Wie sich eine Textilfabrik zur Hochschule wandelte
Vor 300 Jahren wurde Augsburgs „Textilzar“Johann Heinrich von Schüle geboren. Von seiner Kattunmanufaktur nahe dem Roten Tor steht nur noch ein Restbau
Johann Heinrich von Schüle kam am 13. Dezember 1720 in Künzelsau (Hohenlohekreis) zur Welt, in Augsburg wurde er zum „Textilzar“. Das Andenken an ihn ist in Augsburg mehrfach präsent: Aus dem Schüle-„Fabrikschloss“wurde die Hochschule. Am Fronhof ist beim Burggrafenturm seit 1956 das schmiedeeiserne Gitter vom einstigen „Schlosshof“aufgestellt. Die kunstvolle Bekrönung des Hofportals mit dem Schüle-Wappen ist ein Schauobjekt im Textil- und Industriemuseum (tim). An Schüles Wohnhaus PhilippineWelser-Straße 9 erinnert in der Welserpassage eine Gedenktafel an den Gründer einer Kattunmanufaktur.
Im Jahr 1745 kam Johann Heinrich Schüle als 25-Jähriger nach Augsburg. Ein Textilhändler bot ihm eine Anstellung. Er heiratete dessen Tochter und machte sich 1748 mit der Mitgift seiner Frau als Textilgroßhändler selbstständig. Sein Geschäftsprinzip: Schüle kaufte Kattune (Baumwollstoffe), ließ sie bedrucken und vermarktete die Fertigware. Die Geschäfte mit hochwertiger Ware liefen bestens. Augsburger Weber, Bleicher und Kattundrucker verhalfen mit ihrer Arbeit Schüle zu Reichtum. Doch er erwies sich als undankbar: Schüle warb deren beste Fachleute ab und richtete 1759 selbst eine Kattundruckerei ein.
Schüle hatte mit der Veredelung von Baumwollstoffen „made in
Augsburg“begonnen. Seine Qualitätsansprüche stiegen und er forderte von den Augsburger Webern feinere Gewebe. Die konnten sie jedoch nicht liefern. Schüle sei ein harter Mann, dem man nichts recht machen könne, beklagten sich die Weber. Er ließ sie auf ihren Stoffen sitzen und importierte feinste Kattune aus Hollands westindischen Kolonien. Die Augsburger Weber wehrten sich gegen die Importe und erreichten beim Rat der Stadt Einfuhrbeschränkungen zum Schutz Augsburger Webwaren.
Schüle jedoch bezog weiterhin riesige Mengen aus dem Ausland. 1766 kam es zum Eklat. Die Weber gingen vor Gericht. Sie bekamen recht, die Importstoffe wurden beschlagnahmt. Schüle wurde zudem zu einer Geldstrafe verurteilt und mit einem Druckverbot in Augsburg belegt. Er war darüber derart verärgert, dass er seine Manufaktur zeitweise ins württembergische Heidenheim an der Brenz verlagerte.
Gegen das Urteil des Augsburger Gerichts legte er Widerspruch beim höchsten Reichsgericht in Wien ein. Der Kaiser stand auf Schüles Seite, so entschied 1768 das Reichsgericht, er dürfe weiterhin in Augsburg Importware bedrucken. Das tat Schüle wieder. Die Geschäfte boomten: Europas Reiche orderten feinste bedruckte und bemalte Stoffe, wie sie zeitweise nur Schüle liefern konnte. Der Bau eines dreiflügeligen „Fabrikschlosses“vor dem Roten Tor war sichtbarer Ausdruck geschäftlicher Erfolge.
Der 1770/72 errichtete Komplex war zuvörderst eine Manufaktur. Das heißt: Hier wurden eingekaufte Stoffe bester Qualität großteils in Handarbeit mit maschineller Unterstützung veredelt. Künstler entwarfen Muster, Modelschneider schnitten Holzdruckstöcke und Kupferstecher stachen Druckplatten. Der Druck erfolgte auf Maschinen, die nicht mit Wasserkraft, sondern mit Muskelkraft angetrieben wurden.
Zur Blütezeit arbeiteten bis zu 3500 Menschen für Schüle. 1772 erhob ihn Kaiser Joseph II. in den Adelsstand: Er durfte sich „Edler von Schüle“nennen. Das verliehene Wappen brachte er über dem Portal zum Fabrikhof an.
In den 1780er Jahren zogen Augsburger Kattundrucker qualitätsmäßig mit Schüle gleich. Der Konkurrenzdruck führte zu starkem Rückgang der Geschäfte bei Schüle. 1792 ging die Geschäftsführung an zwei Söhne über. Als 1802 der Konkurs drohte, übernahm Johann Heinrich von Schüle im Alter von 82 Jahren nochmals das Firmenruder. Im April 1811 starb er. In seinem Todesjahr wurde das Konkursverfahren eröffnet.
1812 wurde das „Fabrikschloss“zur Lotzbeck’schen Tabakfabrik. 1828 kaufte der Cafetier J. A. Lutz den Baukomplex. Als im Oktober 1840 in nächster Nähe der erste Augsburger Bahnhof in Betrieb ging, wurde aus der Kattunmanufaktur ein Hotel. Die Eröffnung des
Hauptbahnhofs im Jahr 1846 leitete den Niedergang des Hotels vor dem Roten Tor ein. Ab 1857 wurden darin aus Fischbein Korsetts hergestellt. Das Unternehmen musste 1871 Konkurs anmelden.
Der Weber Michael Nagler (1828–1895) erwarb die Immobilie und richtete darin eine Weberei ein. Sie entwickelte sich zu den 100 Jahre lang florierenden „Textilwerken Nagler & Sohn“. 1905 wurden darin auf 177 Webstühlen 240.000 Kilo Garn zu 1,62 Millionen Meter Baumwollstoff verwoben. 1952 verließen über vier Millionen Meter Stoffe das Werk. 1989 kam der Produktionsstopp und das Fabrikareal wurde zum Spekulationsobjekt.
Im April 1996 wurde der nördliche Seitenflügel des „Fabrikschlosses“abgebrochen, 1997 der Südflügel. Nur der Kopfbau blieb erhalten. Am 4. Februar 1997 beschloss der Bayerische Landtag den Kauf des Areals für 26 Millionen D-Mark, um darauf eine Fachhochschule zu errichten. 2004 begann die Sanierung des historischen Restbaus sowie der Neubau der Flügel. Sie erstanden in den alten Proportionen, jedoch in moderner Architektur aus Beton und Glas. Am 22. Juni 2007 fand die Einweihung statt. 2008 wandelte sich die Fachhochschule in die „Hochschule für angewandte Wissenschaften (University of Applied Sciences)“.
Die Augsburger Kunstsammlungen bereiten eine Ausstellung über Schüle vor. Sollten am 11. Februar 2021 die derzeit geschlossenen Museen wieder zugänglich sein, ist für diesen Tag die Ausstellungseröffnung im Höhmannhaus neben dem Schaezlerpalais geplant.