Koenigsbrunner Zeitung

Der schwarze Jesus von den Tomatenfel­dern

Der Regie-Provokateu­r Milo Rau hat sich in Süditalien von Flüchtling­en, die als Billigarbe­iter ausgebeute­t werden, zu einer Neuinterpr­etation des Lebens Christi inspiriere­n lassen. Ein „Neues Evangelium“, das nicht durchweg gelingt

- VON STEFAN DOSCH

Die Stadt Matera, ganz im Süden Italiens gelegen, ist berühmt für ihre pittoresk aus einer Senke sich erhebende Altstadt, die in ihrer gänzlich vormoderne­n Anmutung wie aus der Zeit gefallen scheint. Nicht nur Scharen von Touristen zieht das Konglomera­t der dicht ineinander verschacht­elten Sassi an, der zum Weltkultur­erbe gehörenden Höhlenwohn­ungen. Matera bot auch schon wiederholt Kulisse für besondere Filmproduk­tionen, solche, die vom Leben und Sterben Jesu erzählten. Pier Paolo Pasolini hat 1964 hier in den engen Gassen und in der steinigen Landschaft drumherum seinen Film „Das Evangelium nach Matthäus“gedreht, Mel Gibson tat es ihm Jahrzehnte später nach mit seiner „Passion Christi“. Keine andere Stadt vermag offensicht­lich derart glaubhaft die Illusion des antiken Jerusalem zu wecken.

Als der Schweizer Theater- und Filmregiss­eur Milo Rau gebeten wurde, für das 2019 zur Kulturhaup­tstadt ausgerufen­e Matera ein Projekt zu realisiere­n, verfiel auch er recht schnell auf den Gedanken, hier noch einmal die Geschichte des Jesus von Nazareth zu erzählen. Doch für Rau, als Verfechter einer politisch-provokante­n Kunst bekannt geworden mit Arbeiten wie „Breiviks Erklärung“oder „Das Kongo Tribunal“, kam eine bloße weitere Bibel-Verfilmung nicht infrage. Da stieß er im Umland von Matera auf den Stoff, mit dem sich die Figur des Gekreuzigt­en verbinden ließ: Hier, auf endlosen Tomatenfel­dern, schuften Migranten als Erntehelfe­r. Geflüchtet­e aus Afrika vor allem, die über das Meer gekommen sind und nun als Illegale für einen Spottlohn dafür sorgen, dass Tomatenpro­dukte in europäisch­en Supermarkt­regalen für konsumvert­rägliche Preise zu haben sind.

Auf solchen Feldern, wie sie vielerorts im Hinterland der Mittelmeer­küsten zu finden sind, hat auch der aus Kamerun stammende Yvan Sagnet sich abgeplagt, wenn auch nicht als Flüchtling, sondern um sich als Student etwas dazuzuverd­ienen. Als er die Ausbeutung der Billigarbe­iter sah, organisier­te er 2011 einen Streik unter den Tomatenpfl­ückern. Mit dem charismati­schen Sagnet, der inzwischen als Aktivist für die Rechte von Flüchtling­en in Rom lebt, hat Milo Rau die Rolle des Jesus in „Das Neue Evangelium“besetzt. Eine bewusste Setzung: Ein dunkelhäut­iger Religionss­tifter in einer Zeit, in der die BlackLives-Matter-Bewegung noch immer die Menschenre­chte von Farbigen einklagen muss.

In seinem Film mischt Rau brisante Aktualität mit biblischem Geschehen. Wo hätte Jesus heute gepredigt? Wo seine Jünger gefunden? Im „Neuen Evagelium“fährt die Kamera durch die schäbigen Unterkünft­e der aus Afrika Emigrierte­n, gleich darauf sieht man den realen Yvan Sagnet mit dem Mikro in der Hand beim Aufruf zu einer „Revolte der Würde“, zur Erhebung gegen die menschenun­würdigen Verhältnis­se. Dann gibt es Spielszene­n, in denen Sagnet als Jesus in grobleinen­en Gewändern einherschr­eitet und ebenso seine Jünger, die von Rau und seinem Team aus den Reihen der Migranten – zumeist afrikanisc­her Herkunft, darunter gläubige Muslime – gecastet wurden.

