Koenigsbrunner Zeitung

„Man muss diese Texte gut abklopfen“

Interview Am Berliner Ensemble kam die österreich­ische Schauspiel­erin Stefanie Reinsperge­r so richtig mit Brecht in Kontakt. Jetzt lässt sie ihn alle seine Frauen treffen – in ihrem Beitrag für das Brechtfest­ival 2021

- Interview: Richard Mayr

Frau Reinsperge­r, Sie sind von Düsseldorf, ans Burgtheate­r, vom Burgtheate­r ans Wiener Volkstheat­er, vom Volkstheat­er ans Berliner Ensemble gewechselt. War das dann der Moment, an dem Sie in Ihrem Schauspiel­er-Leben mit Bertolt Brecht so richtig in Vollkontak­t gekommen sind?

Stefanie Reinsperge­r: So richtig, richtig mit Brecht bin ich tatsächlic­h am Berliner Ensemble in Berührung gekommen. Ich bin ja Österreich­erin, habe dort auch meine Schauspiel­ausbildung gemacht, da ist Brecht nicht so das ganz große Thema. Als ich nach Berlin kam, durfte ich gleich als Grusche im „Kaukasisch­en Kreidekrei­s“eröffnen, wo ich mir dachte: Seid ihr alle wahnsinnig. Das ist a) eine sehr große Herausford­erung und b) natürlich fast unerreichb­ar, weil es mit so vielen Geschichte­n, mit der Uraufführu­ng und Helene Weigel verbunden ist. Das spielen wir jetzt mit am längsten. Mit dem Stück waren wir schon in der ganzen Welt zu Gast.

Wie fiel Ihre Begegnung als Schauspiel­erin mit Brecht aus?

Reinsperge­r: Ich habe jetzt in drei Brecht-Inszenieru­ng mitgespiel­t mit wahnsinnig unterschie­dlichen Regisseure­n: Michael Thalheimer, Frank Castorf und Ersan Mondtag.

Das ist die ganze Bandbreite.

Reinsperge­r: Ja wirklich. Und ich finde interessan­t, dass sich alle, so unterschie­dlich sie auch arbeiten, zu diesem Autor hingezogen fühlen. Alle drei haben aber auch eine komplett andere Herangehen­sweise und Übersetzun­g gefunden. Dafür mache ich sehr gerne Theater. Dennoch hatte ich das Gefühl, ich tue mir ganz schwer mit dem Begriff Theater als Moralveran­staltung. Das möchte ich nicht mehr machen. Das möchte ich als Künstlerin nicht sein. Ich bin auch nicht besser als andere. Da habe ich schon das Gefühl, dass man diese Texte gut abklopfen muss, dass das nicht passiert. Wenn man sie davon befreit hat, ist da schon ein unglaublic­her Reichtum drinnen. Was für wundervoll­e Bögen und Texte zum Beispiel im Baal zu finden sind! „Baal“gehört zu den Abenden, die ich am meisten zu spielen vermisse.

Es heißt, ihr Baal sei der wienerisch­ste Baal, der je gespielt worden ist.

Reinsperge­r (lacht): Ja, das sagen die Leute.

Was gefällt Ihnen am „Baal“?

Reinsperge­r: Das ist eine Rolle, die für einen Mann geschriebe­n war und Attribute bekommt, die in dieser Zeit weibliche Charaktere leider nicht so oft zugesproch­en werden. Das war ein großes Geschenk, eine Schatztruh­e, darin zu baden und so viel Spaß dabei zu haben. Ich habe mich bei meinen Kollegen immer wieder entschuldi­gt, weil ich so richtig fies wurde auf der Bühne und damit überforder­t war, dass man sich diesen Raum einmal nehmen darf, weil das weibliche Figuren gerade in älteren Stücken gar nicht so oft dürfen. Es ist ein hochkomple­xes Stück. Baal erzählt so viel über Brecht. Er hat das so jung geschriebe­n und sein ganzes Leben lang bearbeitet. Wir haben alle Fassungen gelesen, um uns diesem Baal zu nähern.

Im Baal spielen Sie als Frau diesen Kerl, der alle Normen sprengt. Für das Brechtfest­ival nehmen Sie eine andere Perspektiv­e auf Brecht ein, da geht es um die Frauen um ihn herum. Haben Sie sich das selbst ausgesucht?

Reinsperge­r: Da folge ich dem Festivalth­ema Brecht und die Frauen. Aber die Texte und den Film haben wir in Eigenregie gemacht. Ich habe mit Jürgen Kuttner viel darüber gesprochen. Eigentlich wollten wir das live in Augsburg aufführen. Mich hat wahnsinnig interessie­rt, wer diese Frauen in seinem Leben waren und sie eigenständ­ig dastehen zu lassen.

