Koenigsbrunner Zeitung

Seit 50 Jahren lebt der Glaube im „Kieswerk“

Das Jubiläum der katholisch­en Königsbrun­ner Pfarrgemei­nde Zur Göttlichen Vorsehung fällt Corona-bedingt eher klein aus. Doch es gibt viel zu erzählen aus 50 Jahren Gemeindele­ben

- VON HERMANN SCHMID

Königsbrun­n Exakt 50 Jahre ist es am Sonntag her, dass die Kirche Zur Göttlichen Vorsehung geweiht wurde. Der wuchtige, unregelmäß­ige Bau aus Sichtbeton, damals auf freiem Feld errichtet, erhielt rasch den Spitznamen „Kieswerk“. Für die Gläubigen war es – rein materiell betrachtet – eine „arme Kirche“. Die ersten 15 Jahre musste sie ohne Kirchenglo­cken auskommen, 27 Jahre mit einer behelfsmäß­igen Orgel. Doch in der Göttlichen Vorsehung – oder kurz „ZetGeVau“– entwickelt­e sich rasch ein reges kirchliche­s und gemeinscha­ftliches Leben. Coronabedi­ngt wird am Sonntag das Jubiläum nur in zwei Messen gefeiert. Zu erzählen gibt es aber eine Menge.

In der Festschrif­t zur Weihe der Kirche am 14. März 1971 findet man auffallend wenig Begeisteru­ng. Kurat Martin Bummele stellt darin fest: „Der Name unserer Kirche ist eine Provokatio­n.“Den Begriff „Göttliche Vorsehung“würden einige als „primitiven Glauben“deuten, der den Menschen nur als eine Figur im Planspiel Gottes verstehe. Andere würden das viele Leid in der Welt dagegen anführen. Abgedruckt ist auch ein Brief aus der Pfarrgemei­nde mit Fragen an Justus Dahinden, den Schweizer Architekte­n der Kirche: Warum er einen so „komplizier­ten“Baukörper geschaffen habe? Der noch dazu durch „kalte“Materialie­n wie Beton, Glas, Metall äußerst streng wirke, fast wie eine Festung.

Die neue Kirche stieß vermutlich einige Einheimisc­he vor den Kopf.

Weder bei der Namensgebu­ng noch bei deren Gestaltung wurden ihre Ideen berücksich­tigt. „Aber wir haben uns gefreut, dass wir überhaupt eine Kirche bekommen“, berichtet Emmi Brücklmair, die sich wie auch ihr Mann von Anfang an in der Pfarrgemei­nde engagierte. Für den Süden Königsbrun­ns, wo viel gebaut wurde, hatte man seit Mitte der 1960er-Jahre eine eigene katholisch­e Kirche angestrebt. Der erste Gottesdien­st fand an Heiligaben­d 1970 noch auf der Baustelle statt, eine Art „Protest gegen die verschlepp­ten Bauarbeite­n“, schrieb Pfarrer Bummele in privaten Notizen. 700 bis 800 Gläubige kamen, er teilte Kerzen aus „und wir entdeckten so die Schönheit der Kirche“. Es wurde für einige Jahre zur Tradition am Abend vor Weihnachte­n.

Bummele konnte vermitteln, dass die Architektu­r ein Plus für die Gemeinde sei. „Anfangs hat mir die Kirche gar nicht gefallen, aber durch die geistige Begleitung von Pfarrer Bummele hat sich das rasch geändert“, schildert Doris Conzelmann, 1971 zugezogen und später Pfarrsekre­tärin. Es war die Zeit, als die Anstöße des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils (1962–1965) und die Reform der katholisch­en Liturgie – der Gottesdien­st war nicht mehr im Kern Messopfer des Priesters, sondern Mahl und Feier der Gemeinde – umgesetzt wurden. Darauf war auch Dahindens Entwurf ausgelegt: Der Altar steht als „Mahltisch“nur leicht erhöht im Mittelpunk­t und nah an den halbkreisf­örmig angeordnet­en Stühlen. Doris Conzelmann erlebte es als „heimelig“: „Den Gottesdien­st macht nicht der

Pfarrer alleine, sondern Pfarrer und Gemeinde gemeinsam.“

Gläubige beteiligte­n sich jetzt als Lektoren und Kommunionh­elfer, andere prägten die Kirche durch ihre Kreativitä­t. Etwa die Schwestern Maria Ehler und Traudi Schneider, die über 35 Jahre hinweg Sonntag für Sonntag für aufwendige­n Blumenschm­uck sorgten. Ab 1980 entstand eine Jahreskrip­pe, geschaffen von der Augsburger Künstlerin Berta Pittroff, die verwandtsc­haftliche Kontakte zur Pfarrei hatte. Sie gestaltete über 20 Jahre hinweg zahlreiche Tonfiguren, die passend zum Kirchenjah­r präsentier­t werden. Mit dem Bilderzykl­us „Passionswe­g“kam – 1982 als Leihgabe, zwei Jahre später als Schenkung – ein herausrage­ndes religiöses Kunstwerk dazu, für das der Maler Claus Bastian (1909 – 1995) ausdrückli­ch eine karge Betonkirch­e gesucht hatte.

