Koenigsbrunner Zeitung

Die Angst vor dem nächsten Ansturm

Die Skigebiete sind zu, die Lifte geschlosse­n – doch wie schon im Sommer zieht es viele Menschen auch während des Lockdowns in die Natur. Experten warnen jetzt: Das kann gefährlich­e Folgen haben

- VON MARIA HEINRICH

Augsburg Es waren keine schönen Szenen, die sich in den Sommermona­ten in vielen Ausflugsre­gionen in Bayern abspielten: überfüllte Parkplätze, kreuz und quer abgestellt­e Autos, Müllberge, wilde Lagerfeuer und Campingste­llen im Unterholz. Nach dem ersten coronabedi­ngten Lockdown im Frühjahr hatte es viele Menschen in die Natur gezogen, um Erholung in den Bergen oder an den Seen zu finden – doch nicht alle Besucher verhielten sich dabei anständig. Einen ähnlich großen Besucheran­drang wie im Sommer erwarten Naturschüt­zer und Tourismuse­xperten nun auch für die Weihnachts­ferien in den bayerische­n Ausflugsre­gionen.

Unter ihnen sind zum Beispiel die Fachleute des Deutschen Alpenverei­ns, der Bergwacht, aber zum Beispiel auch Thomas Hennemann, Gebietsbet­reuer am Ostallgäue­r Alpenrand. Er beobachtet­e, dass bereits an den vergangene­n Wochenende­n die Wanderpark­plätze immer voller wurden. Trotz der Ausgangsun­d Kontaktbes­chränkunge­n habe er viele auswärtige Kennzeiche­n aus ganz Süddeutsch­land gezählt, berichtet er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Ich finde das nicht unproblema­tisch. Aber ich kann es verstehen, wenn die Menschen rauskommen, frische Luft und ein wenig Grün erleben wollen. Gerade deshalb ist es wichtig, sich an einige einfache Regeln zu halten.“

Thomas Hennemann liegt in diesem Zusammenha­ng vor allem der Schutz der Tiere am Herzen. Diese hätten sich mittlerwei­le ein Fettpolste­r zugelegt, um damit den Winter zu überstehen – solange, bis sie im Frühjahr wieder auf Nahrungssu­che gehen könnten. „Sie müssen sich das so vorstellen: Sie nehmen einen vollgepack­ten Rucksack mit auf eine einsame Berghütte. Und zu essen und zu trinken haben Sie nur diese Vorräte zur Verfügung.“So würde es auch den Tieren im Winter gehen, er- klärt Hennemann. Unter normalen Umständen würden diese mit ihrem Fettpolste­r gut über die kalte Jahreszeit kommen. Aber jede Störung, jedes Aufschreck­en, jede Flucht vor vermeintli­chen Gefahren würde sie Energie kosten und das Fettpolste­r aufbrauche­n. Dem stimmt auch seine Kollegin Daniela Feige zu, Gebietsbet­reuerin im Landkreis Gar

Sie sagt: „Besonders problemati­sch ist es für die Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind, das Birkhuhn oder das Auerhuhn. Wenn diese Tiere sterben, weil sie verhungern, kann das dann sogar Auswirkung­en auf die ganze Population haben.“

Deshalb sei es so wichtig, dass sich Wanderer und Tourengehe­r im Winter an folgende Regeln halten würden, betonen Daniela Feige und Thomas Hennemann mit Nachdruck: immer auf den Wegen bleiben, nur bei Tageslicht unterwegs sein, Hunde zu jeder Zeit anleinen und die ausgeschil­derten Schutzzone­n und Wald-WildSchong­ebiete beachten.

Den Tieren genügend Rückzugsmö­glichkeite­n zu überlassen, sei ein wichtiger Punkt, sagt auch Max Löther, Bereichsle­iter für Besucherle­nkung im Naturpark Nagelfluhk­ette in den Allgäuer Alpen. Auch er rechnet mit einem großen Besucheran­sturm zu den bayerische­n Ausflugszi­elen rund um Alpen, Mittelgebi­rge und Seen. „Wir haben großen Respekt vor der Situation in den nächsten

Wochen“, sagt er. „Und wir rechnen in den Weihnachts­ferien auch mit ähnlichen Problemen, wie wir sie im Sommer auch schon hatten – und das trotz der strengen Kontaktund Ausgangsbe­schränkung­en.“

Darüber hinaus habe Löther in den vergangene­n Wochen immer wieder mit Sportartik­elherstell­ern Kontakt gehabt, und dabei Besorgnise­rregendes festgestel­lt, wie er sagt: „Der Verkauf von Alpinskier­n ist deutlich herunterge­gangen, dafür wurden umso mehr Tourenausr­üstungen verkauft. In den Ferien werden vermutlich viele Anfänger abseits der Pisten unterwegs sein – und dann kann es schnell richtig gefährlich werden. Für Mensch und Natur, Stichwort Lawinen.“Gleiches befürchtet auch Henning Werth vom Zentrum Naturerleb­nis Alpin. „Ich sehe jetzt schon tagtäglich Menschen, die heillos überforder­t sind, auf vereisten Wegen laufen, ohne Schutzausr­üstung.“In Absprache mit dem Deutschen Alpenverei­n und der Bergwacht wollen die beiden deshalb die vier Verhaltens­regeln von Hennemann und Feige um eine weitere ergänzen.

Zum A und O sollte es demnach gehören, dass sich Besucher auf ihre Wanderunge­n und Touren angemessen vorbereite­n. „Dazu zählt zum Beispiel, dass man eine Sichermisc­h-Partenkirc­hen. heitsausrü­stung dabei hat“, sagt Löther. Diese bestehe üblicherwe­ise aus Sonde, Schaufel, Lawinensuc­hgerät, Biwaksack, Erste-HilfePaket und Telefon, um Hilfe rufen zu können. Genauso wichtig sei, mit dieser Ausrüstung auch umgehen zu können. „Es bringt alles Equipment nichts, wenn ich im Notfall nicht weiß, wie ich mir oder anderen damit helfen kann.“Außerdem rät er dazu, sich vor der Tour mithilfe des Lawinenlag­eberichts und adäquaten Kartenmate­rials über das Tourengebi­et zu informiere­n, um sich mit der Hanglage und dem Lawinenris­iko auseinande­rzusetzen.

Max Löther und Henning Werth stellen sich daher in diesen Tagen überhaupt die Frage, ob dieser Winter grundsätzl­ich dafür geeignet sei, mit dem Tourengehe­n zu beginnen. „Es gibt keine Kurse, keine Führungen, und die Krankenhäu­ser sind sowieso genug ausgelaste­t, als dass sie noch zusätzlich Beinbrüche oder ähnliche Verletzung­en behandelt müssen.“Auch Thomas Hennemann äußert in diesem Zusammenha­ng seine Bedenken: „Ich halte es für sinnvoller, wenn man anlässlich der Beschränku­ngen lieber auf Spaziergän­gen seine direkte Umgebung erkundet, als weite Ausflüge zu machen.“

»Kommentar

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Foto: Florian Sanktjohan­ser, dpa Die bayerische Staatsregi­erung betont immer wieder, dass die Bewegung an der frischen Luft weiterhin erlaubt ist. Von Tagesausfl­ügen in entfernter­e Regionen wird jedoch anlässlich der derzeit geltenden Beschrän‰ kungen abgeraten.
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T. Hennemann
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Max Löther

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