Wie verbinden Sie jetzt Helene Weigel, Margarete Steffin und Inge Müller miteinande­r?

Reinsperge­r: Es gibt von Margarete Steffin unter anderem einen Text, in dem sie schreibt: Bert, stelle dir einmal vor, es kämen alle Frauen, die du einmal hattest, an dein Bett. Und damit beginnen wir den Film. Wir lassen nicht nur die realen Frauen, sondern auch die Theaterfig­uren, die Brecht geschaffen hat, auf diesen Brecht einprassel­n. Das fand ich sehr reizvoll, wenn alle gleichzeit­ig mit ihm gesprochen hätten. Dann gehen wir kurz in Brechts Innenansic­ht und lassen ihn laut werden und denken. Dann, das war mir wichtig, kommen wir auf diesen „Ich bin ein Dreck“-Text von Margarete Steffin. Das war für mich zusammen mit Akin Isletme der Ausgangspu­nkt, darüber nachzudenk­en, was wir wollen. Ein bisschen ist die Idee: Wie können wir so theatral wie möglich, Film machen.

Schlägt da nach Monaten des Lockdowns die Sehnsucht nach Theater durch?

Reinsperge­r: Wir möchten alle wieder kreativ sein und unsere Arbeit machen, ich möchte sehr gerne wieder spielen. Das ist eine wundervoll­e Chance gewesen, die uns das Brechtfest­ival dafür gegeben hat. Wichtig war uns, dass wir nicht etwas Vorhandene­s abfilmen, sondern alles für das Festival neu schaffen. Es sind 23 Filme insgesamt, die man im Festival sehen kann. Das ist so eine Menge. Ohne die anderen Sachen gesehen zu haben, bin ich fest davon überzeugt, dass in den anderen Sachen genauso viel Herzblut drinsteckt wie bei uns, weil wir langsam aber sicher diese Situation als Künstler untragbar finden.

Wann war Ihre letzte Vorstellun­g?

Reinsperge­r: Anfang Oktober.

So eine lange Pause hatten Sie noch nie?

Reinsperge­r: Ich habe das Glück, dass ich immer probe und sehr viel drehe. Aber den normalen Theaterall­tag nicht zu haben, das tut richtig weh, wie verlassen werden, wie Liebeskumm­er. Die Theater brauchen dringend eine Perspektiv­e.

Wie hat Ihnen gefallen, als Schauspiel­erin für das Brechtfest­ival ein komplettes Projekt zu erarbeiten?

Reinsperge­r: Das ist eine große Chance und auch eine große Verantwort­ung. Ich habe mir das Konzept gemeinsam mit Akin Isletme überlegt, der auch Regie geführt hat. Alles allein zu machen, ist doch sehr viel. Ich bin ein großer Fan von Selbststän­dig-Mitdenken. Mich hat das gefreut, als Jürgen Kuttner mich gefragt hat, etwas für das Festival zu entwickeln. Könnte ich mich daran gewöhnen.

Zum Schluss: Jetzt haben Sie jüngst Ihren Einstand als Dortmunder Tatort-Kommissari­n gegeben. Was war das für eine Erfahrung für Sie, bei diesem Fernseh-Flaggschif­f mit an Bord zu sein?

Reinsperge­r: Das ist schon eine große Ehre. Für mich ist das surreal, das wurde alles im Jahr 2019 realisiert. In dem schlimmen Jahr 2020 dann Arbeit zu haben, ist ein doppelt beglückend­es Gefühl. Dieses Team ist einfach großartig.

Stefanie Reinsperge­r, 33, ist in Baden bei Wien geboren. Schon für ihr erstes Engagement ist sie als Schauspiel­erin des Jahres ausge‰ zeichnet worden. Seit 2017 gehört sie zum Berliner Ensemble.

 ?? Foto: Hamdemir Isletme ?? Die österreich­ische Schauspiel­erin Stefanie Reinsperge­r in dem Film „Ich bin ein Dreck“, den sie extra für das Brechtfest­ival 2021 gedreht hat. Er ist am Samstag erstmals zu sehen.
Foto: Hamdemir Isletme Die österreich­ische Schauspiel­erin Stefanie Reinsperge­r in dem Film „Ich bin ein Dreck“, den sie extra für das Brechtfest­ival 2021 gedreht hat. Er ist am Samstag erstmals zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany