfurt am Main Ein Gutes hat der Wirecard-Skandal: Der Aktienindex Dax bekommt neue Regeln. Der Absturz des als Börsenstar gefeierten Zahlungsdienstleisters hat den Finanzplatz Deutschland aufgeschreckt. Nach Bilanzfälschung, Betrugsvorwürfen und Insolvenz der Wirecard AG kündigte die Deutsche Börse im Juni an, „das Vertrauen in den Kapitalmarkt stärken“zu wollen. Nun wird es konkret.
Die auffälligste Veränderung: Der Dax bekommt Zuwachs. Ab September 2021 spielen 40 statt 30 Konzerne in der ersten deutschen Börsenliga. Der MDax der mittelgroßen Werte wird dafür von 60 auf wieder 50 Firmen geschrumpft. Damit wird der Dax „etwas breiter aufgestellt“– so wie es DeutscheBörse-Chef Theodor Weimer schon 2018 ausgesprochen hatte. Schließlich ist der Dax das Barometer der deutschen Wirtschaft und für die Börse das Aushängeschild.
Ein Ziel der Reform: Der Leitindex
soll repräsentativer werden. Der Dax werde „die größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland noch umfassender abbilden“, betonte die Börse. Lange wurde der Dax von vier Branchen dominiert: Chemie, Autoindustrie, Energie, Finanzdienstleistungen. Problem: Gerät eine dieser Branchen unter Druck wie zuletzt die Autohersteller, lähmt das den ganzen Index. „Eine Dax-Reform war spätestens seit dem Wirecard-Skandal überfällig“, sagt Marc Decker von der Privatbank Merck Finck.
Die Änderungen seien aber erst der erste Schritt. „Tatsächlich gibt es (…) viel größere Schwächen, die sich durch die Reform der Indexregeln nur bedingt lösen lassen: zum einen die unterentwickelte Aktienkultur und zum anderen die relativ geringe Marktkapitalisierung deutscher Konzerne.“Gemessen am Börsenwert seiner Mitglieder sei der Dax im internationalen Vergleich ein Leichtgewicht. Neu aufnehmen in den Dax will die Börse nur noch profitable Unternehmen. Pleitekandidaten und Konzerne, die ihrer Pflicht zur fristgerechten Veröffentlichung von Zwischenberichten nicht nachkommen, sollen nichts mehr im Dax verloren haben. Das sorgt auch für skeptische Stimmen: Es sei anzunehmen, „dass durch die Profitabilitätsanforderungen gerade jungen und wachstumsstarken Unternehmen, denen es allerdings noch an entsprechenden Gewinnen fehlt, der Zutritt zum Börsenolymp verwehrt“bleibe, schrieben Analysten des Kölner Vermögensverwalters Flossbach von Storch. Beispiel Delivery Hero: Der Essenslieferant ersetzte Mitte August Wirecard im Dax. Allerdings: Delivery Hero hat seit seiner Gründung 2011 im laufenden Geschäft noch nie Geld verdient. Die gute Nachricht für den Newcomer: Wer im Dax ist, wird trotz verschärfter Regeln nicht rausgeworfen. Zwölf der 30 Konzerne sind seit dem Dax-Start 1988 ohne Unterbrechung gelistet: Allianz, BASF, Bayer, BMW, Daimler (zuvor Daimler-Benz), Deutsche Bank, Eon (2006 entstanden aus Veba und Viag), Henkel, Linde, RWE, Siemens und Volkswagen.
Kontinuität in der Dax-Familie gibt es – zum Leidwesen von Rüstungsgegnern und Umweltschützern – auch in einem anderen Punkt:
Durchgefallen ist der Vorschlag, Unternehmen auszuschließen, die mehr als zehn Prozent ihres Umsatzes mit umstrittenen Waffen machen. Dies wäre etwa für den im MDax notierten Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus zum Problem geworden. Die Deutsche Börse berichtet von einem Meinungsaustausch mit 600 Banken, Brokern, Verbänden und Investoren zur Frage, ob Kriterien wie Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung einfließen sollten. Das Dax-Regelwerk dürfe „kein Einfallstor für gesellschaftspolitische Debatten und Meinungen werden“, hatte das Deutsche Aktieninstitut betont. Nach Ansicht von Greenpeace dagegen hat die Deutsche Börse „die große Chance verpasst, den Zugang zum Dax an ethische Kriterien zu knüpfen“. Die neuen Regeln als „Rückschritt für Menschenrechte und Klimaschutz im Finanzsektor“, kritisierte die Initiative Urgewald.