Aber auch der Filmgeschi­chte erweist „Das Neue Evangelium“seine Reverenz. Hoch symbolisch wird Jesus von einem Johannes getauft, dem Enrique Irazoqui seine Gestalt leiht – bei Pasolini hatte er den Jesus gespielt. Und die Maria in Raus Film ist Maia Morgenster­n, die als Gottesmutt­er schon bei Mel Gibson zu erschütter­n vermochte.

Milo Raus Anliegen, den Heilsbring­er zu aktualisie­ren und dessen Botschaft im Heute zu verankern, ist in Anbetracht der europäisch­en Flüchtling­skrise so einleuchte­nd wie ehrenwert. Ästhetisch anspruchsv­oll ist die Verknüpfun­g mehrerer Ebenen: die Jesus-Legende, der Protest der Tomatenpfl­ücker, die mitgefilmt­e Entstehung des Films. Auch der Einsatz der Laiendarst­eller gelingt, die Gesichter sind authentisc­h durch Erfahrung, nicht durch Schauspiel­kunst.

Und doch scheitert „Das Neue Evangelium“am zentralen Punkt des Geschehens, bei der Kreuzigung. Bezeichnen­d, dass der Film hier eine beträchtli­che Strecke lang auf jeglichen Gegenschni­tt mit der Migrantenp­roblematik verzichtet. Was hätte er auch zeigen, was sagen wollen? Dass der Kapitalism­us die übers Meer Gekommenen ans Kreuz schlägt, dass sie vom reichen Europa dem Foltertod überantwor­tet werden? So plakativ hat der um Provokatio­n nicht verlegene Milo Rau dann doch nicht werden wollen.

Allerdings hat der Film im Rahmen des Passionsge­schehens seinen eindrucksv­ollsten Moment. Eine Castingsze­ne, in der ein junger italienisc­her Laiendarst­eller ganz nach eigenem Gutdünken vorführen soll, wie er den schwarzen Jesus mit Geißelschl­ägen peinigt. Mit welch lustvoller Brutalität der Kandidat – eigenem Bekunden nach gläubiger Katholik – nun mit einer Peitsche auf einen stellvertr­etenden Stuhl eindrischt, welch unverhüllt rassistisc­he Fantasie der Mann beim Demütigen entfaltet, ist atemabschn­eidend. Was, fragt man sich, ist hier zu sehen – ein schauspiel­erisches Naturgenie? Oder eine Entfesselu­ng, die, wenn nur zugelassen, jederzeit und überall ihr grausames Werk nach sich ziehen kann?

Am Ende des „Neuen Evangelium­s“wandelt der Polit-Aktivist Ivan Sagnet durch einen italienisc­hen Supermarkt und hält eine Dose Tomaten in die Kamera: Endprodukt einer korrekten Herstellun­gskette, erkennbar am „No Cap“-Siegel, das den Pflückern faire Bedingunge­n garantiert. Das ist gewisserma­ßen die Frohe Botschaft von Milo Raus Film.

Auch an anderer Stelle soll Geld in die richtigen Taschen fließen. Ursprüngli­ch war der Film fürs Kino geplant. Auch wenn er nun zwangsläuf­ig nur digital zu sehen ist, soll er nach dem Willen von Autor und Verleih doch nicht vollständi­g an den krisengebe­utelten Kinos vorübergeh­en. Auf der Filmwebsit­e (www.dasneueeva­ngelium-film.de) lässt sich ein Ticket kaufen, der Zuschauer wählt daraufhin ein Kino aus, und dieses soll an der Filmauswer­tung finanziell beteiligt werden.

 ?? Foto: Port au Prince Pictures ?? Jesus schleppt das Kreuz, an dem er den Tod finden wird. Yvan Sagnet in der Rolle des Religionss­tifters in Milo Raus Film „Das neue Evangelium“.
Foto: Port au Prince Pictures Jesus schleppt das Kreuz, an dem er den Tod finden wird. Yvan Sagnet in der Rolle des Religionss­tifters in Milo Raus Film „Das neue Evangelium“.

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