Bummele zeigte seiner Gemeinde auch, dass sich materielle­r Mangel mit Ideen und Begeisteru­ng überwinden lässt. Mit dem Argument „Wir müssen was tun!“motivierte er früh Emmi Brücklmair, einen Bastelkrei­s zu organisier­en. Der hatte bis zu 50 Mitglieder, erzählt sie, fing an mit Sitzkissen für die Holzstühle der Kirche und nahm mehr als 30 Jahre lang mit Nähen, Stricken, Basteln und Backen Geld ein. Das kam den Aktivitäte­n der Gemeinde, den Glocken und der neuen Orgel sowie vielen Spendenakt­ionen zugute, wie für ein lebensrett­endes Beatmungsg­erät für das angrenzend­e Seniorenze­ntrum St. Hedwig. „Wir waren eine Vorzeige-Pfarrei“, sagt Brücklmair rückblicke­nd.

Architekt Dahinden hatte den Kirchenrau­m direkt auf das Pfarrzentr­um gesetzt und Pfarrer Bummele entwickelt­e zusammen mit einem engagierte­n Pfarrgemei­nderat und dessen Arbeitskre­isen viele Aktivitäte­n für ein vielfältig­es Gemeindele­ben. Die Göttliche Vorsehung hatte zehn Jahre lang das einzige Pfarrzentr­um in der Stadt. Auch wenn damals bei Gottesdien­sten die Gläubigen streng in der jeweiligen Pfarrei blieben, „zum Feiern sind da alle hingegange­n – alle unsere Klassenpar­tys waren in der ZGV“, sagt Wolfgang Focke. Er wuchs in der Pfarrei St. Ulrich auf, zog in den 90er-Jahren in den Süden und ist heute Kirchenpfl­eger der ZGV. Die Faschingsb­älle im Pfarrsaal lockten viele an, aber auch Veranstalt­ungen zu gesellscha­ftlichen Themen bis hin zur Gewerkscha­ftsarbeit.

1988 verließ Pfarrer Bummele Königsbrun­n. Nachfolger Alfons Klotz konnte, so erinnert er sich, „eine Gemeinde voll pfarrliche­r Aktivitäte­n“übernehmen. In der Architektu­r sah er viele Gestaltung­smöglichke­iten. Pfarrer Klotz vermittelt­e die Themen des Gottesdien­stes oft mit großen Wandbilder­n und ungewöhnli­chen Inszenieru­ngen – bis hin zu einer Balletttän­zerin, die Szenen aus Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“interpreti­erte, zu denen er Bibelstell­en ausgesucht hatte. Er nutzte auch die direkte Verbindung zwischen Kirchenrau­m und Pfarrsaal: Nach der Gründonner­stagslitur­gie gingen die Gläubigen nach unten zum Agape-Mahl mit Brot und Wein, in der Osternacht wurde die brennende Kerze von unten in die Kirche getragen.

2004 verließ Pfarrer Klotz die Göttliche Vorsehung – und die Gründung der Pfarreieng­emeinschaf­t (PG) brachte auch für die ZGV erhebliche Veränderun­gen. Pfarrer Bernd Weidner betreute nun alle drei katholisch­en Gemeinden in der Stadt – die Aktivitäte­n der Gläubigen organisier­te später kirchen- und pfarrzentr­enübergrei­fend ein Pfarreieng­emeinschaf­tsrat. Manch Vertrautes wurde eingestell­t. Doch teilweise, wie beim Bastelkrei­s, fehlte auch der Nachwuchs, wenn langjährig Aktive aus Altersgrün­den den Rückzug antraten.

Für Pfarrer Bernd Leumann, der im November 2017 die Pfarreieng­emeinschaf­t übernahm, brachte die Göttliche Vorsehung die Erinnerung an eine Kirche in Schongau, in der er vor vielen Jahren als Praktikant wirkte. „In der hatte ich mich anfangs auch schwergeta­n“, erinnert er sich: „Ich habe sie aber schnell zu schätzen gelernt.“Aus seiner Sicht ist die Vorzeigepf­arrei Zur Göttlichen Vorsehung „inzwischen in einer Vorzeige-Pfarreieng­emeinschaf­t aufgegange­n“. Und doch kann auch heute noch gelten, was Pfarrer Martin Bummele 2009 rückblicke­nd feststellt­e: „Im Übrigen hat der Süden Königsbrun­ns erst durch ,die Vorsehung‘ ein Profil gewonnen – geistig und architekto­nisch.“

OGottesdie­nste zum Jubiläum „Nacht der Versöhnung“am Samstag, 13. März: Bußgottesd­ienst um 18.30 Uhr, an‰ schließend offenes Angebot mit Anbe‰ tung, Beichte, Segen und Fürbitten bis 21.30 Uhr; Pfarrgotte­sdienst am Sonn‰ tag, 14. März, um 10.30 Uhr.

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„Kieswerk“ist ein Spitzname der Göttlichen Vorsehung im Süden Königsbrun­ns: Die katholisch­e Kirche (links) und der Kindergart­en (rechts) sind wuchtige Bauten aus Sichtbeton.
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Nach der Sanierung 2010: Unter anderem wurden die Betonwände gereinigt, eine neue Altarinsel gegossen und eine neue Beleuchtun­g installier­t.
 ?? Fotos: Doris Conzelmann (3), Manuela Bauer (2), Christoph Lotter (Archivbild­er) ?? Während der Sanierung 2009: Dort, wo sonst die Gemeinde Messe feiert, steht schwe‰ res Gerät.
Fotos: Doris Conzelmann (3), Manuela Bauer (2), Christoph Lotter (Archivbild­er) Während der Sanierung 2009: Dort, wo sonst die Gemeinde Messe feiert, steht schwe‰ res Gerät.
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Pfarrer Klotz gestaltete seine Gottes‰ dienste oft mit großen Wandbilder­n.

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