Das Gesetz leidet unter einem Geburtsfehler
Die Illusion eines sauberen Spitzensports lebt davon, dass nicht allzu oft hinter die Kulissen geleuchtet wird. Am besten gar nicht. Wer sich allerdings anhört, was in dem Prozess gegen den Dopingarzt Mark S. von Zeugen und Beteiligten berichtet wird, der fällt schnell vom Glauben ab, so er ihn noch hat. Doping wirkt dort wie etwas ganz Alltägliches im Leben eines Spitzensportlers. Vielleicht auch deshalb ist das Unrechtsbewusstsein vieler überführter Dopingsünder so mangelhaft ausgeprägt. Sie sehen sich nicht als Betrüger, schließlich dopen doch alle.
In dieser Absolutheit stimmt das vermutlich nicht. Es gibt ihn sicherlich: Den sauberen Sportler, der es mit Talent und Training nach oben geschafft hat. Trotzdem passen die Aussagen und Eindrücke aus dem Prozess nicht zu dem, was im Antidopingkampf tatsächlich gefunden wird. Verschwindend gering ist die Zahl derer, die bei Dopingkontrollen auffliegen.
Und so zeigt der Prozess einmal mehr, wie wertvoll das Antidopinggesetz ist, das es in Deutschland seit 2015 gibt. Lange hatte sich der Sport dagegen gewehrt und auf seine Selbstreinigungskräfte verwiesen. Das ist aber Augenwischerei, was übrigens nicht nur für den Sport gilt. Warum sollte sich ein Geschäftsmodell selbst maßregeln, das für die Mehrheit der Beteiligten prima funktioniert? Dem modernen Profisport schadet es erst einmal, wenn zu viele Dopingfälle bekannt werden. Hin und wieder einer ist okay und gilt als Beleg für den erfolgreichen Kampf gegen den Betrug. Systematisches Doping allerdings würde das Vertrauen in die Sauberkeit der gezeigten Leistungen grundlegend erschüttern. Eine solche Krise hat der Radsport erlebt, der in Deutschland seit dem Dopingskandal rund um das Team Telekom lange nur noch ein Nischendasein fristete.
Langfristig kann nur ein ernsthafter Antidopingkampf die Glaubwürdigkeit des Sports sichern. Da hilft es sehr, wenn Staatsanwälte auf die Jagd nach Dopingsündern gehen. Denn sie verfügen über ein großes Repertoire an Möglichkeiten, auch an die Hintermänner heranzukommen – zu beobachten ist das beim Prozess in München.
Allerdings leidet das Antidopinggesetz nach wie vor unter einem Geburtsfehler: Es fehlt eine Kronzeugenregelung – und damit ein entscheidender Anreiz für Insider, ihr Wissen preiszugeben. Bislang würden sie sich damit nur selbst in Schwierigkeiten bringen. Zwar scheint der politische Wille vorhanden, das Gesetz zu ändern. Noch aber ist es nicht so weit. Und solange das so ist, wird eben nur sehr selten hinter die Kulissen eines Geschäftsmodells geleuchtet, in dem Betrug viele Vorteile bietet.