Millionenbetrug mit Holzpaletten
Ein Holzhändler aus dem Kreis Augsburg gab beim Finanzamt an, er habe mehrere zehntausend Paletten nach Sizilien geliefert. Tatsächlich ging es darum, den Staat zu betrügen. Deshalb landete der Fall vor Gericht
Erst war es ein Verdacht. Der Holzhändler hatte dem Finanzamt Augsburg-Land Verträge über Verkäufe nach Süditalien vorgelegt. Demnach hatte er in den Jahren 2017 bis 2019 an Firmen auf Sizilien mehrere zehntausend Europaletten geliefert. Doch welchen Sinn machen solche Geschäfte? Immerhin hätte die Ware 2000 Kilometer transportiert werden müssen. Ein Produkt, das sich für wenige Euro einfach fertigen lässt: elf Bretter, neun Klötzchen und 78 Stahlnägel. Da konnte etwas nicht stimmen.
Das Finanzamt führte beim Holzhändler eine Umsatzsteuersonderprüfung durch. Zug um Zug deckten die Steuerfahnder einen Millionenbetrug auf. Mit Hilfe von Scheinfirmen haben 14 Geschäftsleute, in der Mehrzahl aus dem Raum Augsburg, ein Umsatzsteuerkarussell betrieben. Die beiden Schlüsselfiguren der Geschäfte sind vom Landgericht zu je fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Es hätten für die 34 und 44 Jahre alten Angeklagten, der Staatsanwalt stufte sie als hochkriminell ein, leicht noch ein paar Jahre mehr werden können. Davor bewahrte sie, wie es im Urteil der 7. Strafkammer heißt, dass sie „umfassend Aufklärungshilfe“in dem Steuerbetrug geleistet haben. Als Gegenleistung hatten ihre Verteidiger den Strafrabatt ausgehandelt. Der Prozess dauerte dennoch ein Dreivierteljahr.
Dieser Steuerbetrug hat Vorbilder. Vor zehn Jahren haben Augsburger Staatsanwälte europaweit organisierte Karussellgeschäfte aufgedeckt. In England, Belgien und Deutschland wurden mehr als 300 Beschuldigte festgenommen. Sie hatten Scheinfirmen gegründet, um vom Finanzamt für angebliche Verkäufe von Smartphones und Computerzubehör die Umsatzsteuer zurückfordern zu können. Laut einer Veröffentlichung der Behörden im Jahr 2017 haben die Täter, die in der Mehrzahl inzwischen Haftstrafen verbüßen, den Fiskus um mindestens 60 Millionen Euro betrogen.
Ähnlich, wenn auch weniger raffiniert, lief der Steuerbetrug mit den Holzpaletten ab. Hier liegt der gerichtlich festgestellte Steuerschaden bei 3,6 Millionen Euro. Bereits 2007 hatte der jetzt verurteilte 34-Jährige, der mit seiner Familie in einer kleinen Augsburger Landkreisgemeinde lebt, erste Geschäfte mit Holzpaletten gemacht. Der 22-Jährige, bis dahin Paketfahrer, verkaufte sie schwarz, ohne Rechnung. Was auf die Dauer wegen der Steuerbehörde zu riskant schien. So kam er auf die Geschäftsidee, dass Strohfirmen ihm nur auf dem Papier existierende Paletten verkaufen sollten und er sich die ausgewiesenen 19 Prozent Mehrwertsteuer vom Finanzamt erstatten lässt. Immerhin zwei Jahre war es ein Millionengeschäft. Für sein neues Geschäftsmodell gewann der Holzhändler den Mitangeklagten, einen im Raum Aichach lebenden Italiener. Der 44-Jährige warb seinerseits Landsleute, die beim Finanzamt auf ihren Namen eine Firmengründung für den Handel mit Holz und Paletten anmelden mussten. Was nicht auffiel: Sie besaßen weder einen Lagerplatz noch geeignete Fahrzeuge. Die angegebenen Firmenadressen waren ihre Wohnanschriften.
Ihre einzige Tätigkeit bestand fortan darin, zum Schein für den Hauptangeklagten Rechnungen über Paletten-Verkäufe auszustellen. Seltsamerweise schienen viele Firmen auf Sizilien Gefallen an Holzpaletten aus Augsburg gefunden zu haben. Allein im April 2019 hatte ihnen der Angeklagte, wie er beim Finanzamt angab, angeblich Ware für eine Dreiviertelmillion Euro verkauft. Was Steuerfahnder und Staatsanwälte in Augsburg genauer wissen wollten. Auf ihre Ersuchen hin durchsuchten Carabinieri und italienische Staatsanwälte 18 dieser Firmen. In keiner fanden sich Hinweise auf geschäftliche Kontakte nach Augsburg.
Im Zuge der Ermittlungen konnte die Kripo die interne Buchhaltung der Täter beschlagnahmen. Sie war seit 2018 ausgelagert bei einem Geschäftsmann in Weiden in der Oberpfalz. Ab da, so Staatsanwalt Benedikt Weinkamm, sei der Scheinrechnungskreislauf deutlich professioneller aufgezogen worden. Der 67 Jahre alte Unternehmer, der in der U-Haft schwer erkrankt ist, stand bereits im Januar mit weiteren Angeklagten vor Gericht. Die 9. Strafkammer schickte ihn für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Trotz der vom Gericht zitierten „Aufklärungshilfe“der Angeklagten blieb in beiden Prozessen offen, „wo das ganze Geld geblieben ist“.